Kamil Stoch bei der Vierschanzentournee:Populärer als Lewandowski

FIS Nordic World Cup - Four Hills Tournament

Kamil Stoch nach seinem Sieg in Garmisch-Partenkirchen.

(Foto: Getty Images)
  • Der Pole Kamil Stoch führt nach zwei Siegen aus zwei Springen die Gesamtwertung der Vierschanzentournee vor Richard Freitag an.
  • Bisher erlaubt er sich keinen Fehler. Auch der deutsche Bundestrainer Werner Schuster schwärmt von seinen Fähigkeiten.
  • In seinem Heimatland ist er sehr populär. Sein Trainer musste ihn im Sommer vor zu vielen Terminen schützen.

Von Matthias Schmid, Garmisch-Partenkirchen

Kamil Stoch legte den Blumenstrauß auf den Tisch neben sich und setzte sich auf einen Stuhl. Im Hintergrund wuselten Journalisten durchs Bild, ein polnischer Privatsender hatte die Liveschaltung mit dem Führenden der Vierschanzentournee nach dessen Sieg beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen kurzerhand ins Pressezelt verlegt, das auf den Tennisplätzen des ESV Werdenfels errichtet worden war. Ein Kameramann kniete vor Stoch, es war eine eher schmucklose Kulisse für ein Interview mit einem der bekanntesten Sportler des Landes.

Der 30-Jährige ist in Polen ein Nationalheld, noch berühmter und beliebter als Fußballer Robert Lewandowski vom FC Bayern. Skispringen ist in Polen ein Sport, der die Massen anzieht wie der Schlussverkauf die Schnäppchenjäger.

"Kamil springt im Moment sehr, sehr stark"

Dieses Phänomen sah man schon kurz nach der Siegerehrung im Olympiastadion von Garmisch-Partenkirchen, fast eine halbe Stunde stand Stoch in der Kälte und kritzelte seinen Namen auf alles, was ihm entgegengestreckt wurde. Die Fans in Polen hatten den langen Weg nach Oberbayern auf sich genommen, um ihren Helden springen zu sehen. "Ich kann leider nicht alle zufriedenstellen", sagte Stoch danach fast entschuldigend, "aber zumindest einigen von ihnen kann ich ihre Wünsche erfüllen." Ein Selfie mit Stoch ist viel wert. Und die Zuneigung der Fans dürfte noch weiter steigen, sollte der Sportler aus Zakopane auch die beiden kommenden Springen der Vierschanzentournee am Donnerstag in Innsbruck und am Samstag in Bischofshofen gewinnen. Er könnte nach Sven Hannawald erst der zweite Springer in der Historie werden, dem dieses Kunststück eines Grand Slams gelingt.

"Ich will versuchen, das zu verhindern", sagte Richard Freitag im Zielraum. Der Deutsche musste sich in Garmisch-Partenkirchen wie schon zuvor in Oberstdorf mit dem zweiten Platz hinter Stoch zufriedengeben. Der Pole war wieder einen Tick stabiler, immun gegen Regen und böige Winde, als es darauf ankam. Es war wieder ein Wettkampf auf hohem technischen Niveau. "Niemand aber ist unschlagbar", betonte Freitag und machte sich selbst ein bisschen Mut. Umgerechnet sechseinhalb Meter Rückstand hat er auf Stoch in der Gesamtwertung der Tournee. Mit den verbleibenden vier Sprüngen ist das aufzuholen. "Aber Kamil springt im Moment sehr, sehr stark", gab Freitag zu, "er lässt mir keinen Raum für Fehler."

Auch der deutsche Bundestrainer Werner Schuster hört sich wie einer dieser polnischen Fans an, die die rot-weißen Fahnen im Zielraum schwenken und sich die Nationalfarben auf die Wangen malen, wenn er über Stoch spricht. Ein Ausnahmekönner sei das, sagte er schwärmerisch, ein Perfektionist, der schon alles gewonnen hat, was es im Skispringen zu gewinnen gibt. Doppel-Olympiasieger ist er, Weltmeister im Einzel und im Team, Gesamtweltcupsieger und im vergangenen Jahr hat er die Vierschanzentournee für sich entschieden. Kurzum: "Er ist ein gnadenloser Killer", sagt Schuster. Es ist das größte Kompliment, das ein Trainer aussprechen kann. Stoch hat die seltene Fähigkeit, die vor allem den großen Sportlern zueigen ist, Sportlern wie Roger Federer oder Marcel Hirscher, er ist dann am stärksten, wenn es um etwas geht, wenn große Titel vergeben werden.

Stochs Managerin ist gleichzeitig seine Ehefrau

Nach der vergangenen Saison sah es kurz danach aus, als habe Kamil Stoch seinen inneren Kompass verloren, der ihn bisher so verlässlich durch alle Unwägbarkeiten und Versuchungen des Lebens gelenkt hat. Er konnte oder wollte nicht mehr länger Nein sagen, also ließ er unzählige Ehrungen, Fernsehauftritte und Anfragen in Polen über sich ergehen. Er genoss das süße Leben und lief über die Roten Teppiche im Land, wurde hofiert, herumgereicht und vergaß in dem ganzen Trubel, dass er ein Sportler ist, der sich nicht nur von einer strapaziösen Saison erholen, sondern auch noch trainieren muss.

Zu Stochs Stärken gehört aber auch, dass er weiß, auf wen er hören muss, um erfolgreich zu sein. Stefan Horngacher ist einer jener Menschen, denen er vertraut. Der österreichische Trainer drängte ihn im Sommer, sich zurückzunehmen, nicht alle Termine anzunehmen, die seine Managerin initiiert hatte. Was nicht so einfach ist: Stochs Managerin ist gleichzeitig auch seine Ehefrau.

Horngacher setzte sich durch, aber mit allen Ratschlägen kommt er bei Stoch nicht durch. Er wünscht sich nämlich, dass dieser in einigen Dingen ruhiger werde, weniger hektisch. Seine Aufregung und seine Anspannung zum Beispiel vor den Springen gehören zu ihm wie seine Siege. Er solle die Wettkämpfe mehr genießen, forderte Horngacher. Geht nicht, entgegnet Stoch dann, "ich kann nicht lockerer werden." Er will das, was er macht, perfekt machen. Autogramme schreiben genauso wie Skispringen.

Deshalb hatte er auch noch keine Zeit, um sich seinen großen Traum zu erfüllen: Er will Pilot werden, nicht nur springen, sondern richtig fliegen. Kamil Stoch hat die Ausbildung aber erst einmal verschoben, auf die Zeit nach seiner Springer-Karriere.

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