NFL-Playoffs:0:24? Ruhig bleiben!

NFL: AFC Divisional Round-Houston Texans at Kansas City Chiefs

Kansas-City-Quarterback Patrick Mahomes.

(Foto: USA TODAY Sports)
  • Die Kansas City Chiefs gewinnen trotz eines 0:24-Rückstands mit 51:31 gegen die Houston Texans und erreichen das Halbfinale in den NFL-Playoffs.
  • Trotz des frühen Rückstands bewahren die Chiefs die Ruhe.
  • Bei der Aufholjagd zeigt sich die große Offensivstärke des Teams.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer in seinem Leben jemals an einem Wettbewerb teilgenommen oder eine Prüfung absolviert hat, der kennt das: Man sollte diesen Gegner locker besiegen, die Antworten auf sämtliche Fragen kennen - es geht aber so was von überhaupt nichts. Ein klassischer Blackout, der dadurch verschlimmert wird, dass Kontrahenten oder Mitschüler die hellsten Momente ihrer Laufbahn erwischen. Es ist völlig unerheblich, ob es im gefüllten Stadion und vor Millionen von TV-Zuschauern passiert oder auf einem Tennisacker in der Provinz vor null Beobachtern. Es ist einfach nur schrecklich.

Die Kansas City Chiefs haben das am Sonntagnachmittag gegen die Houston Texans erlebt, sie lagen im eigenen Stadion zu Beginn des zweiten Viertels mit 0:24 zurück. Sie ließen Pässe fallen, als wären die Bälle mit Öl eingerieben. Die Gegner blockten einen Punt und trugen das Spielgerät in die Endzone der Chiefs. Sie stibitzten den Ball und schafften zwei Spielzüge später schon wieder einen Touchdown. Alles, wirklich alles lief gegen diese Chiefs, die Buhrufe der eigenen Fans waren wohl bis nach Houston zu hören. Diese Partie war gelaufen, bevor sie richtig begonnen hatte, auf Twitter gab es bereits die üblichen kreativen Beleidigungen für die Blamierten.

Es gibt unterschiedliche Strategien für den Umgang mit einem verkorksten Beginn, man kann ja nicht einfach aufhören. Die einen zertrümmern den Schläger (was in der Tennis-Geschichte nur John McEnroe geholfen hat), andere versuchen einen verzweifelten Strategiewechsel oder probieren, die Blamage so gering wie möglich zu halten. Chiefs-Trainer Andy Reid machte am Sonntag: gar nichts. Er vertraute darauf, dass sein Team das schon hinbekommen würde, und Spielmacher Patrick Mahomes teilte seinen Kollegen lapidar mit: "Nun, da werden wir wohl was Besonderes leisten müssen."

Mahomes ist derzeit der beste Quarterback

Die Chiefs leisteten was Besonderes, alleine im zweiten Viertel schafften sie vier Touchdowns; am Ende punkteten sie so häufig, dass dem Pyrotechniker im Stadion das Feuerwerk ausging. 51:31 hieß es am Ende dieser Viertelfinal-Partie, die in der Liste der unfasslichsten Comebacks der Sportgeschichte nicht allzu weit unten stehen dürfte. "Es hat alles funktionieren müssen", sagte Mahomes danach: "Und es hat alles funktioniert."

Es ist, bei all den psychologischen Aspekten eines Comebacks, auch ein Beweis dafür gewesen, was für eine Offensive die Chiefs da zusammengestellt haben. Mahomes ist, bei allem Respekt vor Lamar Jackson (gerade mit den Baltimore Ravens an den Tennessee Titans gescheitert) und Aaron Rodgers (durch ein 28:23 mit den Green Bay Packers gegen die Seattle Seahawks nun im Halbfinale bei den San Francisco 49ers), der beste Quarterback derzeit. Die Passempfänger Travis Kelce und Tyreek Hill sind derart begabt, dass Sammy Watkins - der bei 25 anderen Teams die Nummer eins wäre - nur die drittliebste Anspielstation von Mahomes in dieser Saison gewesen ist.

