Und jetzt die Wahrheit: Das war gar nicht das letzte Champions-League-Spiel in der Trainerkarriere von Jupp Heynckes. Hat er selbst so gesagt, als er kurz vor Mitternacht im Presseraum des Estadio Santiago Bernabéu Platz genommen hatte.
Nun muss niemand befürchten, dass sich der 72-Jährige in weitere Abenteuer stürzen will - im Gegenteil. Dieses 2:2 gegen Real Madrid konnte nicht das letzte Champions-League-Spiel seiner Karriere sein, weil Heynckes all das, was man gemeinhin mit dem Begriff Karriere verbindet - die persönlichen Ambitionen, das Streben nach Anerkennung -, lange hinter sich gelassen hat. "Das letzte Spiel meiner Karriere", sagte er, "das war das Endspiel 2013 gegen Dortmund."
Real Madrid gegen Bayern:Warum Real verdient im Finale steht
In den Champions-League-Duellen der beiden großen Mannschaften zeichnet sich ein Muster ab: Die Bayern spielen besser, doch am Ende gewinnt Real Madrid. Aber was heißt schon "besser"?
So gesehen hat Jupp Heynckes seine Champions-League-Karriere mit einem großen Sieg beendet. Damals. In Wembley.
Aber man konnte am Dienstagabend auch nicht drum herumreden: Noch einmal wird Heynckes kaum zurückkehren auf die größte Bühne des Klubfußballs. "Natürlich ist das heute eine Situation, wo ich weiß: Jetzt ist es endgültig", sagte er, "und das ist auch gut so. Nicht viele mit 72 gehen solche Abenteuer noch ein."
Ein bisschen wehmütig sah er aus, dieser bis zum Schluss akkurat bürstenfrisierte Senior vom Niederrhein, während er jede Wehmut leugnete: "Nein, ich habe da keine Emotionen in der Art, dass ich sage, ach, jetzt ist es vorbei. Ich bin nur enttäuscht über das heutige Ergebnis. In den neun gemeinsamen Monaten hatten wir eine wunderbare Atmosphäre, das ist eine Truppe, die Charakter hat, und es ist schade, dass sie nicht belohnt wurde."
Sowieso ist an solchen Abenden selten Zeit für das große Ganze, höchstens für das Große im Kleinen: Heynckes sagte was über Tolisso ("gut gespielt bis auf den Rückpass zum 2:1, der unnötig war"); Heynckes sagte was über Süle ("wenn er so weitermacht, wird er ein Weltklassespieler"); Heynckes sagte was über den unglücklichen Torwart Ulreich ("er hat einen Blackout gehabt, das ist bitter"). Dann war schon alles gesagt, Heynckes stand auf und ging. Tür auf, Tür zu, schon hatten ihn die Katakomben des Bernabéu verschluckt, diesen Coach, der doch zur Champions League gehörte wie die Holzvertäfelung in die bayerische Gaststube - oder etwa nicht?
1998, 2012, 2013: Bisher erreichte er als Trainer immer das Finale
Nein, eigentlich nicht. Tatsächlich war Heynckes nur in vier Spielzeiten Trainer einer Champions-League-Elf: 1997/98 hatte er mit Real Madrid auf Anhieb gewonnen (und musste danach trotzdem gehen), dann folgte eine Pause bis 2011/12 (Endspiel gegen Chelsea) und 2012/13 mit den Bayern. Bei drei Versuchen erreichte er dreimal das Finale - auch so eine Statistik, die als gutes Omen herhalten musste vor dem vierten Versuch. Aber Statistiken allein gewinnen halt keine Spiele.
Trotzdem: Dass er ihnen wenigstens dieses hochintensive Halbfinale beschert hat, die "beste Werbung, die man für den Fußball betreiben konnte" (Klubchef Karl-Heinz Rummenigge), das rechnen sie Heynckes hoch an. Man müsse ja "auch sehen, wo wir herkommen", sagte etwa der Sportdirektor Hasan Salihamidzic, als seien die Bayern unlängst knapp dem Abstieg entgangen - er meinte die fünf Punkte Rückstand auf Dortmund und ein 0:3 bei Paris Saint-Germain, die im vergangenen Oktober den Rauswurf von Carlo Ancelotti unumgänglich gemacht hatten.
Der per Freundschaftsdienst reaktivierte Heynckes hat dann an vielen Schräubchen gedreht, er hat die in Einzelteile zerfallene Mannschaft wieder geeint, er hat sie an ihren Mia-san-mia-Favoritenfußball erinnert, er hat auch großen Wert auf Prävention gelegt bei den ihm anvertrauten Millionenkörpern - und trotzdem nicht verhindern können, dass am Ende fast eine halbe Stammelf nicht zur Verfügung stand: Neuer, Coman, Vidal, Boateng, Robben.
Schlechte Chancenverwertung? Heynckes zeigt Milde
Heynckes hat trotzdem nicht gejammert. Er hat einfach nur nüchtern festgestellt, dass er den FC Bayern am Dienstagabend "so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen" habe. Schönen Gruß übrigens an seine Vorgänger. Auch das ist eine der bemerkenswerten Fähigkeiten des Jupp Heynckes: dass Eigenlob bei ihm immer nur im Subtext wie Eigenlob klingt.
"Ich war ja selbst ein nicht ganz so schlechter Spieler", sagte er noch, ehe ihn die Katakomben verschluckten - aber auch dieser Hinweis sollte nur, quasi aus der Praxis, das Verständnis und die Milde unterstreichen, mit der er die erneut maue Chancenverwertung zur Kenntnis nahm: "Ich weiß aus eigener Erfahrung, wenn man als Stürmer immer hohes Tempo gehen muss, dazu noch nach hinten mitarbeiten, dann fehlt vorne manchmal die letzte Konzentration und Kraft, um richtig abzuschließen." Aber: "Wenn man zwei Tore im Bernabéu schießt, dann sollte das für eine Verlängerung eigentlich reichen, wenn nicht für einen Sieg."
Es hat nicht gereicht. Aber Jupp Heynckes hat nicht das Gefühl, dass ihm persönlich jetzt was fehlt.