Jürgen Klopp in der Premier League:Total unnormal

Tottenham Hotspur v Liverpool - Premier League

Jürgen Klopp: "Es war cool"

(Foto: Getty Images)

Von Raphael Honigstein, London

Im Anschluss an Premier-League-Spiele werden Trainer aus Tradition separat vor die Mikrofone gebeten. Umso überraschter war Tottenham-Coach Mauricio Pochettino, dass er nach dem gänzlich von Jürgen Klopps Liverpool- Debüt überstrahlten 0:0 auch noch die Bühne im White-Hart-Lane-Pressezimmer mit dem Deutschen teilen musste. Zahlreiche Reporter verfolgten mit dem Rücken zum Podium gebannt Klopps erstes TV- Interview nach einem Premier-League-Spiel, als Pochettino den Raum betrat. Der Argentinier fand das zunächst lustig ("Na, da wollen wir mal hören, was er sagt"), kurz darauf zog er sich aber doch leicht pikiert in ein Nebenzimmer zurück. Gegen Klopps geballte Medienpräsenz war an diesem Samstag einfach nichts auszurichten.

Tagelang hatten Zeitungen und Sport-Fernsehen auf der Insel die Klopp'sche Biografie nach Indizien für eine erfolgreiche Wiederaufbauarbeit am Fluss Mersey durchforstet; bei nicht wenigen Nicht- Liverpoolern entlud sich daraufhin ein gewisser Überdruss in Zynismus. "Schade, dass der übertragende Sender BT Sport seine Klopp-Dokumentation mit Live- Bildern vom Fußball unterbrechen muss", bemerkte ein Zuschauer spitz via Twitter, und auch Experten wie der ehemalige Spurs-Trainer Harry Redknapp und Steve McManaman, von 1990 bis 1999 bei Liverpool aktiv, weigerten sich, Klopps Markenzeichen-Taktik des Gegenpressing als neue, verheißungsvolle Lehre zu bewundern.

"Natürlich rennt man von Anfang an viel, das ist hier schließlich der FC Liverpool", sagte McManaman über den überfallartigen Auftakt der Gäste in den ersten zwanzig Minuten; Pressing sei doch wirklich ein alter Hut, fand Redknapp.

Das mag grundsätzlich stimmen, doch eine beschleunigende Wirkung des Trainerwechsels auf das Spiel der Reds ließ sich schwerlich absprechen. Brendan Rodgers' behäbige, auf Querpass-Fußball geeichte Gruppe wirkte in Nord-London wie verwandelt. "Eine jagende, nervende 100-km/h-Maschine" (Sunday Times) setzte den individuell besser besetzten Gastgebern in der Anfangsphase enorm zu. "Übermotiviert", fand Pochettino, 43, gar den rasenden Dauerdruck des Gegners zu Beginn.

Klopp ist zufrieden. Aber nicht allen gefällt, wie er spielen lässt

Divock Origi, der 20-jährige Belgier, der in der Sturmmitte den kurzfristig wegen einer Knieverletzung unpässlichen Nationalspieler Daniel Sturridge ersetzen musste, setzte in seinem ersten Ligastart einen Kopfball an die Latte des Tottenham- Tores. Näher an einen Treffer kam Klopps von vielen Verletzungen geplagte Mannschaft in den folgenden 80 Minuten allerdings nicht mehr; man habe vor dem gegnerischen Strafraum "mit zu hohem Puls, zu hektisch" agiert, grämte sich Klopp. Neben der Ruhe hatte auch die Qualität gefehlt. Allein der Brasilianer Philippe Coutinho hatte ein wenig Flair am Ball verbreitet. "Viel Perspiration, wenig Inspiration", fasste der Sunday Telegraph Liverpools Bemühungen zusammen.

"Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben"

"Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben", sagte Klopp später trotzdem recht zufrieden. Sein erstes Ziel war und ist es, seine Elf widerstandsfähiger zu machen. Mit Hilfe des enormen Aufwands - Liverpool war der erste Gegner Tottenhams, der in der laufenden Saison mehr als die Lilienweißen lief - und einigen spektakulären Paraden von Keeper Simon Mignolet blieb man seit dem 24. August (0:0 beim FC Arsenal) zum ersten Mal ohne Gegentor.

So richtig Spaß hatten dabei wohl jedoch die wenigsten gehabt. Da auch Pochettino die aggressive Vorwärtsverteidigung gegen den Ball predigt, hatte sich das Geschehen nach dem Seitenwechsel in einem Mittelfeld-Kleinkrieg ohne entscheidende Vorstöße in gefährliche Gebiete erschöpft. Beide Vereine hecheln so weiter den Champions-League-Plätzen hinterher.

"Es war cool", lautete am Ende Klopps Fazit einer Partie, die zwangsläufig nicht mit dem öffentlichen Hype um seine Person hatte mithalten konnte. Seit José Mourinhos Ankunft beim FC Chelsea vor elf Jahren hatte man in England dem ersten Einsatz eines Übungsleiters nicht mehr derart stark entgegengefiebert. Für den selbst erklärten "Normal One" Klopp ist es auf Sicht wahrscheinlich besser, dass nach der Nullnummer in der Hauptstadt wieder die Defizite der Mannschaft in den Fokus rücken, und mit ihnen die Schwere seiner Aufgabe. "Ich hoffe, dass sich alle beruhigen", sagte Klopp.

Im Rest des Landes wird das mit Sicherheit geschehen, in Liverpool selbst aber fiebert man natürlich schon wieder dem nächsten, noch größeren Debüt entgegen - dem ersten Heimspiel, am Donnerstag gegen Rubin Kasan in der Europa League. "Mein Held, mein Kumpel", proklamierte eines der vielen Klopp-Banner in der Gästekurve auf Deutsch am Samstag. Die Herzen der Anhängerschaft hat er bereits gewonnen, wenn auch noch nicht ein Spiel.

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