Jürgen Klinsmann:Fit und spaßig. Und eiskalt

Er gibt nichts von sich preis, Kritik nimmt er nicht an. Jetzt wird der Bundestrainer unsterblich - oder unsterblich blamiert.

Kurt Röttgen

Noch nie hat ein Bundestrainer die Deutschen vor einer Fußball-Weltmeisterschaft so polarisiert wie der seit 22 Monaten amtierende Jürgen Klinsmann. Während Angela Merkel oder Günter Grass seinen Reformeifer und die demonstrative Zuversicht preisen, befürchten Branchenkenner, der Visionär mit Wohnsitz in Kalifornien könnte in den nächsten Wochen als Blender entlarvt werden.

Klinsmann habe "ein wenig zu viel Malibu-Optimismus", meint etwa Nürnbergs Coach Hans Meyer. Und vermutet: "Man wird wohl so, wenn man am Strand mit so viel Geld lebt." Den Aktionismus des Bundestrainers und seiner Helfer verspotten DFB-Insider als "Kindergeburtstag".

Für viele Bundesbürger verkörpert Klinsmann dagegen ein Stück Hoffnung. Seine Ankündigung im Sommer 2004, alle Rituale und Gewohnheiten zu hinterfragen, in Trainingsarbeit, Sportpsychologie oder Talentschulung Neues zu probieren, verbreitete ebenso Aufbruchstimmung wie die selbstbewusste Zielsetzung: "Wir wollen mit Offensivfußball und jungen Spielern im eigenen Land den WM-Titel holen."

Klinsmann fordert die von Steuererhöhungen, Rentenloch und zweistelliger Arbeitslosenquote frustrierte Nation auf, sich neu zu definieren - "der Welt zu zeigen, wer wir sind". Eben kein mutloses Volk, das in der globalisierten Welt den Anschluss verpasst hat, sondern - zumindest im Fußball - neue Qualitäten vorweisen kann.

Bäckergesell und Reformer

In den Medien avancierte der einstige Bäckergeselle im väterlichen Betrieb zum Reformer, dessen Erfolg auch Auskunft über die Reformfähigkeit eines im Strukturkonservatismus erstarrten Landes gebe. Und beim Besuch im Kanzleramt vor drei Monaten rief ihm die Hausherrin zu: "Ich bin überzeugt, dass Sie auf einem guten Weg sind."

Die Chemie zwischen den vom Naturell her eher distanzierten Seiteneinsteigern stimmt ohnehin, auch wenn Klinsmann immer noch große Stücke auf Merkel-Vorgänger Gerhard Schröder hält. Vor dem Pokalfinale Ende April lud die Kanzlerin zu einem Vier-Augen-Gespräch in ein italienisches Restaurant im Berliner Grunewald, und der Bundestrainer revanchierte sich mit dem Versprechen: Wenn Deutschland Weltmeister wird, darf sie in die Kabine.

Fit und spaßig. Und eiskalt

Ob er wirklich an den großen Coup seiner jungen Truppe glaubt oder die positiven Botschaften mehr Teil einer geschickten Selbstinszenierung sind, bleibt vorerst offen. Sein Innenleben verbirgt Klinsmann hinter glatten Statements, Sätze wie: "Das sind Gefühle wo man schwer beschreiben kann" hört man von ihm kaum noch. "Jürgen ist in der Öffentlichkeit immer sehr kontrolliert, deshalb entsteht der Eindruck, dass er nie ganz loslässt', sagt Freund Oliver Bierhoff.

Dieser Eindruck täuscht nicht. Eigenkontrolle steht offenbar ganz oben auf der WM-Agenda des Mannes, der als Spieler Tore so ekstatisch bejubelte wie kein Zweiter. Der deutsche Teampsychologe Hans-Dieter Hermann trainiert mit ihm Körpersprache und das Auftreten vor der Mannschaft. Er sei, so Klins-mann, ein wichtiger Ratgeber.

Bei der Pressekonferenz nach dem Italien-Spiel zum Beispiel habe die Körpersprache nicht gestimmt, auch auf den TV-Auftritt im Kanzleramt sei er nicht richtig vorbereitet gewesen. "Da habe ich meine eigenen Erwartungen nicht erfüllt", sagte Klinsmann allen Ernstes.

