Kampf gegen Doping:Die Kehrseite der Medaillen

Spritzen, Pillen, Transfusionen - die Razzia bei Österreichs Sportlern stört die Inszenierung von Turin, denn die Sportwelt will ihren Helden huldigen.

Holger Gertz

Der Bundeskanzler war Sonntagabend zu Gast im Fernsehstudio des ORF. Wolfgang Schüssel trug eine Art Trachtenjanker, draußen tanzten die Flocken am Fenster vorbei. Es sah recht idyllisch aus und gab den passenden Hintergrund ab für die Definition von Olympia, die Schüssel sich zurechtgelegt hatte.

Doping bei der Olympiade in Turin; dpa

Olympias salbungsvolle Reden fern der Wirklichkeit.

(Foto: Foto: Photodisk)

"Die ganze Welt schaut auf diese Spiele. Das muss man wissen. Das ist das Gegenmodell eigentlich zu dem, was sich derzeit überall auf der Welt abspielt. Brennende Fahnen von irgendwelchen europäischen Ländern, Karikaturenstreit, nukleare Bewaffnung, der Krieg der Kulturen - nein, hier sieht man, dass 83 Nationen friedlich und freundschaftlich miteinander im Wettstreit leben können."

Auf so eine herrliche Idee dürfe Doping keinen Schatten werfen. Es klang so salbungsvoll wie die Reden, die immer auf der Eröffnungsfeier gehalten werden. Es klang wie ein Text einer Werbebroschüre. Es klang naiv. Es klang nicht wie die Beschreibung der Wirklichkeit.

Athleten und Carabinieri

Die Wirklichkeit hatte der ORF in seinem ersten Programm dem Publikum den ganzen Tag über vorgespielt. Immer wieder zeigten sie die Bilder von San Sicario und Pragelato, bestimmt ein Dutzend Mal auf den Tag verteilt. Sie verabreichten sie dem Publikum in kleinen Dosen, damit es sich besser daran gewöhnen konnte.

Man sah ein Holzhaus in den Bergen, in dem die österreichischen Biathleten und Langläufer sich einquartiert hatten, eine Kamera linste von draußen in die hell erleuchteten Räume. Man sah ein Kaminfeuerchen, man sah einige Athleten und vor ihnen Carabinieri, die drohend mit dem Finger wedelten. Die Kamera zoomte, und man sah den Schock in den Gesichtern dieser Athleten. Man sah später einen Trainer, der davon sprach, nicht mehr zu wissen, ob er für seine Sportler die Hand ins Feuer legen konnte. Er stand dabei vor einem Schild, das für Sauberkeit warb: Bitte Schuhe abputzen.

Die Wirklichkeit ist aber schmutzig. Die Österreicher hatten auch in Turin engen Kontakt gehalten zu dem Trainer Walter Mayer, der wegen Dopings bis 2010 von Olympia ausgeschlossen ist. Er hatte sogar bei ihnen übernachtet - bevor er in aller Eile verschwand und in Österreich ein Polizeiauto rammte.

Ein Sportler hatte einen Sack mit Spritzbesteck aus einem Fenster geworfen, die Staatsanwaltschaft zog später Bilanz der Razzia. Gefunden wurden 100 Spritzen, 30 Schachteln mit Medikamenten und diverse Apparate für Bluttests und -transfusionen. Inzwischen hatten sich die Biathleten Wolfgang Rottmann und Wolfgang Perner aus dem Staub gemacht. Sie hätten Panik vor der Strafe gekriegt, sagte ein Trainer, es klang nach Mitleid für gehetzte Athleten.

Die Berichterstattung des ORF war den ganzen Tag ein wunderbares Beispiel dafür, wie der Anti-Doping-Kampf in großen Teilen der Öffentlichkeit nach wie vor verstanden wird: als unbefugter Eingriff in die heile Welt des Sports, als Überfall auf harmlose Olympioniken. Die Langlaufstaffel der Österreicher war über viermal zehn Kilometer angetreten, dann aber überrundet und aus dem Wettbewerb genommen worden.

"Das österreichische Quartett ist von der Razzia gezeichnet", sagte der Kommentator. Auch von "Opfern der Razzia" war die Rede. Und Markus Gandler, der Sportdirektor, sagte: "Wenn 30 Bullen auf di einhupfen, da fehlt dir a bisserl der Plan." Österreichs NOK-Generalsekretär Heinz Jungwirth sprach davon, dass zwar was gefunden worden sei, aber nicht mehr als die üblichen Pulverl.

In Wirklichkeit ist das Überraschungsmoment einer Razzia eine brauchbare Möglichkeit, sich im Wettlauf mit den Dopingbetrügern einen Vorteil zu verschaffen. Die Doper sind so trickreich, sie haben Apparaturen dabei und können die Einnahme von Pillen verschleiern, indem sie neue, verschleiernde Pillen einnehmen. Sie sind imstande, sich an Grenzen heranzudopen.

Die Kehrseite der Medaillen

Es ist ein Wettlauf, und seit der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello an diesem Wettlauf teilnimmt, haben die Dopingbetrüger Mühe, davonzukommen. Er hat den Radsport und den Fußball durchleuchtet; wenn er suchte, wurde er fündig. Er hat Macht und Möglichkeiten. Doping gilt in Italien als Straftat und kann mit Gefängnis geahndet werden - davor hatten Rottmann und Perner so große Angst.

