Süddeutsche Zeitung

Judo-WM:"Wir werden hier bedient wie Könige"

Mit der Judo-WM ein Jahr vor Olympia findet in Tokio ein Testlauf für das Großevent statt. Der Deutsche Alexander Wieczerczak spricht über seine Olympia-Vorfreude, auch wenn die eigene Qualifikation dafür noch wackelt.

Interview von Raphael Späth

Judoka Alexander Wieczerzak wurde 2017 als erster Deutscher seit 14 Jahren Weltmeister. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Tokio will er sich bei der Weltmeisterschaft am gleichen Ort wieder gut präsentieren - und wichtige Punkte für die Olympia-Qualifikation sammeln. In jeder Gewichtsklasse ist nur ein Athlet pro Nation zugelassen, die nationale Konkurrenz ist stark.

SZ: Herr Wieczerzak, die Olympischen Spiele werden 2020 im Mutterland des Judo ausgetragen, die Weltmeisterschaft in diesem Jahr dient als Testlauf. Sie befinden sich mit der Nationalmannschaft momentan noch in Tokushima und fliegen erst am Montag nach Tokio; spürt man auch dort schon die Vorfreude auf die Spiele?

Alexander Wieczerzak: Definitiv. Wir wurden euphorisch mit deutschen und japanischen Flaggen willkommen geheißen, der Gouverneur hat uns auch schon begrüßt. Man sieht einfach, wie wichtig es für die Leute ist, dass wir als Nationalmannschaft hier sind. Für die Japaner ist es etwas ganz Besonderes, weil Judo einen sehr hohen Stellenwert hat. Auch die Halle in Tokio ist wahnsinnig groß und wird mit knapp 15 000 Zuschauern komplett gefüllt sein. Wir werden hier bedient wie Könige, unser Hotel ist direkt am Meer, es sieht also mehr nach Urlaub als Trainingslager aus. Wir sind nicht direkt nach Tokio geflogen, um uns erstmal ein bisschen aus dem Trubel fernzuhalten und uns zu akklimatisieren. So ähnlich werden wir das auch im nächsten Jahr vor den Olympischen Spielen machen.

Sie reisen als Weltmeister 2017 und Bronzemedaillen-Gewinner 2018 nach Tokio. Was ist Ihr Ziel bei der diesjährigen Weltmeisterschaft?

Ich möchte auf jeden Fall wieder Medaille ergattern. Es wäre ein Traum, innerhalb eines Olympia-Zyklus bei jeder Weltmeisterschaft Medaillen abzugreifen. Die Vorbereitung war in diesem Jahr eigentlich optimal, allerdings habe ich mir im letzten Training vor der Reise nach Japan den Gesäßmuskel gezerrt. Das ist sehr ärgerlich, weil ich mich eigentlich optimal auf das Turnier vorbereitet habe. Ich sehe es trotzdem professionell, habe aber bis jetzt noch nicht ausgetestet, wie weit ich gehen kann. Wenn ich zu früh belaste, kann es sein, dass ich wieder auf null bin und dann wieder einmal nicht richtig kämpfen kann. Deswegen wird es so sein, dass ich vermutlich erst Anfang nächster Woche meinen Judoanzug wieder anziehen und schauen werde, wie sich das so anfühlt. Und dann werde ich ab Mittwoch kämpfen und alles geben. Aber inwieweit mich der Schmerz behindern wird, weiß ich jetzt noch nicht.

Der Sportdirektor des Deutschen Judo Bundes, Ruben Goebel, sprach davon, dass die Weltmeisterschaft für einige Athleten "eine der letzten Chancen" auf einen Platz bei den Olympischen Spielen sei. Fühlen Sie sich angesprochen?

