Jürgen Klinsmann und der FC Bayern:Die Fehler einer Ehe

Vom Wunschtrainer zum Auslaufmodell: Fehler, Missverständnisse und unglückliche Umstände in Klinsmanns Saison beim FC Bayern.

Johannes Aumüller

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Es ist der 11. Januar 2008, der Tag, an dem Manager Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge noch voller Optimismus sind, mit diesem Jürgen Klinsmann eine neue Ära einläuten zu können. Sie strahlen mit dem früheren Nationaltrainer um die Wette, was sie aber zwangsläufig verlieren, denn im Wett-Lächeln ist Jürgen Klinsmann unbesiegbar.Von den Bayern-Fans strahlt an diesem Tag kaum jemand. Vom ersten Tag an herrscht eine eisige Stimmung zwischen den Anhängern des deutschen Rekordmeisters und dem auserkorenen Trainer. Sie haben nicht vergessen, wie Klinsmann ihr Idol Oliver Kahn vor der Weltmeisterschaft 2006 aus dem Nationalmannschaftstor verbannt hat; sie haben nicht vergessen, wie Klinsmann in seiner Amtszeit als Nationalmannschaftstrainer mit Torwarttrainer Sepp Maier umgegangen war; und sie können sich nur schwer vorstellen, dass dieser Ameriko-Schwabe und sie auf einer Wellenlänge liegen könnten.An dieser eisigen Stimmung ändert sich nichts mehr. Die kritischen Stimmen ziehen sich durch die ganze Saison, auf der Jahreshauptversammlung gibt es Pfiffe für Klinsmann, im Stadion ständige "Klinsmann raus"-Rufe und -Plakate. Selbst nach Siegen wie dem 4:0 gegen Frankfurt tun die Fans ihren Unmut kund.Foto: dpa

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Kaum ist die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann in trockenen Tüchern, bemüht er sich, seine Vorstellungen vom neuen FC Bayern zu verwirklichen. Nach der Vorgabe der Bosse will Klinsmann nahezu alles anders machen, immer das Ziel vor Augen, dass er mit diesem Verein nicht nur in der Meisterschaft und im DFB-Pokal, sondern auch in der Champions League ganz vorne mitspielen will. Er will weg von dem Sicherheitsfußball der Ottmar-Hitzfeld-Ära, hin zu jenem modernen Hochgeschwindigkeitsfußball, den die Bayern-Fans höchstens am Fernseher erleben, wenn Arsenal London oder der FC Barcelona spielen.Für dieses Ziel krempelt er den ganzen Verein um. Er verpflichtete eine Menge Ko- und Assistenz-Trainer, führt den Acht-Stunden-Tag ein, pflegt einen anderen Umgang mit den Medien und den Fans und lässt sogar für viel Geld das Trainingszentrum umbauen, inklusive der vielfach abgelichteten Buddha-Statuen. Es ist nur eine Marginalie und überhaupt nicht Klinsmanns Entscheidung, sondern die eines Architekten - aber diese Buddha-Statuen symbolisieren nach außen hin Klinsmann Veränderungstrieb.Foto: Getty

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Bei all seinem Wirbeln vergisst Klinsmann, dass für einen modernen Hochgeschwindigkeitsfußball nicht Ko- und Assistenztrainer, Acht-Stunden-Tage und neue Trainingszentren entscheidend sind, sondern die Mannschaft. Insgeheim schwant ihm wohl, dass er mit dem von Ottmar Hitzfeld geerbten und weitgehend nicht von ihm, sondern von Hoeneß und Rummenigge komponierten Kader seine Vorstellungen vom Fußball nicht umsetzen kann. Im Sommer machen die Namen von möglichen Zugängen (Gattuso, Flamini) die Runde, doch weder der Italiener noch der Franzose kommen. Zudem gibt der Verein kurz nach dem Saisonstart auch noch Linksverteidiger Marcell Jansen ab, um im Gegenzug Massimo Oddo zu verpflichten. Ein Fehler, wie sich später herausstellt, als dem Verein die guten Linksverteidiger ausgehen.Klinsmann glaubt, dass er seine ambitionierten Ziele auch mit dem bisherigen Kader erreichen kann - anstatt auf Kaderverstärkungen penetrant zu beharren. Er predigt diesen mittlerweile vielfach zitierten Satz, dass er jeden Spieler jeden Tag ein bisschen besser machen will - und verspricht damit zu viel. Keinen einzigen Spieler kann er im Verlauf der Saison besser machen, und entsprechend sind die Bayern auch weit davon entfernt, mit Europas Spitze mithalten zu können.Foto: dpa

