Süddeutsche Zeitung

Kaderplanung der DFB-Elf:Nichts zu verschenken

Mit Khedira, aber ohne Gomez: Noch tüftelt Bundestrainer Joachim Löw an seinem erweiterten WM-Kader, den er am Donnerstag verkündet. Aber die ersten Tendenzen zeichnen sich bereits ab - Härtefälle nicht ausgeschlossen.

Von Christof Kneer

Er wolle sich mal wieder Ivica Olic und Diego Benaglio ansehen, hat Hansi Flick vor dem Spiel in Stuttgart gesagt. Das war natürlich nur ein Witz, Olic und Benaglio werden auch ohne Flicks Expertise zur WM fliegen, sie vertreten dort Kroatien und die Schweiz.

Wegen des Spielers De Bruyne dürfte Flick ebenfalls nicht zum Bundesligaspiel Stuttgart gegen Wolfsburg gereist sein, der Spieler De Bruyne läuft für Belgien auf und ist für Flick allenfalls mittelbar interessant, weil die DFB-Elf im Achtelfinale - theoretisch - auf Belgien treffen könnte. Die übrigen Wolfsburger WM-Kandidaten Gustavo (Brasilien), Perisic (Kroatien) und Rodriguez (Schweiz) rechtfertigen eine Spesenabrechnung ebenso wenig wie Stuttgarts WM-Spieler Ibisevic (Bosnien) und Gruezo (Ecuador).

Wer also sonst? Der gute, alte Christian Träsch? Die VfL-Talente Knoche und Arnold, die VfB-Talente Rüdiger und Werner? Klingt alles einigermaßen absurd. Andererseits: Warum eigentlich nicht?

Am Donnerstag werden Joachim Löw und sein Assistent Hansi Flick ja nicht nur ihren erweiterten WM-Kader bekannt geben, sie müssen parallel auch einen Kader fürs Testspiel gegen Polen herausgeben (13.5.), bei dem wegen des deutschen Pokalfinales sämtliche Münchner und Dortmunder fehlen werden. Am Wochenende sind Löws Späher also zu einer letzten Inspektionsreise aufgebrochen, sie haben die Stadien der Liga noch mal nach tauglichen Spielern für beide Kader durchkämmt.

Flick saß in Stuttgart, Andy Köpke untersuchte die Bayern beim HSV, Chefscout Urs Siegenthaler warf beim Spiel in Frankfurt einen letzten Blick auf die Leverkusener Profis, und der in Freiburg wohnhafte Bundestrainer nutzte die Gunst des Spielplans zu einem Besuch in Freiburg, wo er neben dem aussichtsreichen Freiburger WM-Kandidaten Matthias Ginter zum Beispiel auch das Schalker Talent Leon Goretzka zu Gesicht bekam; der 19-Jährige könnte dem Polen-Aufgebot angehören, und ihm trauen sie auch zu, dass er sich bei der Gelegenheit vielleicht sogar fürs anschließende Trainingslager in Südtirol qualifiziert.

Löw muss diesmal eine Rechenaufgabe lösen, von der er jetzt schon ahnt, dass sie nur schwer aufgeht. Er muss gerade mit so viele Verletzten, halb Verletzten und gerade erst Gesundeten kalkulieren, dass man leicht den Überblick verliert. Erst am Mittwoch wird Löw mit seinen Vertrauten die letzten Details verhandeln, er wird dabei eine spezielle Fitnessformel entwickeln müssen: Wie viele Spieler, denen Fitness oder Spielpraxis fehlt, verträgt ein Kader? Und wer ist so wichtig, dass man für ihn vielleicht die eigenen Grundsätze verrät?

Die Antwort auf die letzte Frage dürfte Sami Khedira lauten. Der Mittelfeldspieler, der schon in Stuttgart als herausragender Geneser galt, hat es fünfeinhalb Monate nach seinem Kreuzbandriss tatsächlich in den Kader von Real Madrid geschafft; am Sonntagabend, beim 2:2 gegen Valencia, saß er schon wieder auf der Bank.

"Es gibt Spieler, die einen Mehrwert für die Mannschaft haben, auch wenn sie nur zu 80 oder 90 Prozent fit sind": Mit dieser Aussage hatte Löw dem Real-Profi bereits im März einen Platz im WM-Flieger optioniert, und so wird Löw nun also versuchen, Khedira übers Trainingslager in eine halbwegs seriöse Turnierform zu bekommen.

In den hinteren Reihen seines Kaders wird Löw viele kleine, schwere Entscheidungen über Höwedes, Jansen, Kruse oder Durm treffen müssen, aber besonders schwer werden ihm die Beschlüsse fallen, die die vorderen Reihen betreffen. Es werde Härtefalle geben, auch das predigt Löw seit Monaten, und inzwischen zeichnen sich die ersten eindeutigen Tendenzen ab.

Es sind ja die prominentesten Namen, die wenig vertrauenerweckende Monate hinter sich haben: Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose, Mario Gomez, auch Lukas Podolski. Letzterer ist im Trainerstab durchaus umstritten, aber am Ende dürften die Treuepunkte den Ausschlag geben, die Podolski über all die Jahre beim Bundestrainer gesammelt hat.

Er wird es wohl bis Brasilien schaffen, Schweinsteiger sowieso, auch Miroslav Klose trauen die Trainer zu, dass er seinen knapp 36-jährigen Körper mit einigem Ächzen wieder auf ein Niveau trimmt, das einen WM-Kaderplatz rechtfertigt. Allerdings dürfte ein "Ja" zu Klose wohl ein "Nein" für Gomez bedeuten; Löw wird sich nicht den Luxus erlauben können, zwei Kaderplätze zu verschenken, in dem er zwei Mittelstürmer durchs Turnier schleppt.

Bis zum italienischen Pokalfinale wolle er wieder gesund geschrieben sein, das war der Plan, den Gomez stets tapfer verkündet hat, aber nun ist das Spiel vorüber, und Gomez ist immer noch vom Sport befreit.

Ein einziges Spiel über 90 Minuten hat der Stürmer vom AC Florenz in den vergangenen sieben Monaten bestritten und sich ansonsten mit Verletzungen beschäftigt, von denen die Fußballwelt bisher nichts ahnte; zurzeit kuriert Gomez eine Blessur am Kollateralband im linken Knie. "Ich befürchte, dass wir Mario bis Ende der Spielzeit nicht sehen werden", sagt Gomez' Vereinstrainer Vincenzo Montella.

Zwei Tage wird Löw jetzt noch tüfteln und puzzeln, und danach wird er hoffen, dass ihm das DFB-Pokalfinale nicht noch den Kader durcheinanderwirft. Die Münchner bilden das Zentrum seines Teams, und Löw hat inzwischen auch beschlossen, den münchnerischsten aller Münchner ins Zentrum seiner Elf zu stellen: Philipp Lahm wird bei der WM wohl im defensiven Mittelfeld spielen - neben dem münchnerischen Münchner Bastian Schweinsteiger. Oder vielleicht sogar neben Sami Khedira, dem herausragenden Geneser.

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SZ vom 06.05.2014
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