Süddeutsche Zeitung

Kanu:14 Tage Tokio

Nach der enttäuschenden Weltmeisterschaft richtet der Slalom-Kanute Hannes Aigner sein Training schon voll auf Olympia aus.

Von Raphael Späth

Am vergangenen Wochenende in La Seu d'Urgell hatte Hannes Aigner zwei Ziele. Der Augsburger wollte einerseits seinen Weltmeister-Titel im Kanuslalom verteidigen und gleichzeitig auch die Olympia-Qualifikation für Tokio sichern. Voraussetzung dafür war, dass Deutschland unter die besten 18 Nationen kam; eine Halbfinal-Teilnahme war deshalb Pflicht. "Es ist ein großes Risiko notwendig, um das zu schaffen", meinte Aigner vorher. Die Weltmeisterschaft war nämlich für die männlichen Slalom-Kanuten aus deutscher Sicht bis zu diesem Zeitpunkt missglückt: Im zweiten olympischen Wettbewerb, dem Canadier-Einer, konnten sich weder Titelverteidiger Franz Anton noch der aktuelle Weltranglisten-Erste Sideris Tasiadis einen Quotenplatz für Tokio sichern - alleine das zeigt, wie eng das Feld derzeit beieinander liegt. Auch die Kajakfahrer um Aigner kamen nicht wirklich mit der WM-Strecke zurecht, am Ende stand für den Augsburger Platz zwölf und das damit verbundene Aus im Halbfinale. Schlussendlich fehlten 81 Hundertstel zum Einzug ins WM-Finale. "Es ist ein lachendes und weinendes Auge", sagte der 30-Jährige im Anschluss. "Es ist natürlich ärgerlich, dass ich nicht versuchen kann, in die Medaillenränge zu fahren - aber immerhin habe ich das Olympiaticket gesichert."

Das schlimmste Szenario aus deutscher Sicht wurde also verhindert, aber eigentlich galten die Männer in beiden Disziplinen als Medaillenkandidaten. Durch die limitierte Teilnehmerzahl in Tokio darf nur ein Athlet pro Nation in jeder Disziplin starten, für Aigner hat das Vor- und Nachteile: "Es ist einerseits schade, dass es Top-Athleten gibt, die Olympia niemals gesehen haben oder sehen werden", sagt er. "Auf der anderen Seite ist es auch toll, dass dann in einem olympischen Finale zehn Athleten aus zehn unterschiedlichen Nationen am Start sind."

Die interne Qualifikation hatte Aigner schon im August mit einem vierten Platz beim Heim-Weltcup in Markkleeberg sicher, der Fokus gilt nach der eher verkorksten WM jetzt voll und ganz Olympia. "Es ist eine Sportart, in der wir viel Vorbereitungszeit vor Ort benötigen, deswegen geht es schon in zwei Wochen erstmals nach Tokio, um 14 Tage dort zu trainieren", berichtet Aigner. Bis zu den Spielen wird es mehrere Trainingsblöcke an der künftigen Olympia-Strecke geben. Neben der anspruchsvollen Strecke gilt es vor allem, sich an die klimatischen Bedingungen zu gewöhnen. "Wir wissen aus Rio und den Trainingslagern in Sidney, wie es sich in großer Hitze fährt", sagt Aigner. "In Tokio soll es aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit aber noch einmal sehr speziell sein. Aber ich denke, man wird bis zum kommenden August schon eine Möglichkeit finden, mit den klimatischen Gegebenheiten fertigzuwerden."

Aigner war bereits 2017 in Tokio, durfte nach einer Einladung des japanischen Verbandes bei den japanischen Meisterschaften mitpaddeln und sich ein erstes Bild vom Standort machen. "Mich hat Tokio damals total fasziniert", erzählt er. "Bereits drei Jahre vor den Spielen hing dort mehr Olympia-Werbung an den Straßen als in Rio während der Spiele." Durch den abgelegenen Austragungsort kam in Brasilien an der Strecke kaum Stimmung auf - ganz im Gegensatz zu London 2012, wie Aigner erzählt: "In London herrschte wirklich eine tolle Atmosphäre. Ich denke, in Tokio wird das ähnlich sein. Deshalb finde ich es schön, dort wieder hinzukommen."

In London ergatterte er die Bronzemedaille ergattern, in Rio verpasste er sie knapp, in Tokio soll nun wieder Edelmetall herausspringen. "Meine Erwartungen sind groß", sagt er. "Mein Ziel ist auf jeden Fall eine Medaille, vielleicht auch die goldene. Das wäre schon noch ein Traum, den ich habe. Aber es ist eben Sport, da kann viel passieren." Wie es sich anfühlt, knappe Niederlagen einzustecken, weiß Hannes Aigner bereits aus Rio: "Damals hat auch zu Gold nicht viel gefehlt, nur um dann komplett leer auszugehen." Aus Tokio möchte er eine andere Geschichte mitbringen.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019
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