Julian Nagelsmann:Was, wenn er nur Elfter wird?

Champions League - Playoffs - Liverpool vs TSG 1899 Hoffenheim

Beschreitet auch Julians Nagelsmann die Handelsroute Hoffenheim - München?

(Foto: Action Images via Reuters)
  • Es ist das offenste Geheimnis der Welt, dass der FC Bayern begehrliche Blicke auf Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann geworfen hat.
  • Ob die Klubs tatsächlich mal über die Zukunft von Nagelsmann verhandeln, muss sich in der aktuellen Saison erweisen.
  • Der Wunderbube hat erstmals in seiner Karriere jenen Zustand erreicht, in dem er verhindern muss, dass Erfolg zum Problem wird.

Von Christof Kneer

Julian Nagelsmann hat einen Lieblingstag. Klar, er mag auch das Wochenende, zumindest, wenn er mit seiner Mannschaft gewonnen hat, aber es gibt auch einen Tag, den er unabhängig vom Ergebnis lieb hat. Der Donnerstag macht was mit Julian Nagelsmann, für diesen Tag kann er besondere Gefühle entwickeln: Das Spiel am Wochenende ist dann nicht mehr fern, aber es ist auch noch weit genug weg, um noch mal einen herrlichen Trainingstag einzulegen.

Donnerstags setzt Nagelsmann noch mal neue Reize, und er lässt hinter verschlossensten Türen jenen Plan einstudieren, den er für den nächsten Gegner entworfen hat. Er sei ein Trainer, "der gerne und viel und vor allem viel inhaltlich trainiert", sagt Nagelsmann. Er zählt sich nicht zu jenen Coaches, die das Standardprogramm runterlaufen lassen und ansonsten die verschworene Gemeinschaft betonen. Nagelsmann trainiert Inhalt, detailliert und gegnerspezifisch. Und halt: donnerstags.

Am kommenden Donnerstag wird Julian Nagelsmann überhaupt nicht trainieren, am Abend kommt Sporting Braga zum ersten Europa-League-Spiel in der Hoffenheimer Klubgeschichte. Zwei Wochen darauf wird Nagelsmann donnerstags wieder nicht trainieren, da spielt er mit seiner TSG in Rasgrad/Bulgarien. Drei Donnerstage später muss das Training aus einleuchtendem Grund schon wieder entfallen: Abends steigt das Spiel gegen den türkischen Klub Basaksehir.

Das offenste Geheimnis der Welt

Nagelsmann, 30, ist seit anderthalb Jahren Trainer in der Bundesliga, und er hat bisher drei verschiedene Aggregatzustände kennengelernt: erfolgreich, sehr erfolgreich und sehr, sehr erfolgreich. In diesen anderthalb Jahren hat es der junge Mann geschafft, gleich zwei Geschichten zu erzählen: Verehrt wird er einerseits als role model für all die jungen Trainer, die aus den Jugend-Internaten stammen und nun die Liga rocken. Und es ist andererseits das offenste Geheimnis der Welt, dass auch der FC Bayern begehrliche Blicke auf diesen Trainer geworfen hat. Dass er ein Haus im Münchner Umland zu bauen gedenke, verschweigt der junge Herr Nagelsmann keineswegs, aber er stammt ja selbst aus Bayern und seine Frau aus München, also was wollen die Leute?

Das kann Julian Nagelsmann gut: den Leuten klar machen, dass sie sich wieder abregen sollen, alles easy, er ist Trainer in Hoffenheim. Und gleichzeitig auf ebenso selbstbewusste wie legitime Weise andeuten, dass ihn der Job schon mal interessieren würde, da unten in München.

Aber nun muss Nagelsmann erst mal Donnerstage ohne Training überstehen. Er hat erstmals in seiner Karriere jenen Zustand erreicht, in dem er verhindern muss, dass Erfolg zum Problem wird. Er hat eine robuste, taktisch gebildete Elf, aber sie ist nicht so grandios besetzt, dass sie zwingend wieder Vierter wird, und viel und gründlich trainieren kann der Inhaltstrainer zurzeit ja auch nicht. Nagelsmann weiß, welche Rolle die neue Saison auch für seine eigene Karriere spielt: Zwar könnten sich die doch eher routinierten Funktionsträger in München zurzeit gut vorstellen, diesem Rookie ihre Bank anzuvertrauen - aber traditionell favorisieren die Bayern ja Trainer, die schon mehrere Champions-League-Anstecker am Revers tragen. Und nun ist Nagelsmann mit seiner TSG in der Champions-League-Qualifikation ausgeschieden, er hat nichts vercoacht und keinen Unfug angestellt, aber: Ausgeschieden ist halt ausgeschieden.

Eine Geschichte von Lucien Favre zeigt Nagelsmanns Fallhöhe

Von Lucien Favre gibt es eine Geschichte, die zeigt, welche Reflexe die Branche den Bayern unterstellt. Favre und die Münchner hatten sich mal schön angenähert, aber der vorsichtige Schweizer scheute frühzeitige Festlegungen aus einem einfachen Grund: Was, dachte Favre, wenn ich mit meinen Gladbachern nächste Saison nur Achter oder Elfter werde? Fallen die Bayern dann wieder vom Glauben ab?

Diese Geschichte markiert exakt die Fallhöhe für Nagelsmann: Was, wenn seine TSG mit der ungewohnten Doppelbelastung Achter oder Elfter wird? Wird ihn die Branche - vor allem: der Branchenführer - weiter lieben, ehren und begehren?

Diese Saison wird gewiss den Blick beeinflussen, mit dem die Branche diesen Wunderbuben wahrnimmt, aber grundsätzlich muss sich Nagelsmann keine Sorgen machen. Allein die Vereinspolitik des FC Bayern belegt die Wertschätzung für diesen Trainer: So begrüßen sie es in München ausdrücklich, dass ihr Zugang Serge Gnabry jetzt erst mal ein Jahr beim Ausbildungstrainer Nagelsmann verbringt; und die Zugänge Sebastian Rudy und Niklas Süle haben die Bayern auch deshalb gern willkommen geheißen, weil sie zuvor anderthalb Jahre die höhere Nagelsmann-Schule besucht haben. Die Handelsroute München - Hoffenheim hat sich durchaus bewährt in der Vergangenheit, Luiz Gustavo ging von Hoffenheim nach München und David Alaba leihweise in die andere Richtung, dennoch wehren sie sich in beiden Lagern massiv gegen den Verdacht, dass die Nähe von Uli Hoeneß zu Dietmar Hopp zu Freundschafts'gschäfterln führt.

Ein Eingeweihter, der alle Details der Süle-Rudy-und-Gnabry-Deals kennt, sagt, die Verhandlungen seien "knüppelhart" gewesen. Und vielleicht verhandeln sie nächstes Jahr ja über den Trainer.

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