Die Chiefs können variabel attackieren, vor allem aber können sie in einer atemberaubenden Geschwindigkeit übers Spielfeld marschieren. Für die 28 Punkte im zweiten Viertel benötigten sie insgesamt gerade mal 16 Spielzüge, zum Vergleich: Die vier Angriffsserien der Texans am Ende der Partie, die 28 Punkte hätten bedeuten können, dauerten insgesamt 37 Spielzüge. "Es ist völlig egal, ob wir mit 24 Punkten führen oder 24 Punkte hinten sind: Wir gehen jeden Spielzug gleich an", sagte Mahomes, und dann sagte er diesen Satz von poetischer Schönheit: "Wir wissen, was wir können, deshalb können wir spielen, wie wir wollen."

Patrick Mahomes - ein sportlicher Allrounder

An sich glauben, die Kapitulation entgegen aller Wahrscheinlichkeiten verweigern, so was mögen sie nicht nur in den USA, und beim erst 24 Jahre alten Mahomes kommt nun dieser Aspekt hinzu, dass er die Kollegen in dieser aussichtslosen Situation nicht zusammengestaucht, sondern angefeuert hat. "Nicht falsch verstehen: Der Typ ist ehrgeizig wie kein anderer, und er sagt einem immer, was er denkt", sagte Mitchell Schwartz, der Mahomes als Mitglied der Offensivreihe beschützen soll: "Der Unterschied: Es wird nie negativ oder gar beleidigend, sondern eher: 'Hey, ich weiß, dass du das viel besser kannst - also mach es gefälligst so gut, wie du es kannst!'"

Mahomes ist gerade mal 24 Jahre alt, er ist kein Gezüchteter wie viele seiner Quarterback-Kollegen. Sein Vater Pat war Baseball-Profi, er hat seinen Sohn jede Sportart probieren lassen, die der probieren wollte: Basketball, Tischtennis, Wiffleball, Axtwerfen. Er wollte, dass der Filius ein Allround-Athlet wird und sich irgendwann entscheidet. Als Teenager und an der Uni nannten ihn die Freunde "Dickerchen", weil er für einen Elite-Sportler ein paar Pfunde zu viel hatte. Nur: Sie alle wussten, dass dieser Typ aufgrund seiner allgemeinen Fähigkeiten in fast jeder Sportart erfolgreich sein würde, wenn er sich mal entscheidet und dann konzentriert an sich arbeitet.

"Keine Partie, kein Spielzug war jemals vorbei, so lange Patrick auf dem Feld stand", sagt Adam Cook, Mahomes' Trainer in der Highschool: "Man muss ihn nur machen lassen, weil er aufgrund seiner Intuition, Athletik und Vielseitigkeit bisweilen Dinge tut, die sich andere noch nicht einmal vorstellen können. Es funktioniert bei den Chiefs deshalb so gut, weil Trainer Andy Reid all die verrückten Sachen wie No-Look-Pässe nicht nur erlaubt, sondern sogar fördert." Womöglich ist das der Grund, warum Reid, immer wieder mal geschmäht als einer, der wichtige Partien verliert, am Sonntag trotz Rückstand so gelassen blieb.

Am kommenden Wochenende empfangen die Chiefs die Tennessee Titans, sie sind mal wieder Favorit. Der Gegner hat in den Playoffs zwei Mal überrascht und dabei zwei der besten Spielmacher der NFL - Tom Brady von den New England Patriots und Jackson von den Ravens - zur Verzweiflung gebracht. Das Problem: Das dürfte ihnen bei den Chiefs nicht gelingen, wie dieser Moment beim Stand von 0:24 zeigte. Als Mahomes aufs Spielfeld lief, blickte er zum Trainer und hob den Daumen, Reid nickte zustimmend, als wollte er sagen: "Das wird schon." Nur zwei Spielzüge später begann mit dem ersten Touchdown die Aufholjagd.

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