Kahn geht vor Gericht:Streit auf Knopfdruck

Das Gerichtsduell einer Computerspiel-Firma mit Oliver Kahn bedroht auch die Spielergewerkschaft FiFPro.

München - Oliver Kahn stürmt aus dem Tor. Die Abwehr hat mal wieder geschlafen, es hilft alles nichts. Wütend schießt der geschlagene Oliver Kahn den Ball ein zweites Mal ins Netz. Auf Knopfdruck. Und wenn man den R2-Taste drückt, begeht er eine Tätlichkeit am Torschützen. Es ist keine vollkommen fiktive Szenerie im Computerspiel "FIFA WM 2002", die Spielfigur Oliver Kahn sieht authentisch aus und verhält sich auch so. Zu authentisch, findet der echte Oliver Kahn und wehrt sich juristisch gegen die Verwendung seines Namens und die Darstellung seiner Person im Produkt der Firma Electronic Arts (EA). Mitte vorigen Jahres gab das Landgericht Hamburg der Klage auf Unterlassung Recht und stellte eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts fest. Am heutigen Dienstag fällt das Oberlandesgericht Hamburg in zweiter Instanz ein Urteil.

Urteil in zweiter Instanz

Oliver Kahn ist im Spiel gut zu erkennen, mit den Koteletten und dem ausdrucksstarken Gebiss. Die hervorragende Graphik ist für die Programmierer mittlerweile zum juristischen Problem geworden. "Ziel ist es, das Aussehen und die Bewegungen der Personen möglichst realitätsgetreu nachzubilden", kommentiert die Softwarefirma den Streitgegenstand. Das Verfahren beziehe sich auch nur auf die Sonderedition der "Fifa Soccer"-Serie zur WM 2002; die "normale" Version des Fußball-Computerspiel sei davon nicht betroffen. Doch der Fall Kahn gegen EA ist ein in Deutschland bislang einmaliges Verfahren, das zeigt, dass es sich bei Videospielen nicht um Kinderspielzeug handelt, sondern um ein Bildmedium und ein Riesengeschäft.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Sportler gegen die Abbildung in Videospielen wehrt. Der Rennfahrer Jacques Villeneuve wurde wegen Lizenzstreitigkeiten im Spiel "Grand Prix" durch einen Fahrer namens John Neonhaus ersetzt. Nicht überall ist die Rechtslage so eindeutig wie in den USA, wo die Persönlichkeits- und damit auch die Vermarktungsrechte der Sportstars bei den mächtigen Ligen NBA oder NFL liegen. In Deutschland liegen diese Rechte grundsätzlich bei der Einzelperson. Der Hamburger Anwalt Matthias Prinz, der Kahn vor Gericht vertritt, erklärte deshalb: "Die Spieler müssen gefragt werden." Das Gericht folgte der Auffassung, dass Kahn die "werbliche Vereinnahmung" nicht hinnehmen müsse. Besondere Relevanz habe dabei, dass der Torwart im Spiel auf Knopfdruck reagieren müsse.

Der Softwarehersteller hingegen argumentiert, man habe trotz der "unsicheren Rechtslage, ob EA für die Integration der Namen und Abbildungen überhaupt zur Zahlung verpflichtet ist", seit 1993 Zahlungen an die internationale Spielergewerkschaft FiFPro geleistet. Dabei handelt es sich angeblich um Millionenbeträge. Entsprechend ungehalten ist man auch bei der Softwareschmiede: "Wir sind in Haftung genommen für etwas, das uns zugesichert wurde."

In der Mediengesellschaft sind Sportstars zu kulturellen Ikonen geworden, leicht fiktive Gestalten mit enormem Marktwert, agil wie Spiderman und erbarmungslos wie Lara Croft. Superhelden eben, die es wirklich gibt und die deshalb mit Grundrechten ausgestattet sind. Denn für das Videospiel gilt das "starke deutsche Persönlichkeitsrecht", wie Pascal Oberndörfer, Rechtsanwalt am Institut für Urheber- und Medienrecht in München, meint: "Es ist klassisches Persönlichkeitsrecht, angewandt auf einer neuen Oberfläche."

Die Softwarehersteller betrachten ihr Medium naturgemäß ein wenig anders. Für sie ist der digitale Fußballspaß Kunst, deren Freiheit durch Artikel fünf des Grundgesetzes geschützt sei. Diese Argumentation hält der Medienrechtsexperte Oberndörfer für zweifelhaft: "Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechte sind beides Grundrechte, bei einer Abwägung werden die Interessen von Herrn Kahn wohl wesentlich überwiegen." Zwar müsse Kahn als Nationaltorhüter und damit als "relative" Person der Zeitgeschichte gewisse Zugeständnisse an die Öffentlichkeit machen. Dies decke jedoch nicht eine kommerzielle Nutzung durch Drittparteien ab. Entscheidend für den Ausgang der Verhandlung werde sein, ob Electronic Arts eine "gültige Vertragskette nachweisen kann", durch welche sie die Rechte an der Darstellung Kahns erworben habe. Präsentiert EA also nicht noch bislang unbekanntes Vertragsmaterial, ist ein ähnliches Urteil wie in der ersten Instanz zu erwarten.

Die Tragweite des Verfahrens ist jedenfalls erheblich. Neben konkreten Schadensersatzforderungen von Kahn und Kollegen ist auch noch offen, wie die populären Spiele in Zukunft rechtlich einwandfrei produziert und vertrieben werden können. Matthias Prinz berichtet jedenfalls von "zahlreichen Anfragen von Spielern aus dem In- und Ausland, darunter einer kompletten Nationalmannschaft", welche erwägten, nach dem heutigen Grundsatzurteil gegen verschiedene Hersteller und Produkte vorzugehen. Für die Spielergewerkschschaft FiFPro könnte es in der Folge um die bloße Existenz gehen. EA kündigte bereits an, prüfen zu wollen, ob sich die "FiFPro vertragsbrüchig gemacht hat".

Oliver Kahn jedoch wird so oder so nicht aus dem Spiel verschwinden. Im so genannten Charakter-Editor können die Computerspieler Gesichter nachbauen und über das Internet austauschen, sich selbst aufstellen oder Oliver Kahn zurück ins Spiel bringen, falls die Richter ihn auswechseln sollten. "Dann müssten wir wieder Gesicht und Namen selbst editieren", schreibt ein Fan leicht genervt in einem Internet-Forum, "das ist doch so viel Arbeit."

Tobias Moorstedt

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