Süddeutsche Zeitung

Judo:Im Wanderzirkus

Der Bundesligist und Rekordmeister TSV Abensberg will mit dem Spitzenklub Esslingen mithalten. Da kommt ihm der Rückzug von Großhadern zupass.

Von Julian Ignatowitsch

Sie ziehen weiter. Nach Großhadern und Hamburg jetzt also Esslingen. Und wieder haben die beiden Judo-Spitzenkämpfer Alexander Wieczerzak und Igor Wandtke gute Aussichten, sich am Ende mit dem deutschen Meistertitel zu schmücken. So war das 2015 mit Großhadern, so war es 2016, 2017 und 2018 mit Hamburg. Esslingen war der ewige Zweite - das könnte sich nun ändern. Denn der Investor und Multimillionär Peter Wittmann bestimmte in den vergangenen Jahren, wohin Geld und Topathleten in der Judo-Bundesliga wechseln - und er selbst wechselte nun nach einem Streit von Hamburg nach Esslingen. Die ehemaligen Hamburger Dimitri Peters und Andre Breitbarth hat er neben Wieczerzak und Wandtke ebenfalls gleich mitgekommen. Geld gewinnt Titel, das ist nicht nur im Fußball so. Jetzt also Esslingen.

Es hat sich einiges verändert in der Judo-Bundesliga. Bei Rekordmeister TSV Abensberg verfolgen sie das mit Sorge. Abensberg war lange die alles dominierende Mannschaft in der Bundesliga: 20 Meistertitel, 13 davon in Serie, der Investor hier hieß Otto Kneitinger und hat vor zwei Jahren als Präsident abgedankt. Die Dominanz ist gebrochen. Kneitinger war in der niederbayerischen Kleinstadt verwurzelt und unterstütze den Verein über Jahrzehnte. Was Mäzen Wittmann nun macht, nannten sie in Abensberg kürzlich in einer Pressemitteilung einen "Wanderzirkus", TSV-Abteilungsleiter Martin Oberndorfer sagt: "Ob das der Liga guttut, sei dahin gestellt." Insgesamt beurteilt er die Bundesliga aber nach wie vor als "sinnvollen Wettbewerb", um die regionale Präsenz der Sportart aufrecht zu erhalten. Beim Auftaktkampf am Samstag (17 Uhr) gegen den TV 1848 Erlangen erwartet er "motivierte Kämpfer" und eine "volle Halle".

Abensberg profitiert vom Rückzug des TSV Großhadern

Das ist an manchen Orten anders. Vereine wie der traditionsreiche TSV Großhadern, zwölfmaliger Meister und Gründungsmitglied der Bundesliga, oder die Judofreunde aus Holle bei den Frauen haben sich aus finanziellen Gründen zurückgezogen und investieren zukünftig lieber in Jugendarbeit und Mitglieder statt in den sporadischen Besuch internationaler Olympioniken, die bei den Bundesliga-Spitzenteams zum Einsatz kommen. Weitere Vereine könnten folgen. Abensberg profitiert nun von dem Rückzug des bayerischen Rivalen. Denn fast alle Topkämpfer aus München, namentlich die Brüder Karl-Richard und Johannes Frey, Lukas Vennekold oder Maximilian Heyder, wechselten ins knapp 100 Kilometer nördliche Abensberg.

Dazu haben die Abensberger nach wie vor Talente aus den eigenen Reihen im Kader, wie Daniel Scheller oder Mattias Tuscher. So ist der TSV Abensberg vor der neuen Saison eine Art bayerische Topauswahl und wohl die einzige Mannschaft, die dem neuen Starensemble aus Esslingen Konkurrenz machen kann. Abensberg will zurück zur alten Stärke. "Wir wollen Meister werden, wir wollen die Finalrunde ausrichten und wir wollen beim European Cup antreten", formuliert Trainer Radu Ivan die ambitionierten Ziele. Er löste vor dieser Saison Trainer Jürgen Öchsner ab. Auch in der Führung des Traditionsvereins ist jüngst einiges im Umbruch. Die Verabschiedung von Kneitinger hinterlässt nach wie vor viele offene Stellen. Sponsorensuche und Öffentlichkeitsarbeit gestalten sich teilweise schwierig. Auch der Verband macht hinsichtlich TV-Vermarktung und Sponsoring keine gute Figur. Finanziell zeigt sich Kneitinger nach wie vor großzügig. Nur so konnten auch die international erfolgreichen Frey-Brüder nach Abensberg gelotst werden. "Sie schätzen die Ruhe und Verlässlichkeit hier", erklärt Trainer Ivan. Gegen Erlangen sollen sie gleich zum Einsatz kommen: "Die muss man hier gleich am Anfang präsentieren". Auf Teamgeist und Verbundenheit zum Verein legen sie in Abensberg wieder sehr großen Wert.

In Erlangen ist regionale Verwurzelung ohnehin Grundvoraussetzung. Als Amateurklub zahlen die Franken weder Geld noch engagieren sie auswärtige Athleten. Gegen Abensberg werden sie chancenlos sein, das steht schon vorher fest. Mit der Aufstockung der Liga auf acht Teams hat sich die Schere zwischen professionellen und semi-professionellen Mannschaften vergrößert. Die zwei Endrundenplätze der Gruppe Süd scheinen schon vor dem Saisonstart vergeben zu sein: an Abensberg - und Esslingen.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2019
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