Juventus Turin:Minimalismus in Perfektion

Auf dem Platz produziert die Elf von Juventus Turin Maßarbeit, doch den Klub erschüttern Skandale.

Birgit Schönau

Rom - Patrick Vieira wird beim Champions-League-Treffen in München nicht spielen. Eine Muskelentzündung im Unterleib setzt dem 29-jährigen Franzosen zu, mindestens zwei Wochen Ruhe haben ihm die Ärzte verordnet. Man weiß also auch nicht, ob der sensationellste Transferfall des Sommers (Vieira kam aus London vom FC Arsenal) für das Rückspiel zwischen Juventus und dem FC Bayern am 2. November fit sein wird. Für jede andere Mannschaft wäre das ein harter Schlag, zumal da es zu einem nicht unbedeutenden Teil Verdienst des hünenhaften Neuen im Mittelfeld ist, dass Juve in dieser Saison sämtliche Spiele gewonnen hat. Aber sie siegen auch ohne ihn, wie zuletzt am Samstag gegen Messina, eine solide Partie mit einem spektakulären Treffer des ewigen Stehaufmännchens Alessandro Del Piero und dem souverän verwalteten, typischen Juve-Ergebnis: 1:0.

Den Bayern war dieses Resultat in der letzten Saison gleich doppelt widerfahren. Es ist Fabio Capellos Lieblingsresultat, keine Frage, aber es muss sich nicht unbedingt Minimalfußball dahinter verbergen. Capello, der Kunstsammler, Gourmet und Opernfreund, ist ein Ästhet, für den ein wohl gesetztes, taktisch rundes und technisch ziseliertes Einszunull höhere Perfektion birgt als ein ausuferndes, farbiges, aber chaotisches Vierzudrei. Dass Juve es neuerdings selten bei einem Törchen belässt, liegt an seinen übermotivierten Stürmern.

"Im Sturm habe ich die Qual der Wahl", schwärmte Capello nach dem siebten Liga-Sieg nacheinander. Wohl wahr: Neben dem nach Knieblessur vermutlich einsatzbereiten Schweden Zlatan Ibrahimovic wären da der Franzose David Trezeguet (102 Treffer), der Edelreservist Del Piero (177 Tore) und der Rumäne Adrian Mutu, dem Juve nach seinem Kokainskandal beim FC Chelsea nun Asyl gewährt. Was dem Image der Alten Dame nicht unbedingt zuträglich war, doch davon später.

Minimalismus in Perfektion

Das Mittelfeld ist mit Nedved, Emerson und dem nach ein paar blassen Jahren in Höchstform aufspielenden Italo-Argentinier Camoranesi derart gut besetzt, dass Vieiras Ausfall keine Gleichgewichtsstörungen bedeuten dürfte. Auf der linken Seite rennt in unermüdlicher Selbstverleugnung (er wäre lieber rechts angesiedelt) Gianluca Zambrotta, sein Gegenpart ist der bedächtige Gianluca Pessotto. Bei einem Torverhältnis von 13:2 in der Liga ahnt man, dass das Herzstück von Capellos ungeheuer selbstbewusst auftretender Mannschaft wie eh und je weit hinten angesiedelt ist. Wobei Nationalkeeper Gianluigi Buffon gar nicht mitspielt. Weil er sich im sommerlichen Freundschaftsspiel gegen den AC Mailand verletzte, schickte Milan großzügig als Vertretung seinen dritten Torwart Christian Abbiati. Prompt erlebt der von Klub und Nationalteam ausgemusterte Keeper in Turin einen zweiten Karrierefrühling und steht schon in den Startlöchern für die WM. Robert Kovac, vom FC Bayern gekommen, hingegen drückt bei Capello bevorzugt die Reservebank.

Uneinholbar erscheint der Rekordmeister auf dem Weg zum 29. Titel schon jetzt seinen Verfolgern. Eine Mannschaft wie aus einem Guss - der als "Feldmarschall" berüchtigte Capello hat in seiner zweiten Turiner Saison das fertig gebracht, wovon seine Konkurrenten in Mailand weiter träumen müssen. Sicher wird woanders schöner gespielt, doch Juves Motto lautet in Abwandlung eines berühmten Bonmots von Giulio Andreotti immer noch: "Das Ergebnis verschleißt den, der es nicht hat."

Und doch knirscht es im Gebälk. Der Klub mit den angeblich meisten Fans weltweit hat zu Hause immer weniger Publikum (7000 zahlende Gäste gegen Messina, nur 23000 verkaufte Dauerkarten), das Spielzeug der einstigen italienischen Ersatz-Königsfamilie ist erschüttert von Skandalen. Noch immer gehört Juve den Agnellis, doch die Geschicke leitet Generaldirektor Luciano Moggi. Der Mann, den Gianni Agnelli einst verächtlich "meinen Stallmeister" nannte, gilt als größter Strippenzieher in Italiens Fußball, auch die beiden Söhne mischen - Interessenkonflikte sind kein Privileg des Premiers Berlusconi - als Spielervermittler mit. Als Juve-Arzt Riccardo Agricola wegen systematischen Dopings des kickenden Personals von einem Turiner Gericht in erster Instanz verurteilt wurde, beschlossen Moggi und sein Manager-Kollege Antonio Giraudo (Freispruch aus Mangel an Beweisen), die Angelegenheit auszusitzen und die Rufe nach einer Suspendierung des kompromittierten Mediziners zu ignorieren. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Moggi.

Er steht unter dem Verdacht der Beihilfe zum betrügerischen Bankrott von Como Calcio. "Ich werde mit Schlamm beworfen, aber ich lasse denen den Spaß", verteidigt sich Moggi, doch die Ära des mysteriösen "Stallmeisters" scheint sich dem Ende zuzuneigen. Bei den Nachfahren des "Avvocato" Agnelli ist er in Ungnade gefallen. Moggi und Giraudo seien wie Kain und Abel, frotzelte der wenig bibelfeste Agnelli-Enkel Lapo Elkann kürzlich, nachdem er die Juve-Manager aufgefordert hatte, sich doch mal ein Lächeln ins Knopfloch zu stecken. Fürs Image. In der letzten Woche wurde Elkann mit einer Überdosis Kokain in der Wohnung eines Transvestiten gefunden und in letzter Minute gerettet. Juve-Tifosi trugen für ihn aufmunternde Spruchbänder ins Stadion. Der Schock ist groß in Turin. Für Juventus heißt das: Siegen, um zu vergessen.

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