Natürlich bin ich in meiner Gewichtsklasse nicht alleine, mit Dominic Ressel habe ich einen Kontrahenten, der auch zu den Spielen fliegen will - pro Nation darf aber nur ein Judoka starten. Das ist natürlich hart. Deshalb ist es für uns beide wichtig, uns hier zu beweisen und einfach so gut wie möglich zu kämpfen. Die Weltmeisterschaft ist aber kein Ausschlusskriterium. Es kann sein, dass man direkt am ersten Tag rausfliegt, weil man kein Losglück hatte. Dann muss man sich eben bei den nächsten Grand Prix und Grand Slams beweisen; davon gibt es auch nach der WM bis zur Deadline Ende Mai 2020 noch reichlich. Im kommenden Jahr wird es zudem einige Master-Turniere geben, dort kann man sogar noch mehr Qualifikations-Punkte zu holen als bei einer Weltmeisterschaft.

Wäre heute Nominierungsschluss, hätte Dominic Ressel die Nase vorn. Er liegt im weltweiten Qualifikations-Klassement auf Rang vier - sie auf Platz 22. Dazu konnte er in diesem Jahr schon den Grand Slam in Paris gewinnen. Wie optimistisch sind Sie, dass Sie ihm den Platz im Olympia-Kader noch streitig machen können?

Ich bin auf jeden Fall sehr optimistisch, das kann man ruhig mal sagen. Dominic konnte in den letzten Monaten viele Turniere kämpfen. Das konnte ich nicht, weil ich zeitweise verletzt war und mich auch intensiver auf die Weltmeisterschaft vorbereiten wollte. Es wird sehr knapp, aber ich bin positiv gestimmt.

Sie hatten 2016 schon einmal die Chance, sich für Olympia zu qualifizieren. Allerdings erkrankten Sie damals im Frühjahr am lebensgefährlichen Dengue-Fieber, bei der Europameisterschaft kam dann auch noch ein Rippenbruch dazu. Was haben Sie aus dem Seuchenjahr gelernt?

Zunächst einmal habe ich gelernt, dass ich nicht mehr nach Kuba fliegen und mir das Dengue-Fieber einfangen werde. Es gibt genug andere Turniere auf der Welt, es muss nicht unbedingt Kuba oder eine andere Tropenregion sein. Abgesehen davon hat mir die Nicht-Nominierung die nötige Motivation gegeben, um 2017 den Weltmeister-Titel zu holen. Und diese Motivation trägt mich bis zu diesem Tag, weil ich unbedingt zu den Olympischen Spielen fahren möchte - die Spiele sind das Größte, was ein Judoka aus meiner Sicht erreichen kann. Ich werde auf jeden Fall alles geben, um nach der verpassten Teilnahme 2016 dieses Mal dabei zu sein.

2020 wird auch erstmals der Mixed-Wettbewerb ins olympische Programm aufgenommen, in dem drei Frauen und drei Männer pro Nation gemeinsam kämpfen. Deutschland wäre momentan eine von nur sechs Nationen, die die sportlichen Kriterien für eine Teilnahme erfüllt. Wie gut ist der DJB aus Ihrer Sicht ein Jahr vor den Olympischen Spielen aufgestellt?

Wir sind 2018 Mixed-Europameister geworden und haben dabei auch Nationen wie Russland geschlagen, die im Judo extrem stark sind. Dieses Jahr sind wir aber direkt in der ersten Runde gegen Österreich ausgeschieden. Da merkt man einfach, wie krass die Leistungsdichte im Judo ist. Ich bin mir aber sicher, dass der DJB auch im Mixed-Team bei Olympia sehr große Chancen hat, eine Medaille zu holen, weil wir bei Frauen und Männern gleichermaßen gut aufgestellt sind. Natürlich gibt es Nationen wie Japan und Russland, bei denen die Leistungsdichte im eigenen Kader noch höher ist. Aber es gibt auch Nationen, die Frauen nicht so fördern wie die Männer, beispielsweise Aserbaidschan. Im Gegensatz dazu sind wir als Nation in allen Bereichen sehr stark und breit aufgestellt.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2019
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