Gekonnte Vermarkungsstrategie

So manches beim Bundestrainer wirkt angelernt, wie nach Marketinggesetzen einstudiert. Klinsmann erscheint mitunter als eine Art Kunstprodukt, bis ins Detail gebrieft von seinen Geschäftspartnern in Amerika, den Kommunikations-Profis Mick Hoban und Warren Mersereau.

Schon das Konzept, mit dem er die DFB-Funktionäre Gerhard Mayer-Vorfelder und Horst R. Schmidt beim ersten Kontaktgespräch beeindruckte, entsprang einer gekonnten Vermarktungsstrategie. Hoban/Mersereau, berichtete der Stern, simulierten mit dem Kandidaten Fragen und Antworten und erstellten daraus die Präsentation.

Sie könnten "sehr analytisch vorgehen", seien "in der Denkweise immer einen Schritt voraus", sagt Klinsmann über den ehemaligen englischen Fußballer Hoban und den Harvard-Absolventen Mersereau, in deren Beratungsfirma Soccer-solutions er vor fünf Jahren eingestiegen ist. Von ihnen habe er gelernt, wie man "Prioritätenlisten aufbaut".

An erster Stelle kommen offensichtlich Fitness und Spaß, die beiden Säulen kalifornischen Lebensgefühls. "Ich verspreche eine deutsche Nationalelf in physischer Topform", sagt Klinsmann. Der samt zwei Helfern und teurem Equipment aus Phoenix, Arizona, importierte Konditionstrainer Marc Verstegen habe "vorzügliche Arbeit" geleistet. Bei der Verbreitung guter Laune ist der Chef selbst Experte. Schließlich wohnt er seit acht Jahren mit Ehefrau Debbie im Sonnenstaat am Pazifik.

Dass alle "super drauf sind", versichert Klinsmann beinahe täglich. Darüber hinaus erfährt die staunende Nation, dass der Bundestrainer über ein "enormes Energiefeld" verfügt und "wenn wir auf Hochtouren fahren, es bei den anderen wieder heißen wird: O weh, die Deutschen kommen."

Im Training haben sie schon mal geübt, wie man Gegner womöglich erschrecken kann. Spieler bildeten Kreise, legten die Hände aufeinander, schrien "Speed" oder "Power". Einige riefen laut: "Wir sind ein..." und alle antworteten: "...Team!"

Schwerpunkt Teamgeist ist richtig

Auch wenn dahinter nicht unbedingt der Retter des Vaterlandes sichtbar wird, das Musikmagazin Rolling Stone eher den "Sekten-Optimismus eines Motivations-Scharlatans" ausgemacht hat: Falsch ist Klinsmanns Vorbereitungsprogramm mit dem Schwerpunkt Teamgeist nicht.

Er verweist zu Recht auf die Weltmeisterschaften 1994 und 1998, als eine menschlich nicht harmonierende deutsche Mannschaft unnötig früh scheiterte. Und ebenso richtig ist sein ständiger Appell an die Spieler, dass gerade bei einem Turnier Willensstärke und Leidenschaft spielerische Defizite wettmachen können.

Fit und spaßig. Und eiskalt

Dafür ist er selbst das beste Beispiel. Klinsmann war immer ein limitierter Spieler, beim FC Bayern als "Flipper" verhöhnt, weil ihm der Ball oft unkontrolliert vom Fuß sprang. Aber er wurde "Fußballer des Jahres" in Deutschland und England, Welt- und Europameister, schoss in 108 Länderspielen 47 Tore. Mehr Länderspiele kann nur Lothar Matthäus vorweisen (150), und mehr Tore erzielte nur Gerd Müller (68).

Wobei der angeblich so teamorientierte Klinsmann egoistisch die eigenen Interessen verfolgte. Der Fußball-Profi ging vor Vertragsende, wenn es ihm gefiel, und ob er bei seiner Wanderung durch Europa - Stuttgart, Mailand, Monaco, London, München, Genua - enttäuschte Freunde zurückließ, schien ihn nicht weiter zu kümmern.

Er habe festgestellt, begründete er 1997 den Abschied von München, dass er nicht mehr nach Deutschland passe. In London hielt der erboste Tottenham-Präsident Alan Sugar das Trikot des scheidenden Klinsmann in die Kamera und erklärte: Damit würde er nicht mal mehr sein Auto waschen.

