Süddeutsche Zeitung

Kaderplanung des FC Bayern:Münchner Gewaltenteilung

Ein Signal an den Trainer: Unter dem Eindruck der ersten Saisonniederlage beschließen die Bayern-Bosse den Verbleib aller Reservisten - zumal Robben noch mindestens zehn Wochen ausfällt.

Moritz Kielbassa

Im Kuppelsaal der Staatskanzlei spielte das "Chancen-Kreieren" mal keine Rolle, jene "Phase vier" im Angriff, wie Louis van Gaal sie nennt, die dem Trainer des FC Bayern am Vorabend Bauchschmerzen bereitet hatte. Und es gab auch keinen Gegner, der zu van Gaals Verdruss "im engen Raum verteidigte". Am Samstag trafen die Bayern auf einen flexiblen Taktiker, den Ministerpräsidenten Horst Seehofer, von van Gaal ulkig "unser Kanzler" genannt.

Anlass der Feierstunde mit 1100 Gästen war das wunderbare Frühjahr der Münchner Fußballer, der Freistaat ehrte seinen Werbeträger für das Double 2010. Im Kuppelsaal, in dem schon Könige und Staatsoberhäupter empfangen wurden, vergaß auch der kolossale van Gaal seinen Kummer über das 0:2 in Kaiserslautern. Roter Teppich statt roter Teufels-Berg, das fühlte sich wieder gut an.

Van Gaal weiß aber auch: Im Fußball zählt nur das Hier und Heute. Im Titel- und Wonnemonat Mai hatten die Bayern ihre Fans auf eine Art und Weise verzückt, an die man sich "noch in Jahren erinnern wird", wie der Trainer betont. Nun jedoch ahnt van Gaal, dass "ein schwieriges Jahr" bevorsteht, mit der maximalen Erwartung, den Erfolg der vergangenen Saison noch zu übertreffen - erschwert durch eine WM, an der zahlreiche Bayern-Profis maßgeblich mitgewirkt hatten, mit hohem körperlichen und mentalen Energieverbrauch. Erst "im Oktober oder November", wiederholte van Gaal nach der ersten Niederlage im deutschen Spielbetrieb seit fünf Monaten, sei wieder eine vollständig fitte Bayern-Mannschaft zu erwarten.

"Nur ein Ausrutscher" sei Kaiserslautern gewesen, ist Kapitän Mark van Bommel überzeugt - bei einem euphorischen Aufsteiger, dem neben Willenskraft die nötige Prise Wettkampfglück half. 36 Minuten kontrollierten die Bayern, dann machte es zweimal Peng! in 66 Sekunden: 0:1, 0:2. Den Vergleich mit der August-Pleite 2009 in Mainz (1:2) wies van Bommel pikiert zurück: "Heute sind wir in einer anderen Welt, mit einem Plan, damals verstanden wir den Trainer noch nicht." Auch Uli Hoeneß klang tags darauf beim Defiliermarsch in der Staatskanzlei milde: "Solche Niederlagen wird es in 100000 Jahren immer wieder geben", sagte der Präsident zum Unfall in der Pfalz. Dennoch lohnte es sich, wie so oft bei Hoeneß, die Zwischentöne zu beachten. Van Gaal, hoffe er, "wird die richtigen Schlüsse ziehen", und zeitweise, das schon, sei ihm das Team am Betzenberg "überheblich" vorgekommen.

Arjen Robben, der zentrale Antriebsspieler der Vorsaison, ist verletzt, auch das ist ein Problem - und er fehlt noch länger. Noch mindestens zehn Wochen Pause kalkulieren die Bayern für ihren Dribbler. Um am gerissenen Muskel neue Einblutungen zu verhindern, darf Robben zurzeit nur spazierengehen und muss öfter das Bein hochhalten. Die Bayern haben ihn in den Urlaub geschickt, Manager Christian Nerlinger hält es für "mehr als fraglich", dass Robben in der Hinrunde zum Einsatz kommt.

Noch streben die Bayern in diesem brisanten Fall eine gütliche finanzielle Einigung mit dem niederländischen Verband an, der Robben zur WM mitnahm, was aus Münchner Sicht unverantwortlich war. Auf sich beruhen lassen werden die Bayern die Sache keinesfalls, zumal sie vergeblich versucht hatten, ihren Klubarzt Müller-Wohlfahrt für Kontrolluntersuchungen ins WM-Quartier der Holländer zu schicken; die lehnten das ab.

Kein Magath-Modell

Ohne Robben sah van Gaal in Kaiserslautern das Problem in "Phase vier". Frei übersetzt: kein Punch im Angriff, trotz Feldhoheit. Die dicke Chance zum 1:0 vergab WM-Held Thomas Müller allein vor dem Tor, zum Entsetzen des Trainers ("das muss ein Tor sein"). Danach ließen sich beim 0:1 mehrere Verteidiger leimen, vor dem 0:2 trat Badstuber über den Ball. Man muss das alles nicht überinterpretieren, einen Beschluss jedoch hat der Klub unter dem Eindruck dieses Starts gefällt.

Einer weiteren Verschlankung und Verjüngung des Kaders wird Einhalt geboten, nur Braafheid würde noch die Freigabe erhalten bis zum Ablauf der Transferfrist am Mittwoch. Die von ausländischen Bietern begehrten Demichelis, Gomez und Timoschtschuk, für die van Gaal derzeit keine Verwendung hat, bleiben definitiv; es sei denn, jemand legt eine wahnwitzige Ablöse auf den Tisch.

Es ist ein Signal, auch an den Trainer, dessen fachliche Arbeit intern über Zweifel erhaben ist. Obwohl aus der anfangs unterkühlten Beziehung FC Bayern/van Gaal eine fruchtbare Zugewinngemeinschaft wurde, wahren die Bosse gewisse Prinzipien. Eine Wurzelbehandlung des Vereins wie bei Schalke 04, ein FC-Magath-Modell: alle Macht dem Trainer - das verstieße in München gegen die Klubverfassung. Van Gaals Personalkurs ist klar: Wer keine echte sportliche Perspektive hat, kann gehen, damit im Alltag harmonisches Arbeiten möglich ist. Die sportliche Leitung hielte weitere Weggänge aber offenbar für ein zu großes Wagnis, besonders in der Defensive.

Zudem war eine starke Bank stets eine Kennzeichen der Bayern. Bei nachlassender Konkurrenz, und diese Tendenz gibt es, könnte es den Stammspielern bald zu gut gehen, während sich mancher Reservist mehr Wärme und Zuspruch des Trainers wünschen würde.Moritz Kielbassa

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SZ vom 30.08.2010
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