Süddeutsche Zeitung

Olympia:Wie kann eine 15-Jährige zum Dopingfall werden?

Kamila Walijewa gilt als Russlands große Eiskunstlauf-Hoffnung. Die begnadete Teenagerin gewann mit ihrem Team Gold - und wurde vor den Spielen positiv auf eine verbotene Substanz getestet. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Juri Auel

"In ihren Programmen stimmte alles. Ich bin wirklich erstaunt, wie sie mit 15 Jahren diese Ausstrahlung und Erfahrung auf dem Eis verkörpert, wie leichtfüßig die Sprünge aussehen - und woher sie dieses Selbstbewusstsein nimmt." So kommentiert Doppel-Olympiasiegerin Katarina Witt das Können und Auftreten von Kamila Walijewa. Die Jugendliche gewann mit der Europameisterschaft in Tallinn im Januar ihren ersten internationalen Titel und gilt als große Hoffnung der russischen Wintersport-Athletinnen.

Doch anstelle der Scheinwerfer auf dem Eis steht Walijewa aktuell im Fokus eines mutmaßlichen Dopingskandals. Walijewa wird vorgeworfen, das Herzmedikament Trimetazidin genommen zu haben. Die Siegerehrung im Team-Event, in welchem die russischen Athleten Gold geholt haben, wurde deswegen kurzfristig verschoben. Walijewa galt vor den Entwicklungen als Top-Favoritin für die Einzel-Konkurrenz.

Wie ist der aktuelle Stand des kontroversen Falls? Welche Wirkung entfaltet Trimetazidin im Körper und wie geht es mit Walijewa nun weiter? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer sind die wichtigen Akteure?

Da sind das Internationale Olympischen Komitee (IOC) und die Internationale Testagentur Ita, welche im sich entspinnenden Rechtsstreit zwar im Namen des IOC handelt, sonst jedoch unabhängig vom IOC agieren und arbeiten soll. Die Russische Anti-Doping-Agentur Rusada, der Welt-Anti-Doping-Verband Wada und der Sportgerichtshof Cas sind weitere wichtige Akteure - neben Walijewa selbst und dem Russischen Olympischen Komitee (ROC).

Wo hängt der Fall derzeit?

Der Fall liegt beim Internationalen Sportgerichtshof Cas. Die Rusada sprach nach den Vorwürfen gegen Walijewa eine vorläufige Sperre aus, hob diese nach einem Einspruch Walijewas aber bereits am Mittwoch wieder auf. Das IOC geht gegen diese Entscheidung vor dem Cas in Berufung. Der Einzelwettbewerb der Frauen, in dem Walijewa, die auch am Freitag in Peking trainierte, zu den Favoritinnen gehört, findet am Dienstag und Mittwoch statt. Daher sei eine Entscheidung des Cas vor dem 15. Februar nötig, teilte die Testagentur Ita mit. Das eigentliche Dopingverfahren der Rusada, das auch das Recht der Athletin beinhaltet, eine Öffnung der B-Probe zu verlangen, werde "zu gegebener Zeit" fortgesetzt, lässt die Ita wissen.

Warum steht Trimetazidin auf der Dopingliste?

Das Mittel Trimetazidin wird zur Behandlung von Angina pectoris, einer schmerzhaften Brustenge im Herzbereich, verschrieben und kann laut Wada die Ausdauer und den Blutfluss steigern. "Wie andere Stoffwechsel-Modulatoren soll Trimetazidin die Energie- und Sauerstoffversorgung der Muskelzellen auch bei intensivem Training gewährleisten und so den Aufbau von Muskelmasse unterstützen", schreibt zudem die Deutsche Apothekerzeitung. Seit 2014 steht es auf der Liste der verbotenen Medikamente. 2018 in Pyeongchang war die russische Bobfahrerin Nadeschda Sergejewa darauf getestet worden, auch der chinesische Schwimmer Sun Yang wurde einst mit Trimetazidin erwischt.

Wann wurde Walijewa positiv getestet?

