Süddeutsche Zeitung

Kanuslalom-WM:Waschmaschine mit Anschluss

Die Kanuslalom-WM am Augsburger Eiskanal kann nun doch stattfinden. Der Wassermangel hatte jedoch auch sportliche Auswirkungen in der Vorbereitung.

Von Benjamin Zügner

Auf einem gelben Warnschild vor dem Wasserwerk am Augsburger Hochablass steht in schwarzen Lettern geschrieben: Werkgelände - Betreten für Unbefugte verboten. Und doch strömen Menschen ein und aus, die Athleten der Kanuslalom-Weltmeisterschaft. Ihre weißen Zelte sind hier aufgebaut, zum Aufenthalt untertags, zur Regeneration zwischen den Rennen, für Physiotermine und zur Videoanalyse. Dass sie diese am abschließenden Trainingstag, dem Dienstag, nun wieder benutzen dürfen, haben sie auch den Schleusenwärtern aus dem Werk zu verdanken. Und dem Regen.

Am späten Montag nämlich folgte die offizielle Bestätigung: Die Kanuslalom-WM kann stattfinden, das Wasser reicht. Zuvor hatte sie aufgrund der Hitzewelle der vergangenen Wochen auf der Kippe gestanden, die Trockenheit legte auch den Eiskanal lahm. Dann wurden Betonpfeiler in den benachbarten Jugendkanal gelegt, um Wasser zu stauen, ein "Experiment, bei dem keiner wusste, ob das klappt", wie WM-Projektleiter Johannes Heiß resümiert. Der Versuch glückte, am Mittwoch können in den Teamwettbewerben der Kajak- und Canadier-Spezialisten die ersten Medaillen vergeben werden.

"Wir sind nun mal eine Natursportart - und da kann so etwas passieren", sagt Japans Trainer

Und doch ergaben sich sportliche Folgen aus den Wasser-Wirrungen: Die Unterbrechung fiel mitten in die unmittelbare Vorbereitung auf die wichtigsten Wettbewerbe des Jahres. Der österreichische Kanute Mario Leitner wohnt mit seinem Team bereits seit zwei Wochen in Augsburg. "Wir sind extra hier, um die Eigenheiten der Strecke kennenzulernen", sagte der 25-Jährige, der im letzten Jahr WM-Bronze im Extremslalom gewinnen konnte. Wenn man dann nicht auf der Strecke trainieren kann, "ist das natürlich ärgerlich". Doch auch andere Stimmen gab es, Japans Cheftrainer etwa meinte im Gespräch: "Wir sind nun mal eine Natursportart - und da kann so etwas passieren."

Die Meinungen liefen auseinander, von Auswirkungen der Klimakrise und einer Debatte über die Grenzen der Nachhaltigkeit war zu hören, und doch war der Konsens aus Kanu-Kreisen eindeutig: Sie seien zuallererst froh, dass die Titelkämpfe überhaupt stattfinden können. Denn letztlich war die Situation für alle gleich - auch für die Deutschen. Der Kajak-Bundestrainer Thomas Apel nimmt die Umstände ohnehin gelassen, er spazierte während des Abschlusstrainings am Dienstagmorgen in Flip-Flops entlang der Strecke, fachsimpelte mit anderen Trainern und blickte auf die Wasser-Thematik der vergangenen Tage zurück: "Niemand kann etwas dafür, also braucht man sich nicht darüber aufregen."

Die Augsburger Kanuten zählen bei der Heim-WM zu den Top-Favoriten - und sind gut erholt

Die "Stars" hätten nun eben eine ruhigere Zeit gehabt, sie "konnten sich gut erholen", fügte Apel an. Mit Stars meint er insbesondere die Augsburger Kanuten, die bei der Heim-WM zu den Favoriten zählen: Ricarda Funk, 30, Olympiasiegerin im Kajak-Einer von Tokio, und seit mittlerweile elf Jahren Wahl-Augsburgerin; Sideris Tasiadis, 32, der im Canadier-Einer die erste deutsche Kanuslalom-Medaille bei Olympischen Spielen überhaupt gewann, 2012 in London; und Elena Lilik, geborene Apel. Sie ist die Tochter von Trainer Apel und aktuelle Weltmeisterin im Canadier-Einer. Die 23-jährige Augsburgerin tritt nun gar in allen drei WM-Disziplinen (Kajak, Canadier und Extremslalom) an. Das ist eine kräftezehrende Angelegenheit, die Ruhe tat also gut.

In der sportlichen Vorbereitung sei zumindest alles glatt gelaufen, ergänzt ihr Vater, "außer den Corona-Fällen in der Weltcupzeit". Das Virus nämlich beeinträchtigte den langfristigen Trainingsablauf: Funk kann erst seit drei Wochen wieder vollumfänglich trainieren, die Nachwirkungen einer Corona-Infektion machten ihr zu schaffen. Auch der Olympia-Dritte Hannes Aigner wurde im Juni positiv auf das Virus getestet. Zuletzt fiel Bundestrainer Klaus Pohlen als Hauptübungsleiter aus, Apel übernahm die Gesamtverantwortung.

Trotzdem seien sie nun bereit für die Heim-WM. "Jedes Mal, wenn das Areal hier für einen Wettkampf fertig gemacht wird, steigt die Vorfreude", sagt Apel mit Blick auf die Torpedowalze. Sie ist ein Streckenabschnitt des Eiskanals, ebenso wie der Korkenzieher oder die Restaurantwalze. Eigenheiten der Augsburger Strecke eben, die es sich einzuprägen gilt. Ob das nun ein Vorteil für die Deutschen ist, dass alle Nationen nur eingeschränkt trainieren konnten? Der Kajak-Bundestrainer lässt dieses Argument nicht zählen: "Alle Nationen sind professionell genug, sich in einer Woche auf die Strecke einzustellen", auch mit Unterbrechungen.

Die Eigenheiten bleiben: Der Auftakt erfolgt in der so genannten Waschmaschine, zehn Meter nach dem Start. Und beobachtete man das Abschlusstraining, so wurde schon klar, dass sie sich den Namen redlich verdient.

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