Fußball in Italien:Juves Fans begehren gegen Allegri auf

Fußball in Italien: Hohes Maß an Selbstironie: Massimiliano Allegri (r.) feiert den nächsten Meistertitel der Juventus.

Hohes Maß an Selbstironie: Massimiliano Allegri (r.) feiert den nächsten Meistertitel der Juventus.

(Foto: Isabella Bonotto/AFP)
  • Juventus hat unter Coach Allegri seine fünfte Meisterschaft in Serie gewonnen.
  • Der Trainer steht für die Juve-Philosophie, doch plötzlich scheint das nicht mehr zu genügen.
  • Die Fans fordern im Netz kurz nach dem Gewinn des Titels: #AllegriOut.

Von Birgit Schönau, Rom

Stell' dir vor, du bist Fußballtrainer beim FC Juventus und hast gerade das geschafft, was in 122 Jahren Vereinsgeschichte noch nie jemandem gelang: Den fünften Meistertitel in Serie zu holen - noch nicht einmal Marcello Lippi hatte das vollbracht, der brauchte für seine Handvoll Juve-Krönungen mehr Zeit. Du aber hast insgesamt eh sechs Titel gewonnen, vor deiner Zeit in Turin warst du schon einmal ganz oben, mit Milan.

Sechsmal die Serie A gewonnen, erfolgreicher war nur Giovanni Trapattoni zu einer Zeit, da der Fußball noch Schwarzweiß war und in Zeitlupe zelebriert wurde, nicht nur in Turin. Du bist also ganz oben im Juventus-Olymp, hast fünf Spieltage vor Saisonende den ewigen Verfolger aus Napoli endgültig abgeschüttelt, mit einem Heimsieg über einen anderen alten Lieblingsrivalen, den AC Florenz. Im Stadion wirst du höflich beklatscht, aber nicht, wie in früheren Jahren, bejubelt. Und kaum bist du zu Hause, da ist dieser Hashtag im Netz, tausendfach geteilt: #AllegriOut.

So absurd es klingt - eine überwältigende Mehrheit der Juventus-Fans ist von Massimiliano Allegri enttäuscht. Weil sie die Champions League von ihm erwartet haben, endlich, nach 23 Jahren. Statt den Pokal auf die Piazza San Carlo zu bringen, ist Allegris Juventus vergangene Woche gegen Ajax Amsterdam rausgeflogen, im Viertelfinale, genau wie 2018. Nur, dass Cristiano Ronaldo damals noch für Real Madrid spielte, das zuerst die Juve aus dem Wettbewerb kegelte und anschließend das dritte Finale in Serie gewann. Im Sommer war der Portugiese dann nach Turin geholt worden, für ein Transfergeld von 117 Millionen Euro und ein Jahresgehalt, das vier Mal so hoch ist wie das seines Trainers Allegri.

Cristiano Ronaldo bekommt 31 Millionen Euro netto, und dieser Batzen Geld wird in ihn investiert, um das große Ziel zu erreichen: die Champions League eben. In Italien siegt man ja sowieso. Tempi passati die Versagensängste des Präsidenten Andrea Agnelli, der einen riesigen Bammel davor hatte, als Einziger in seiner Familie nichts zu gewinnen. Inzwischen hat Agnelli mit seinen 43 Jahren längst mehr Meistertitel gesammelt als sein Vater, sein Onkel und sein Großvater und kann es sich in jeder Hinsicht leisten, den Sieg in Europas Königsklasse als seine persönliche Obsession zu pflegen.

Zwei Mal hat Allegri es ins Finale geschafft, 2015 und 2017. Zwei Mal wurde er geschlagen. Vor zwei Jahren, nach dem 1:4 gegen Real Madrid, wollte der Trainer gehen. Angebote hatte er genug, Englisch lernte er bereits seit Jahren. Aber Agnelli überzeugte ihn, zu bleiben. Für die nächste Woche ist wieder ein Gespräch zwischen dem Präsidenten und seinem Chefcoach angesetzt, am Ende einer Saison, in der Allegri die wenigsten Erfolge holte. Nur einen Titel, noch nicht mal den Pokal. Von 2015 bis 2018 gab es für die Juventus vier Italien-Cups hintereinander.

Nur ein Konflikt drang nach außen

Aber kann Juventus wirklich auf Allegri verzichten? Der 51-jährige Spross einer Hafenarbeiterfamilie aus Livorno hat die traditionelle Juve-Philosophie, den stile juventus, bis dato perfekt verkörpert. Pragmatisch bis zur vollkommenen Abwesenheit von Eitelkeit, diszipliniert aber mit einem hohen Maß an Selbstironie, experimentierfreudig ausschließlich im Dienst des Resultats, vor allem stets loyal einem Management gegenüber, das von ihm alljährlich Siege vom ersten Spieltag an erwartet, mit einer geräuschlosen und perfekten Integration der Neuen.

Allegri sah Pirlo, Vidal und Pogba ziehen, Pjanic, Mandzukic und Cristiano Ronaldo kommen. Leonardo Bonucci sah er sogar gehen und kommen, ersteres nicht ungewollt, letzteres auf Anordnung von oben. Der Konflikt mit dem grimmigen Verteidiger war der einzige, der in Allegris fünf Jahren bei Juventus jemals nach außen drang.

Selbst Andrea Pirlo, der bei Milan nicht mit dem Coach warm wurde, hat für Allegri nur lobende Worte. Wer ihn bei Juventus ersetzen sollte, wissen auch die vom Hashtag AllegriOut nicht so recht. Antonio Conte? Der hatte vor Allegri drei Meistertitel nach Turin geholt, war aber international nie konkurrenzfähig und ist seit seiner Entlassung durch den FC Chelsea im Juli 2018 arbeitslos. Vorher hatte Conte ein kurzes Gastspiel bei der Squadra Azzurra gegeben, die er genau so aufmöbelte wie zuvor die Juve. Seine Mannschaften geben eine Zeit lang alles, bis sie sich ausgepresst fühlen wie eine Zitrone.

Conte ist ein superehrgeiziger, vollkommen ironiefreier Antreiber, kein Mann der geduldigen Integration. Aber Juventus ist immerhin seine Heimat. Andere Kandidaten, von Tuchel bis Klopp, von Guardiola bis Emery kann man sich kaum als demütige Adepten Piemonteser Effizienzfußballs vorstellen, zu schweigen von Mourinho oder Simeone, die in Turin richtiggehend verhasst sind.

Wer auch immer nach dem Sommer das Training bei Juventus führt, wird Cristiano Ronaldo im Aufgebot haben. Den Meistertitel hätte Juve auch ohne CR7 geholt, ins Viertelfinale ist die ermattet wirkende Mannschaft aber dank seiner Tore gezogen. Cristiano Ronaldo ist gut fürs Geschäft, der Umsatz boomt, Ruhm und Wert der Juventus steigen. Er ist der Star, um den sich alles dreht und der auch für die nächste Saison wieder alles verspricht. Das legendäre Kollektiv der bianconeri wurde in letzter Zeit ganz auf den Einen zugeschnitten, und dazu passt, dass jetzt auch noch die Streifen vom Trikot verschwinden. Zugunsten einer Zweiteilung in Schwarz und Weiß, mit einem rosa Streifen in der Mitte. So gewandet zieht man dem nächsten Meistertitel entgegen. Massimiliano Allegri muss sich dieses Hemd nicht anziehen.

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