Die Probe, um die es geht, wurde Walijewa laut Ita schon vor den Spielen entnommen, und zwar am 25. Dezember am Rande der russischen Eiskunstlauf-Meisterschaften. Das vom Welt-Anti-Doping-Verband Wada akkreditierte Labor in Stockholm teilte den positiven Befund am Dienstag nach einer Analyse mit - einen Tag nach dem olympischen Teamwettbewerb. Diesen hatte das russische Team vor den USA und Japan gewonnen. Die Siegerehrung war jedoch verschoben worden, wegen einer "rechtliche Angelegenheit", wie es zunächst hieß.

Warum wurde die Probe im Dezember entnommen, das Ergebnis aber so spät erst weitergebenen?

Das ist eine zentrale Frage in dem Fall, die noch offen ist. Die New York Times berichtet unter Berufung auf mit dem Fall nicht befasste Doping-Experten, dass Proben in Verbindung mit solch großen Events wie den Olympischen Spielen eigentlich bevorzugt abgearbeitet werden. Das IOC hielt sich bislang zu der Frage bedeckt. Es hänge von "sehr vielen Umständen" ab, wann in welchem Fall ein positives Testergebnis mitgeteilt werden könne, sagte IOC-Sprecher Mark Adams.

Was sagen die russischen Funktionäre?

"Die Dopingkontrolle eines positiv getesteten Athleten gilt nicht für den Zeitraum der Olympischen Spiele", hießt es etwas kryptisch in einer Erklärung des ROC. Dopingtests bei Walijewa bei der EM im Januar und bei den Spielen in Peking seien negativ ausgefallen. Man werde um "die ehrlich gewonnene olympische Goldmedaille" kämpfen.

Wie wirkt sich der positive Test auf den Wettbewerb aus?

Die Entscheidung über den Ausgang des Teamwettbewerbs, in dem die deutsche Mannschaft Platz neun belegt hatte, könne der Eiskunstlauf-Weltverband ISU erst nach Abschluss des gesamten Falls treffen, hieß es in einem Statement der Ita. Und auch ob die verschobene Medaillenzeremonie noch nachgeholt werden soll, ist noch nicht bekannt. Das IOC hält sich dazu bedeckt.

Ist das der erste positive Dopingtest bei diesen Spielen?

Nein. Das erste positive Ergebnis lieferte die A-Probe des iranischen Skifahrers Hossein Saveh. Ein Labor hatte darin ein Anabolikum festgestellt. Bei den Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang wurden offiziell vier Dopingfälle registriert - zwei der Sportler kamen aus Russland, einer aus Slowenien und einer aus Japan. Die ARD berichtete im Nachzug, dass nicht alle Kontrollen bei den Spielen so sicher und zuverlässig vorgenommen worden seien, wie zunächst angenommen.

Welche Konsequenzen drohen Russland und Walijewa persönlich?

Was der positive Test für Walijewa selbst bedeutet, ist noch nicht ganz klar. Fest steht nur, dass solch junge Athletinnen und Athleten, sehr grob gesagt, mildere Strafen erwarten - ähnlich wie beim staatlichen Jugendstrafrecht. So können Sperren kürzer ausfallen, beispielsweise. Auch bei der Offenlegung von Verstößen gelten dem Wada-Code zufolge andere, weniger strenge Regeln, da die jungen Sportler als besonders schutzbedürftig gelten, weil sie aufgrund ihres Alters gewisse Regeln des Codes vielleicht noch nicht in Gänze verstehen.

Auch was der Fall für Russland selbst für Konsequenzen haben könnte, ist noch unbekannt. Wegen vorangegangener Dopingskandale wurde Russland bereits bestraft, indem das Land offiziell bei den Spielen nicht vertreten ist. Die russische Mannschaft nimmt in Peking unter dem Namen des Russischen Olympischen Komitees (ROC) teil, Flagge und Nationalhymne sind wie bei den Sommerspielen von Tokio 2021 verboten. Russische Sportler sind allerdings nicht generell verbannt. Sie dürfen unter bestimmten Voraussetzungen als "neutrale Athleten" teilnehmen. Russland war wegen des massiven Dopingskandals bei den heimischen Winterspielen 2014 in Sotschi gesperrt worden, danach erneut wegen Manipulationen von Labordaten. Präsident Wladimir Putin hatte die Sanktionen vor dem Start der Winterspiele erneut scharf kritisiert und ein staatlich unterstütztes Dopingprogramm abgestritten.

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