Bei den Olympischen Spielen ist längst ein weiterer Wettkampf entstanden. Eine Fraktion, die sich für den ehrlichen Kampf gegen Doping stark macht, kämpft gegen die, die das Thema ausblendet. Diese Fraktion ist noch immer stark. Sie besteht aus Trainern, Offiziellen, Sportlern, Organisatoren, Werbeleuten, Medienmenschen.

Sie malt ein Bild von schönen Spielen, indem sie diese bunten Plakate aufhängt überall, indem sie im Fernsehen die großen Momente der Sieger mit elegischer Musik unterlegt, indem sie Doping nicht als Vergehen darstellt, sondern als Heimsuchung; indem sie die Dopingjäger als Eindringlinge brandmarkt, als Spielverderber.

Zerknirscht am Tag danach

Vermutlich ist es die naive Sehnsucht des Publikums nach einem heilen Flecken in einer kaputten Welt, die die Macht dieser Bilder aufrecht erhält. Es gibt jetzt eine Sammlung von DVDs, sie wird beworben als Offizielle Sammlung des Internationalen Olympischen Komitees. Man sieht auf den DVDs auch Florence Griffith-Joyner über die Bahn fliegen, man sieht Bilder und erfährt nichts über die Geschichte dahinter.

Ihre Haare waren rabenschwarz, ihre Fingernägel 16 Zentimeter lang. Sie sah aus, als käme sie aus einer anderen Welt. Sie rannte 21,34 Sekunden über 200 Meter, 10,49 Sekunden über 100 Meter. Weltrekord. Olympiasieg in Seoul. Keiner war davor und danach schneller. Flo-Jo nannten sie die Leute. Flo-Jo war ein Kürzel für: der Übermensch.

1996 erlitt sie einen Schlaganfall, zwei Jahre später ist sie gestorben, nach einem epileptischen Anfall im Schlaf. Sie habe, als der Anfall kam, auf dem Bauch gelegen, stand im Autopsiebericht. Er habe zu einer Versteifung ihrer Gliedmaßen geführt und ihren Kopf ins Kissen gedrückt. Sie ist dann wohl erstickt. Mit 38 Jahren. Lange zuvor hatte eine Krankenschwester bestätigt, dass Flo-Jo regelmäßig mit anabolen Steroiden und Testosteron behandelt wurde.

Die Macht der Bilder - und die Skrupellosigkeit der Bildermacher - ist trotzdem so groß wie der Wille des Publikums, an das Gute zu glauben. Während es jeden Politiker für einen Halunken hält, glaubt es bei jedem Sportler an dessen Unschuld. Es wird bestärkt in diesem Glauben. Der österreichische Umgang mit den Langläufern erinnert in Teilen an den - sicherlich anders gelagerten Fall - der Deutschen Evi Sachenbacher.

Ihr wurde, absolut regelkonform, eine Schutzsperre auferlegt wegen ihrer abnormen Blutwerte. Ihr Trainer Jochen Behle beschimpfte tagelang die zuständigen Institutionen und führte die ganze Angelegenheit auf eine Ebene, auf der Evi Sachenbacher wie das Opfer aussah, das von einer Anti-Doping-Mafia um alle Chancen gebracht worden sei.

Als sie wieder starten durfte, bewiesen ihre Fans, wie sehr Behles Polemik gegriffen hatte. Einige Auszüge aus dem Gästebuch ihrer Homepage: "Momentan finde ich den ganzen Doping Hype voll verrückt. Schade dass damit die Sportler so unter Stress gesetzt werden." - "Gratuliere zur Silbermedaille! Du hast es denen Affen gezeigt." - "Gottseidank hast Du den Herren 'Dopingexperten' heute gezeigt, was eine ,saubere' Sportlerin zu leisten vermag."

So geht es immer weiter.

Bei den Österreichern hat sich die Tonart einen Tag nach der Razzia verändert. Man ist jetzt zerknirschter. Die Razzia war ja ein Erfolg. Der Biathlon-Cheftrainer Alfred Eder sagt: "Fakt ist, dass einer der Burschen einen Plastiksack aus dem Fenster geworfen hat", und auch wenn das ein wenig klingt, als beschreibe er einen Jungenstreich - sein Gesicht verrät: Ihm ist klar, dass alles viel schlimmer ist. Und Wolfgang Perner sagt: "Für mich ist es vorbei. Ich brauche kein Biathlon mehr machen." Er sagt, er sei aus Angst abgehauen. Wenn etwas rauskommt, reden die Athleten immer wie Kinder.

Die Ergebnisse der Dopingtests kommen in ein paar Tagen, die Instrumentenfunde sind eindeutig.

Wolfgang Perner hat auch eine Homepage. Darauf ist ein Foto, auf dem er in eine Medaille beißt. Er hat auch ein Gästebuch geschaltet für seine Fans. Er hat davon jede Menge. Einer schreibt: "Razzia in der Nacht vor einem Wettkampf, schaut so aus, als ob sich die Italiener vor unseren Leistungen fürchten."

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