Süddeutsche Zeitung

Jupp Heynckes wird 75:Die Leuchtgestalt

Lesezeit: 4 Min.

Er war Weltklasse als Spieler und Trainer, an diesem Samstag feiert Jupp Heynckes seinen 75. Geburtstag. Gerade jetzt könnte ihn die Bundesliga gut gebrauchen.

Von Christof Kneer, München

Kann das sein? Wenn man in diesem Internet, das Uli Hoeneß ablehnt, den Namen "Heynckes" eingibt, wird man zu völlig irritierenden Einträgen gelenkt. In diesen Einträgen werden zwar präzise die Spiele und Tore dieses Heynckes aufgelistet, und auch die Bilder, die sich in diesen Einträgen finden, sehen sehr nach Heynckes aus. Aber muss man die Seriosität all dieser Quellen nicht in Zweifel ziehen, wenn schon der Name nicht stimmt?

Also wirklich: Josef Heynckes! Josef!

Es gibt weltweit nur zwei Autoritäten, die Josef zum Jupp sagen: das Internet - und manchmal Hermann Gerland.

Jupp Heynckes hat gerade versichert, dass er keine öffentliche Anerkennung mehr braucht, deshalb muss sich die Öffentlichkeit auch keine Hoffnungen machen: Sie wird keine Einsicht in die Briefe, Mails und SMS-Nachrichten erhalten, die am Samstag auf Heynckes' Anwesen am Niederrhein eingehen. Aber sie werden alle an "Jupp" gerichtet sein. Jupp wird 75.

Otto Rehhagel sei ein "Kind der Bundesliga", Friedhelm Funkel auch, das sagt man immer so, auch wenn man gerne mal wüsste, wer dann Vater und Mutter sind. Was Heynckes ist, weiß man auch nicht genau, womöglich ist er der Patenonkel der Bundesliga. Er ist nicht nur ein Teil von ihr, er steht für sie. Jedenfalls ist Heynckes - Beate Rehhagel, bitte weghören! - auf seine Art größer als die meisten anderen.

Es kann keinen Zweifel geben: Bringt man die Qualitäten von Spieler und Trainer gemeinsam in die Wertung, dann ist Heynckes in der Liga unerreicht. Er war in beidem Weltklasse, und zwar für lange Zeit - anders als Franz Beckenbauer, der ja nur aus einem einzigen Grund mal kurz ein bisschen Trainer war. Weil er's konnte.

Selten dürfte eine Mannschaft ihrem Trainer so gefolgt wie 2013 beim Gewinn des Triples

Von allen Bundesligaspielern, die später Bundesligatrainer wurden, hatte Heynckes die beste Mischung, oder Michung, wie er auf Niederrheinisch sagen würde. Heynckes war ein Stürmer, der in dem herrlich sinnlosen "Wer-könnte-heute noch-mithalten?"-Folklorespiel gut abschneiden würde, er hatte ja schon damals jene Qualität, die heute zum kostbarsten Gut des Spiels geworden ist. Sein hohes Tempo hielt ihn nicht davon ab, den Ball zu kontrollieren, was unvermeidlich zu akuter Torgefahr führte: In 369 Ligaspielen schoss er 220 Tore, er wurde mit Mönchengladbach viermal Meister und zu einem Kind der sagenumwobenen Fohlen-Elf, bei der zumindest die Vaterschaft feststeht (Trainer Hennes Weisweiler).

Heute, da Heynckes als der große, alte Mann des Fußballs gilt, der mit dem FC Bayern das Triple (2013) und die Champions League sogar mit Real Madrid gewonnen hat (1998), heute also lohnt es sich, noch mal ans Jahr 1979 zu erinnern. Heynckes war Nagelsmann. Er war 34 und in Gladbach der jüngste Trainer der Liga, und es lohnt sich auch, noch mal in die Aufstellungen von damals zu schauen. Ewald Lienen oder Winfried Schäfer, deren Zeiten als Bundesliga-Trainer längst vorbei sind, waren schon seine Spieler.

Heynckes war beides, er war mal der jüngste und mal der älteste Trainer der Liga, und es wäre ein Wunder, hätte er sich in 40 Jahren auf der Bank nicht auch entwickelt. Heute "entwickeln" Trainer ihre Spieler, und Vereine "entwickeln" junge Trainer, ein scheußliches Modewort ist das geworden, und bestimmt spricht auch das für Heynckes: Dass ihn als Trainer niemand entwickelt hat. Er hat das selbst getan, er oder das Leben oder die Liga, was sowieso dasselbe ist. Gerade jetzt, zum Fünfundsiebzigsten, bräuchte ihn die Liga dringend - als moralische Instanz, der man abnimmt, dass der Profifußball sich in der Corona-Krise um Seriosität bemüht.

Der heutige Heynckes wäre der richtige Mann, um jenen Flohzirkus zu hüten, dessen unreifste Vertreter in der Kabine unreife Videos drehen. Der heutige Heynckes bekommt zum Geburtstag rührende Grüße, per du von Bastian Schweinsteiger ("Ich kenne niemanden, der jemals schlecht über dich gesprochen hat") oder per Sie von Toni Kroos ("an Ihnen sieht man, was möglich ist, wenn man jungen Spielern vertraut und ihnen auch schlechte Spiele verzeiht") - aber natürlich weiß der heutige Heynckes selbst am besten, dass es auch mal einen früheren Heynckes gab.

Es gab Zeiten, da galt der Trainer Heynckes als pedantisch und ein wenig stur, er war weder Charismatiker noch Charmeur, und es gab ein paar vorlaute Buben in diesem Flohzirkus, die sich ab und zu über seinen leuchtend roten Kopf lustig gemacht haben. Heute dürfte Heynckes milde darüber lächeln. Heute, da er zur Leuchtgestalt des deutschen Fußballs geworden ist.

Wer nun zum Fest all die charakterlichen Schmeicheleien hört, könnte leicht vergessen, was für ein Trainer dieser Heynckes auch gewesen ist. Mit fast schon empörender Selbstverständlichkeit hat dieser Mann, dessen Trainerkarriere mit Libero und Manndecker begann, den alten mit dem neuen Fußball versöhnt. Heynckes war der perfekte Coach für den sehr traditionellen FC Bayern, er war so modern wie nötig und so klassisch wie möglich, und sein Meisterstück lieferte er beim Triple 2013: Bayerns Spiel fußte auf einer klaren Struktur, mit dem autoritären Sechser Javi Martínez, dem von Heynckes als Zentralspieler erfundenen Schweinsteiger sowie den Flügelzangen Lahm/Robben bzw. Alaba/Ribéry.

Bayerns Fußball war athletisch und gut organisiert, und man sah diesem Fußball in jeder Sekunde an, dass er etwas gutzumachen hatte. Nach dem verlorenen Finale dahoam, das auch Heynckes nicht so gut aussehen ließ, hat Heynckes die Spieler unter Spannung gehalten und noch härter trainieren lassen, und am Ende grätschte Ribéry an der eigenen Eckfahne. Es waren Momente der emotionalen Perfektion, wie sie in diesem Spiel selten sind: Selten dürfte eine Mannschaft ihrem Trainer so gefolgt sein wie die Bayern diesem Mann, der (angeblich!) Josef heißt.

So sehr hat Heynckes den Klub geprägt, dass er bis heute die Personalpolitik beeinflusst. Weil er sie ein wenig an Jupp Heynckes erinnert, haben die Bayern jetzt den Trainer Flick genommen, der angeblich Hans-Dieter heißt.

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SZ vom 09.05.2020
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