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Der Start in die Saison verläuft holprig. Nur ein Remis gegen Hamburg am ersten Spieltag, nur ein Remis gegen Dortmund am zweiten Spieltag, und dann folgt nach zwei Siegen am fünften Spieltag die erste von vielen denkwürdigen Klatschen, die der FC Bayern in dieser Saison durchleben musste. Mit 2:5 unterliegen die Münchner Werder Bremen, ausgerechnet zur Oktoberfest-Zeit. Die Fans haben zu diesem Zeitpunkt schon genug von Jürgen Klinsmann, Franz Beckenbauer nimmt's noch mit Humor und empfiehlt ihm, auf der Wiesn ein paar Maß zu trinken. Das werde bald schon wieder.Der holprige Saisonstart ist nur zu einem Teil Klinsmann anzulasten. Viele Spieler kommen müde aus dem anstrengenden EM-Sommer, wichtige Spieler wie Franck Ribéry sind zu Beginn der Saison verletzt. Klinsmann lamentiert nicht, er hat ja sein Jeden-Spieler-jeden-Tag-ein-bisschen-besser-machen-Credo. Deswegen probiert er viel aus, wechselt munter durch, und in dieser Ausprobiererei und Wechselei unterlaufen ihm zwei wichtige Fehler.Foto: ddp

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Einen Fehler begeht Klinsmann im Umgang mit Mark van Bommel. Erst will er im Sommer Gattuso oder Flamini verpflichten, um auf van Bommel verzichten zu können, dann befördert er ihn zum Kapitän, dann rotiert er ihn so oft wie keinen anderen aus der Mannschaft, und dann muss er schließlich auf ihn setzen, weil er sonst die Mannschaft nicht stabilisieren kann. Pädagogisch geschickter Umgang mit Führungsspielern sieht anders aus, und es sehen sich all jene im Recht, die behaupten, Klinsmann sei einfach kein Trainer, denn für einen Trainer gehört es nun mal zum Grundhandwerk, mit Führungsspielern gut umzugehen.Foto: Reuters

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Obwohl die Bayern in den ersten Saisonwochen unbeständig spielen, der Ausfall von Ribéry und die EM-Müdigkeit mancher Nationalspieler den Spielfluss hemmt und das ganze Bayern-Spielgefüge instabil ist, fängt Jürgen Klinsmann auch noch an, an der Taktik herumzuschrauben. Das gefestigte 4-4-2-System mit zwei offensiven Außen im Mittelfeld friert er irgendwann ein, stattdessen installiert er die in München ungewohnte Dreierkette.Den Spielern ist das ungewohnte Modell anzumerken, sie wirken verunsichert. Die Öffentlichkeit führt intensiv die Debatte, welches System denn nun offensiver sei, und diese Diskussionen münden in folgender Bemerkung von Philipp Lahm (im Bild): Eigentlich sei das 3-5-2 defensiver als das 4-4-2, weil im Münchner 3-5-2 ja zwei gelernte Verteidiger die Außen besetzen würden und man entsprechend eher ein 5-3-2 spiele als ein 3-5-2. Aha. Es dauert nicht lange, da muss Klinsmann sein Experiment korrigieren - zu weit sind die Münchner in der Tabelle zurückgerutscht, allwöchentlich können sie nach einem Misserfolg lesen, dies sei nun der schlechteste Saisonstart seit x Jahren gewesen.Foto: ddp

