Kanu:Sandkasten? Eiskanal!

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„Ich bin nicht den typischen Weg gegangen“: Noah Hegge. (Foto: Imago)

Noah Hegge und Elena Lilik sind seit ihren Kindheitstagen in Augsburg befreundet. Nun haben sich die beiden mit der Qualifikation für Paris einen gemeinsamen Traum erfüllt – und sie sind nicht die einzigen Kanu-Schwaben bei Olympia.

Von Julian Sieler

Elena Lilik fuhr sich gerade warm für ihren entscheidenden Lauf um Olympia, da wurde die Motivation noch einmal größer. Noah Hegge hatte sich in diesem Moment für die Spiele in Paris qualifiziert. „Ich dachte mir: Wenn Noah hinfährt, dann will ich das auch“, erzählt die Slalomkanutin. Und auch sie erfüllte sich wenig später den Traum. „Wir können es noch immer gar nicht glauben, dass wir das gemeinsam geschafft haben“, sagt sie.

Elena Lilik und Noah Hegge, heute sind beide 25 Jahre alt, kennen sich seit der Kindheit. „Mit Elena ist es eine besondere Geschichte“, sagt er. Sie haben in derselben Gruppe mit dem Kanufahren angefangen und lange Zeit an allen Nachwuchswettbewerben zusammen teilgenommen. „Wir haben die Jugend des anderen erlebt und sind jeden Karriereschritt gemeinsam gegangen“, erzählt Lilik. Auch abseits des Sports sind sie eng befreundet, mit ihren Familien waren sie gemeinsam im Urlaub in Frankreich. Dort werden sie nun im Sommer gemeinsam ihre ersten Olympischen Spiele erleben.

Hegge hat Konditor gelernt, ehe er herausfinden konnte, ehe er sich voll auf den Sport fokussierte

Die lange Fahrt nach Paris begann für beide im Jahr 2003. Die Kanuslalom-Weltmeisterschaft fand damals in Augsburg statt. Lilik war mit ihrer Familie kurz zuvor von Jena nach Augsburg gezogen, weil ihr Vater Trainer am Kanu-Stützpunkt wurde. „Mit fünf saß ich das erste Mal mit Papa im Boot. Dann war es vorbei mit allem anderen, dann gab es nur noch Kanu“, erzählt sie: „Der Augsburger Eiskanal hat es mir als kleines Mädchen sofort angetan.“ Familie Hegge hatte in der Zeitung von der Weltmeisterschaft vor der Haustüre gelesen. Von dem Erlebnis begeistert, begann Noahs ältester Bruder Samuel mit dem Sport. Wie Elena schaute auch Noah oft beim Training zu. Vermutlich begegneten sie sich dabei bereits. Sobald er groß genug war, setzte auch er sich ins Boot.

Lilik wurde auf einem geradlinigeren Weg zur professionellen Slalomkanutin. Sie war bereits als Schülerin Teil der deutschen Juniorenauswahl und feierte erste Erfolge. Nach dem Abitur wurde sie Sportsoldatin. „Sie ging diese Entwicklungsschritte früher als ich“, sagt Hegge. Er machte nach der Schule eine Ausbildung zum Konditor. Den Kanu-Traum lebte er nur nebenberuflich. Manchmal kam er spätnachts von einem Wettkampf nach Hause und musste frühmorgens in der Backstube stehen. „Ich bin nicht den typischen Weg gegangen“, sagt Hegge. Erst nach der Lehre wurde auch er in die Sportförderung der Bundeswehr aufgenommen: „Ich wollte herausfinden, wie gut ich werden kann, wenn ich mich voll auf den Sport konzentriere.“

Mit fünf saß sie das erste Mal mit Papa im Boot: Elena Lilik, hier in Markkleeberg. (Foto: dpa)

Die Antwort: sehr gut. Es folgten gute Platzierungen im Weltcup, bei der Heim-WM 2022 gewann er im Team die Goldmedaille. Dies gelang auch Lilik. Ein Jahr zuvor hatte sie bereits im Einzel WM-Gold gewonnen. Zum vorläufigen Höhepunkt ihres Weges fahren sie nun nach Paris. Begleitet werden sie dabei von zwei weiteren Mitgliedern der Kanu-Schwaben Augsburg: Sideris Tasiadis und Ricarda Funk. In jeder Disziplin des Kanuslaloms – also im Canadier Einer (C1) und Kajak Einer (K1) – darf pro Nation nur ein Athlet und eine Athletin an den Spielen teilnehmen. Noch nie kamen sie alle von einem Verein. Gekrönt wird dieser Erfolg durch die Nominierung von Amir Rezanejad für das Refugee-Team.

Hegge bedauert die drohende Vereinzelung in seinem Sport: „Wenn ich etwas am Kanu bemängeln möchte, dann, dass es kein Teamsport ist.“ Doch in Augsburg scheint das ein bisschen anders zu sein. „Wir sind eine tolle Gruppe“, sagt Lilik. Die Olympiafahrer treten in unterschiedlichen Klassen an. Anstatt miteinander zu konkurrieren, schwärmen sie voneinander. Über Ricarda Funk, die bislang einzig die Corona-Spiele 2021 erlebt hat, sagt Hegge: „Ich habe immer schon bewundert, wie Rici Boot fährt.“ Der Leitwolf der Gruppe ist Sideris Tasiadis, 34 Jahre alt, Welt- und Europameister. „Ich bin Sideris sehr, sehr dankbar. Er hat mir viel auf den Weg mitgegeben“, sagt Hegge.

Tasiadis bereitet sie auf überwältigende Eindrücke vor

Auch in Paris wird Tasiadis’ Erfahrung helfen. Er war bereits bei drei Spielen, fuhr zu Silber und Bronze. „Es macht riesige Freude, sich mit Sideris über Olympia zu unterhalten“, sagt Lilik. Im Moment ist die Gruppe in Paris und testet die Strecke in der Nähe des Disneylands. Während sie auf dem Kanal paddeln, berichtet Tasiadis von den vergangenen Spielen. „Wir sollen uns vorstellen, wie laut, wie intensiv es wird, wenn die Ränge voll sind. Er transportiert diese Emotionen. Er sagt, dass wir im ersten Moment erschlagen sein werden von den Eindrücken“, erzählt Lilik.

Tasiadis war einst der Trainer von Lilik und Hegge. Heute geben sie selbst Kindertraining. Viele junge Kanu-Schwaben hatten ihren ersten Schnupperkurs bei Hegge. Im Olympiastützpunkt spielen zwei Jugendliche Billard, Hegge unterhält sich mit ihnen, fragt, wie ihr Training lief. „Es ist schön zu sehen, dass die Sportart weiterlebt“, sagt er. Wichtig hierfür sind solche Großereignisse wie der Weltcup in Augsburg am kommenden Wochenende (30. Mai bis 2. Juni) oder die Olympischen Spiele.

Anlässlich der Qualifikation gab es eine Feier im Augsburger Bootshaus – samt prächtiger Olympiatorte. Für den Konditor Hegge schloss sich damit gewissermaßen der Kreis, auch wenn er es vor lauter Trubel nicht geschafft hat, ein Stück zu essen. Die fünf Ringe waren da noch aus Zuckerguss. Auf den olympischen Medaillen werden sie aus dem Eisen des Eiffelturms sein. Eine zu gewinnen, ist für Elena Lilik und für Noah Hegge das erklärte Ziel. Natürlich gemeinsam.

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