Julian Brandt im DFB-Team:Wohin mit ihm?

09.10.2019, Fussball, Testspiel, Freundschaftsspiel, Saison 2019 2020, Herren, deutsche Nationalmannschaft, Deutschland,

Dynamik in der Box: der deutsche Angreifer Julian Brandt beim Testländerspiel im Oktober gegen Argentinien (2:2).

(Foto: Bernd Müller/imago)
  • Julian Brandt von Borussia Dortmund sucht noch seinen festen Platz im Nationalteam.
  • Er kann auf vielen Positionen spielen - doch wo genau kommen seine Fähigkeiten am besten zum Zug?

Von Philipp Selldorf, Düsseldorf

In dem Lied "Wir sind Leverkusen" wird die Faszination der rheinischen Stadt und ihres führenden Fußballvereins in einem einzigen Reim prägnant zusammengefasst:

"Zwischen Bayer-Werk und Wasserturm, Wupper, Dhünn und Rhein / da schlägt unser Herz für unseren Verein."

Julian Brandt hat dieses Lied oft gehört, es läuft bei jedem Heimspiel in der Bayarena. Dennoch kommen ihm nicht die Gestade von Wupper, Dhünn und Rhein in den Sinn, wenn er über die Leverkusener Vorzüge spricht. Womöglich weiß er nicht mal, dass die Dhünn in die Wupper mündet und dann die Wupper in den Rhein, aber dafür fallen ihm vier Monate nach dem Verlassen der Stadt viele andere Attraktionen ein, an die er gern zurückdenkt. Zum Beispiel sagt Brandt, dass er die Leverkusener Mannschaft vermisse: "Das waren gute Jungs, mit denen ich jahrelang zusammengespielt habe."

"Nicht in die Fußstapfen der Weltmeister von 2014 treten"

In bester Erinnerung verbleiben ihm außerdem das wohlorganisierte Klubleben ("immer sehr, sehr angenehm") und der charismatische Coach Peter Bosz ("war für mich ein super Trainer"). Ferner fand er es in Leverkusen auch deshalb gut, weil er in Köln gewohnt hat ("wo die Menschen sehr locker sind").

Im Grunde war Julian Brandt in Leverkusen also hervorragend aufgehoben, zumal der gebürtige Bremer nach Lebens- und Gemütsart wie ein Einheimischer in diesen Landstrich passt, in dem die Leute dazu neigen, im Zweifel an das Gute oder ans gute Ende zu glauben. Auch Brandt braucht sich zum Optimismus nicht zu zwingen, dieser kommt aus der Tiefe seines wohlwollenden Denkens und Meinens. Und so steht am Schluss der Erörterungen, bevor sich Brandt im Hotel der Nationalmannschaft für den Gang zum Mittagessen erhebt, folgender, gelassen ausgesprochener Satz: "Ich bin sicher, dass sich meine Karriere genauso weiterentwickeln wird, wie ich es mir erhoffe."

Nach Dortmund ist er im Sommer nämlich freiwillig gegangen ("Ich wollte etwas Neues machen und mich durchbeißen - nur so werde ich besser"), und weil er vom Gelingen seiner Mission bei der Borussia so überzeugt ist, schlägt er einen TÜV-Termin zum Saisonende vor: "Dann können wir uns ja noch mal zusammensetzen und zurückblicken, wie das Jahr so war."

Blickt man auf die Saison, wie sie bisher war, fällt es einem nicht leicht, Prognosen zu stellen. Julian Brandt hat sich sowohl in Dortmund als auch in der Nationalelf um leuchtende Momente verdient gemacht, obendrein fiel er als Schütze entscheidender Tore auf. Zwischendurch lieferte er aber auch gegenteilige Eindrücke, zuletzt beim 0:4 in München, wo er fast 13 Kilometer hin und her, aber immer am Spiel vorbeilief; oder in Mailand (0:2), wo ihm die Inter-Profis jedes Mal derart leicht den Ball entwendeten, dass sich der ehemalige Borusse und Gelegenheitsexperte Michael Rummenigge ausnahmsweise zur Einzelkritik aufgerufen fühlte: Körperlosen "C-Jugend-Fußball" prangerte er an.

Dieses Urteil hallte weit in den öffentlichen Raum, doch weder Manager Michael Zorc noch Klubchef Hans-Joachim Watzke polterten zum Schutz des Spielers zurück. Brauchten sie auch nicht, meint Brandt: "Ich bin nicht böse deswegen. Wenn meine Trainer so was sagen würden, müsste ich mir Gedanken machen."