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Die Kritik an Klinsmann wird wegen dieser schwachen Starts immer lauter. Die Kritik der Journalisten, die Kritik der Fans - aber auch die Kritik der Spieler. Selbst Akteure wie Zé Roberto oder Lahm, deren zweiter Vorname eigentlich Loyalität ist, äußern sich kritisch über ihren Trainer. Nicht mit dem Presslufthammer, sondern eher zwischen den Zeilen, aber immerhin.Es hat Zeiten beim FC Bayern gegeben, da hat Kritik am Trainer schnell zu saftigen Geldstrafen geführt. In der Ära Klinsmann scheinen diese Tage nicht mehr zu existieren. Weder setzt Klinsmann selbst Strafen durch noch kommen von den Klub-Oberen Hoeneß und Rummenigge mahnende Worte in Richtung der Spieler. Vielleicht, weil sie selbst nicht mehr so genau wissen, ob ihr Experiment gutgeht?Klinsmann selbst vertritt in dieser Phase, wie auch in späteren Zeiten, die These, Spieler dürften auch mal öffentlich ihre Meinung sagen. Ein löblicher Ansatz - in einem Fußballverein allerdings alles andere als harmoniefördernd. Erst recht beim FC Bayern.Foto: dpa

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Das 4:2 gegen Wolfsburg ist ein ganz besonderes Spiel. Nicht nur, weil die Bayern in diesem Spiel einen 0:2-Rückstand drehen. Sondern, weil Jürgen Klinsmann ganz maßgeblich daran beteiligt ist, dass die Bayern diesen 0:2-Rückstand drehen. Er wechselt in der Halbzeitpause die insgesamt in dieser Saison enttäuschende Verpflichtung Tim Borowski ein, modifiziert die Taktik und lässt seine Bayern zu einem Sieg stürmen, der die Herbst-Offensive des Vereins einläutet.Warum dieses Spiel in diese Reihe gehört, in der es doch eher um Fehler, Missverständnisse und unglückliche Umstände der Ehe Klinsmann/Bayern geht? Weil dieses Spiel und vor allem dieser Spielverlauf Seltenheitswert besitzen. Es gibt kaum Partien, in denen eine Entscheidung von Klinsmann während des Spiels ausschlaggebend für den Sieg ist. Das bringt ihm den Vorwurf ein, er könne ein Spiel gar nicht richtig lesen und entsprechend auch nicht angemessen reagieren. Dieser Vorwurf ist nicht neu, diesen Vorwurf gab es auch schon zu den Zeiten, als er Nationaltrainer war. Doch damals hatte er den treuen Jogi an seiner Seite, und in dieser Saison nur Herrn Martin Vasquez, der von der Bundesliga weiter weg ist als van Bommel von der Führungsposition in der Fair-Play-Wertung.Foto: Getty

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Im Winter unternimmt Klinsmann einen neuen Anlauf, um den Kader zu verstärken. Doch dieses Mal heißt der gehandelte Kandidat nicht mehr Gattuso oder Flamini, diesmal heißt der gehandelte Kandidat Landon Donovan, der auf Leihbasis für einige Wochen den Bayern-Kader verstärkt. Eine ordentliche Summe von fast zehn Millionen Euro will Klinsmann für den Amerikaner berappen, der in seinen wenigen Bundesliga-Einsätzen nicht unter Beweis stellt, eine adäquate Alternative im Sturm zu sein.Die Personalie Donovan entwickelt sich zu einer öffentlichen Machtfrage. Klinsmann will ihn unbedingt haben, der Vorstand auf keinen Fall. Irgendwann senken Hoeneß und Rummenigge öffentlich den Daumen: keine Verpflichtung von Donovan. Klinsmann steht ziemlich alleingelassen da und büßt weiterhin Kredit ein.Das Fatale an dieser Entwicklung: Eigentlich hatte Klinsmann vollkommen recht. Mit nur drei Angreifern (Toni, Klose, Podolski) in die Rückrunde zu gehen, ist ein gewagtes Spiel - wie sich ja auch später zeigte, als Podolski vollkommen außer Form und wahlweise Toni oder Klose verletzt ist. Doch anstatt einen soliden vierten Mann zu suchen, versteifte sich Klinsmann auf Donovan.Foto: Getty