Klinsmann mache immer einen netten, aparten Eindruck, "wie der ideale Schwiegersohn", sagte unlängst Rudi Assauer. Er stelle was dar, sei redegewandt. Aber, so Schalkes ehemaliger Manager, "es gibt bei ihm noch eine andere Ebene. Er ist ein eiskalter Hund." Das ist nicht nur Assauer aufgefallen. Tatsächlich kommt unter der freundlichen Maske bisweilen der rücksichtslose Jungmanager durch, für den nur eines wirklich zählt: persönlicher Erfolg.

Für mich oder gegen mich

Personalpolitik betreibt Klinsmann nach den Worten aus dem Matthäus-Evangelium: "Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich." Dass Kahn-Freund Sepp Maier gehen musste, war noch zu vermitteln. Auch wenn ihn der beliebte Bayer als "linken Schleimer" beschimpfte: Klinsmann konnte zu Recht darauf verweisen, dass ein Torwarttrainer der Nationalelf neutral zu sein habe. Dagegen spaltet Oliver Kahns Degradierung zum Ersatztorwart die Fangemeinde bis heute. "Klinsi killt Kahn" titelte Bild, und Matthäus sprach vom "ganz miesen Machtspiel".

Vor allem wurde die größte Schwäche des 41-Jährigen ohne vorherige Trainer-Erfahrung deutlich: Klinsmann meint grundsätzlich, er und seine Mitarbeiter können"s besser. Gegenüber Brasilianern, Holländern oder Italienern offenkundige Defizite in Abwehrverhalten und Spieleröffnung will er mit riskantem Angriffsfußball wettmachen, Kritikern seiner Hurra-Taktik wirft er "extremen Pessimismus" vor.

Ob Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Uli Hoeneß beizeiten darauf hinwiesen, die Elf müsse sich einspielen, besonders zwischen Torwart und Abwehr sei blindes Verständnis erforderlich - alles vergebens. Klinsmann wechselte weiter die Formationen und präsentierte zwei Monate vor WM-Beginn in Jens Lehmann einen neuen Stammtorwart. Dass die Deutschen bei ihrer WM "einen Volontär nach dem Trial-and-Error-Prinzip agieren lassen", wundert vermutlich nicht nur die Neue Zürcher Zeitung.

Der Bundestrainer reagiert, als müsste US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dem "alten Europa" mal wieder zeigen, was Sache ist. Marketing-Stratege Hoban hat angeblich entdeckt, dass bei den jüngsten Weltmeisterschaften keine Mannschaft wirklich Erfolg hatte, deren Formation lange vor Turnierbeginn klar war.

"Coolster Deutscher seit Marlene Dietrich"

Was also soll das Gerede, denkt Klinsmann vermutlich. Der direkte amerikanische Weg, die Dinge anzupacken, kommt seinem Naturell entgegen. Er lebte als Spieler von physischer Überlegenheit, Emotionalität und Willensstärke. Das erwartet er jetzt von seiner Truppe. Bei der Durchsetzung seiner Interessen kümmern ihn andere nicht. Darin ähnelt er Beckenbauer, seinem Teamchef beim bislang letzten WM-Sieg 1990.

"Die Überfigur mit ihrer gottgegebenen Ausstrahlung", so Klinsmann über Beckenbauer, ist seine große Herausforderung. Sicher hat den Schwaben die auf mehrere Millionen Euro im Jahr taxierte Gage am Job gereizt, auch die weltweite Resonanz einer WM im Medienzeitalter. Aber es war wohl ebenso die Aussicht auf Unsterblichkeit, die ihn antrieb. Beckenbauer, sagt er, "soll nicht der einzige Deutsche bleiben, der als Spieler und Trainer Weltmeister geworden ist".

Eine zweite Chance wird Klinsmann schwerlich bekommen. Er ist teuer, allein die vielen First-Class-Flüge zwischen Frankfurt und Los Angeles addieren sich inzwischen auf angeblich fast eine halbe Million Euro. Und er hat nicht nur Freunde beim DFB. Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge erwartet nach der WM ohnehin Klinsmanns Rücktritt.

Der britische Observer nannte ihn einmal den "coolsten Deutschen seit Marlene Dietrich". Im Vergleich mit dem impulsiven Volkshelden Rudi Völler wirkt der Bundestrainer kühl und berechnend. Klinsmann muss bei der Weltmeisterschaft oft siegen, um die Herzen der Fans annähernd so zu erwärmen wie sein Vorgänger.

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