BVB-Coach Lucien Favre und DFB-Trainer Joachim Löw scheinen es mit dem flinken Techniker Brandt allerdings nicht immer leicht zu haben. Beide begleitet die gleiche Frage: Wohin mit ihm? Während des letzten halben Jahres in Leverkusen hatte ihn Trainer Bosz ins zentrale offensive Mittelfeld beordert und dort belassen, das zeigte exzellente Wirkung: Bayer sah den besten und beständigsten Brandt seit dessen Ankunft im Januar 2014.

In Dortmund habe er "gefühlt schon überall gespielt", sagt Brandt nun: "Auf der Sechs, im Zentrum, vorne links, rechts, im Sturm - ist ja schön, dass der Trainer mir das alles zutraut. Aber dann gibt es auch Unsicherheiten, weil das alles nicht top eingespielt ist." Er äußert das nicht im Beschwerdeton, sondern im Bemühen um Verständnis: "Bosz war gewillt, den Hang zum Risiko zu wählen. Den haben wir in Dortmund noch nicht so richtig im Programm."

Über den Fußballer Brandt gibt es einige Gewissheiten, aber eben auch manche Unklarheiten. Gewiss ist, dass er stattliche Talente besitzt, die ihn in die Nähe von internationalen Berühmtheiten rücken - nur weiß man nicht so genau, von welchen. Gibt es Ähnlichkeiten mit variablen Linksaußen wie Marco Asensio (Real Madrid) oder Lorenzo Insigne (AC Neapel)? Oder sollte man sich an Spielgestaltern wie Dele Alli (Tottenham Hotspur) und Saul Niguez (Atlético Madrid) orientieren?

Wie steht es um die "professionelle Härte"?

Letztlich bleiben solche Vergleiche untaugliche Versuche einer Einordnung. Polemiker meinen ohnehin, Brandt müsse erst mal lernen, nicht im letzten Moment den Fuß wegzuziehen, wenn er mit solchen Spielern konkurrieren wolle. Ihm fehle ein Stück professionelle Härte, heißt es oft. Ein Einwand, den auch ein anderer Nationalspieler namens Julian kennt: Julian Draxler ist 26 - auf dessen Selbstverwirklichung wartet man immer noch.

Tabelle Gruppe C

1. Niederlande 6/19:7/15

2. Deutschland 6/20:6/15

3. Nordirland 6/28:7/12

4. Weißrussland 7/4:12/4

5. Estland 7/2:21/1

Julian Brandt wiederum sieht sich in einem Prozess der Transformation, ist aber unsicher, wie weit die Wandlung gehen darf. Im Grunde gehört er der Sorte Draufgänger an ("Als ich in Leverkusen anfing, war ich der Spieler, der in der Liga die meisten Eins-zu-eins-Duelle hatte"), inzwischen versucht er sich vor allem in schnellen Kombinationen oder geht "gern auch ins Klein-Klein, was mit Spielern wie Kai (Havertz) und Marco (Reus) richtig gut funktionieren kann", sagt er.

Andererseits will er sich seine "Veranlagung unbedingt erhalten", denn im deutschen Fußball sei "die Straßenfußballermentalität rar geworden. Wir haben bei der Nationalelf ein paar Spieler, in denen das schlummert: Marco, Serge (Gnabry), Leroy (Sané), auch Timo (Werner) ... - zu denen würde ich mich auch zählen".

An sich und den verwandten Kollegen entwirft er die Vorstellung einer Identität für das neue Nationalteam, die zudem eine Abgrenzung vom Vorgängermodell bieten könnte: "Am Ende geht es darum, dass wir nicht in die Fußstapfen der Weltmeister von 2014 treten, sondern unsere eigenen hinterlassen. Wir sind eine sehr, sehr junge Truppe, die ihren eigenen Fußball spielt: mit Eins-gegen-eins-Situationen und viel Tempo. Ich finde, wir haben einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber den Jungs, die 2014 auf dem Platz standen, und vielleicht haben wir auch öfter mal eine Verrücktheit im Kopf, den Hang zum Risiko, solche Sachen eben."

Klingt vielversprechend, und damit es nicht bei Versprechen bleibt, hält Brandt ständig Kontakt zu seinem größten Kritiker - in Selbstgesprächen: "Das merkt man vielleicht nicht so oft", sagt er, "aber ich bin selbst mein größter Kritiker."

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