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Europapokal-Teilnehmer wissen oft von der Mehrfachbelastung zu berichten, die so häufige Europapokal-Abende mit sich bringen können. Samstags, mittwochs, samstags, mancher Verein kann mit diesem heftigen Rhythmus nicht umgehen. Andere deutsche Klubs wiederum erleben auf der internationalen Bühne, dass sie meilenweit entfernt sind vom Niveau anderer Ligen.Nicht so der FC Bayern: Der erwischt eine keineswegs einfache Champions-League-Gruppe (Florenz, Lyon, Bukarest) und überzeugt auf internationalem Parkett ein ums andere Mal. Als beste aller 32 teilnehmenden Mannschaften beendet der FC Bayern die Gruppenphase, und auch im Achtelfinale feiert der Klub einen historischen Erfolg, als er Sporting Lissabon mit 5:0 und 7:1 bezwingt. Manches Mal denkt der Bayern-Fan, nun müsse er nicht mehr Arsenal oder Barcelona im Fernsehen anschauen, um modernen Hochgeschwindigkeitsfußball zu sehen. Es scheint, als könne Klinsmann in der Königsklasse seine Spieler stets zu stärkeren Leistungen motivieren.Doch die berauschenden Europapokal-Feste haben auch einen Nachteil. Sie vertuschen bisweilen die Probleme des Liga-Alltags und sie liefern Raum für Ausreden. Noch heute verweist Klinsmann immer wieder auf die Champions League, wenn er Erklärungen für die schwach verlaufende Saison sucht. Auf der Champions League, so sagt er, haben eben das Hauptaugenmerk gelegen, und deswegen habe mancher Spieler manches Bundesligaspiel vielleicht etwas vernachlässigt.Foto: dpa

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Zudem sorgt ausgerechnet der 5:0-Sieg gegen Sporting Lissabon für neue Diskussionen. Die Bayern gewinnen deutlich, und trotzdem steht Klinsmann in der Kritik. Die Mannschaft, so heißt es, habe sich eine neue taktische Ausrichtung gewünscht. Eine defensivere, die den Klinsmann'schen Ideen eigentlich zuwiderlaufen.In diesem Moment drückt sich mal wieder aus, wie tief offenbar der Graben zwischen Klinsmann und der Mannschaft ist, der sich durch taktische Ausrichtungen oder durch den Umgang mit verschiedenen Akteuren (van Bommel, van Buyten, Podolski, der Torwart-Tausch von Rensing zu Butt) vertieft hat. Bei manchen Spielen gewinnt man fast den Eindruck, als akzeptierten die Münchner nur einen Leader: ihren Kapitän Mark van Bommel, der längst nicht nur der Aggressive, sondern auch der Verbal Leader ist.Foto: AP

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Die Pleiten gegen Wolfsburg (1:5) in der Bundesliga und gegen Barcelona (0:4) in der Champions League geben dem Projekt Klinsmann den Rest. Die Fans toben, die Bosse zürnen, Udo Lattek weint. Die Spieler wirken zunehmend hilf-, plan- und konzeptloser. Nach dem Spiel gegen Barcelona scheint der Rauswurf von Klinsmann schon beschlossene Sache zu sein, doch er erhält eine Schonfrist: Zwei Siege (4:0 gegen Frankfurt, 1:0 gegen Bielefeld) und eine Niederlage (0:1 gegen Schalke), und das Experiment Klinsmann ist Geschichte.Foto: dpa

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