Süddeutsche Zeitung

Basketballer Justus Hollatz:Der Dirigent der Zukunft hat Flair

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Kein Dennis Schröder, kein Maodo Lo, dafür Justus Hollatz: Deutschlands kommender Stratege erinnert an einen seiner Vorgänger im DBB-Trikot - mit ihm am Steuer geht das Nationalteam hoffnungsvoll ins WM-Jahr.

Von Jonas Beckenkamp

Wer weiß, wie alles gekommen wäre, wenn Justus Hollatz als Zwölfjähriger lieber den längeren Weg auf sich genommen hätte: vom Hamburger Stadtteil Langenbek bis auf den Kiez. Erst über die Süderelbe, dann über die Norderelbe, "vier, fünf Mal die Woche, immer eine Stunde fahren", wie er sagt. Auf dem Kiez hätten sie ihn jedenfalls gerne genommen, im Fußball-Nachwuchs des FC St. Pauli.

Doch nach einem erfolgreichen Probetraining sagte Hollatz der U14 des Klubs ab. "Ich hatte zu der Zeit mehr Spaß am Basketball", sagt er, und die Anfahrt zur Halle der BG Harburg Hittfeld dauerte auch nur zehn Minuten. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung ein Glücksfall für den deutschen Basketball. Denn Hollatz, 21, hat es nach vier Jahren bei den Hamburg Towers und einer halben Saison in der spanischen Liga bei CB Breogán bis ins Nationalteam gebracht - als Co-Kapitän.

In dieser Funktion übernimmt er dieser Tage im deutschen Trainingscamp wichtige Aufgaben. Zum Beispiel Aufsager für die Video-Kanäle des Deutschen Basketballbundes (DBB) vor dem vorletzten WM-Quali-Spiel gegen Schweden. Oder Zeiten fürs Abendessen koordinieren und den Kollegen die Angriffssysteme erklären.

"Schon eine Ehre", meint er, es sei ja auch "ein Signal, dass man gute Arbeit geleistet hat". Seine Maloche hat ihm zudem eine Rolle als Chefstratege bei der Partie in Frankfurt (Freitag 19.30 Uhr auf Magentasport) und in Espoo gegen Finnland eingebracht. Das ist die Gegenwart. Und auch Hollatz' Perspektiven klingen verlockend: Falls Dennis Schröder (29, LA Lakers) oder Maodo Lo (30, Alba Berlin) künftig langsam den Rückzug vom DBB antreten sollten, stünde er bereit. Mit ein wenig mehr Veteranengespür kann er Motor, Gehirn und Organisator Nummer eins sein.

Schließlich gab es einen wie ihn lange nicht, vielleicht sogar nicht mehr seit den Tagen von Kai Nürnberger. Ihm ähnelt Hollatz mit seiner Spielweise alter Prägung am ehesten, auch wenn er mit 1,91 Metern größer ist als der Europameister von 1993. Mit Pässen vollendete Pick-and-Roll-Manöver, Tempoanschübe im Dribbling, Attacken durchs Getümmel: Hollatz' Aktionen haben Flair.

Knapp 30 Jahre ist es her, seit Nürnberger im Nationalteam ähnliche Pirouetten drehte. Doch anders als damals, als nach dem großen Triumph bis zur Nowitzki-Ära wenig folgte, steht es heute günstig um den Basketball in Deutschland. Die Teilnahme an der WM in diesem August, in Japan, auf den Philippinen und Indonesien, ist bereits gesichert. Die Chance auf das nächste Olympia-Abenteuer nach 2021 hält die Mannschaft im Kern zusammen - trotz aller terminbedingten Absagen bei Qualifikationsspielen.

Basketball-Bundestrainer Herbert baut auf Justus Hollatz als Spielmacher

"Es ist eine Chance, unseren jungen Spielern Erfahrung auf internationaler Bühne zu geben", findet Bundestrainer Gordon Herbert, "diese Gruppe ist die Zukunft." Und damit meint er explizit auch Hollatz, der Basketball versteht, Spielzüge aufsaugt und eine nonchalante Selbstgewissheit verkörpert. Einzig den Dreier muss er noch verbessern, Kopfsache, sagt er: Er müsse jederzeit "ready sein zu werfen".

Aktuell befindet sich die Nationalmannschaft in einer Art Zwischenphase, denn wieder fehlen NBA-Profis wie Schröder und die Wagner-Brüder sowie alle Euroleague-Akteure aus München und Berlin. Aus Mailand stößt am Spieltag immerhin der international erfahrene Johannes Voigtmann dazu.

Aber es muss sich keiner grämen: In Frankfurt wird die Halle zumindest gut besucht sein. Das liegt auch an Verheißungen wie Hollatz, der im vergangenen Sommer als Teilzeitarbeiter mithalf, Bronze bei der Heim-WM zu holen. Im Vorrundenspiel gegen Ungarn hatte er seinen Auftritt, als die Etablierten pausierten: fünf Punkte und elf Assists, ein Erlebnis, das Lust auf mehr weckte.

"Krass, diese Atmosphäre mitzuerleben, wirklich unbeschreiblich. Dazu jeden Tag trainieren gegen Dennis oder Maodo, da konnte man sich viel abkucken," erinnert sich Hollatz, der schon damals großes Vertrauen vom Bundestrainer spürte. Herbert scheint auf ihn zu bauen, und wenn nichts Gravierendes dazwischen kommt, dürfte er nach der EM bald auch eine WM spielen.

Die Turnierplanung kann jedoch erst nach der Gruppenauslosung am 29. April richtig beginnen. Erst klärt sich, gegen wen und vor allem in welchem der drei Ausrichterländer die Deutschen ihre Vorrundenspiele absolvieren. Und Justus Hollatz hat noch ein Ziel: die NBA. Bis zum Sommer muss er sich entscheiden, ob er sich zur Talenteziehung, dem Draft, anmeldet. "Der Traum ist absolut am Leben, es muss ja nicht zwingend über den Draft gehen", sagt er. Er wird sich seine nächste Evolutionsstufe gut überlegen - so wie damals, als er sich für den einen Sport entschied.

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