Johannes Vetter:Ein Wurf mit Knalleffekt

Lesezeit: 3 min

Johannes Vetter beim Wettkampf im finnischen Turku. (Foto: imago images/Newspix24)

Speerwerfer Johannes Vetter beeindruckt mit einer Weltbestleistung - und schreckt mittlerweile wie Robert Harting weder vor großen Weiten noch vor großen Worten zurück.

Von Johannes Knuth, München

Fast genau drei Jahre ist es jetzt her, da steckte dem Speerwerfer Johannes Vetter bereits eine quälend lange Saison in den Knochen, nach der viele sich wohl längst in den Urlaub verabschiedet hätten - oder zumindest in eine selbstauferlegte Kurzarbeit. Und Vetter? Der hatte zwar gerade den WM-Titel und auch den deutschen Rekord (94,44 Meter) in seinen Besitz überführt, er setzte nun aber noch mal zu einer rasanten Ehrenrunde an.

Er warf knapp 94 Meter in Thum, flog rasch nach Zürich zum Finale der Diamond League, weiter im Flieger nach Leipzig, kurzer Mittagsschlaf in Dresden; dann habe er in Bad Köstritz "noch mal 89 Meter geballert" und beim Berliner Istaf "noch mal Vollgas" gegeben, erzählte er damals: "Ich bin da echt rigoros. Wenn es heißt, ich solle mehr auf meinen Körper hören - das gab's für mich heute nicht. Ich wollte einfach noch mal eine geile Show abliefern."

Leichtathletik
:Wenn Medaillen gar nicht das Ziel sind

Jackie Baumann stellt mit 24 Jahren fest, dass sie zwar Deutschlands beste Hürdenläuferin ist, aber gar nicht um große Siege kämpfen will. Ihr Karriereende wirkt wie eine große Befreiung.

Von Saskia Aleythe

Drei Jahre später ist nicht nur die Leichtathletik-Welt eine andere - Vetters Arbeitsethos hat all das kaum erschüttert. Am Wochenende wurde er in Braunschweig mit 87,36 Metern deutscher Meister, am Dienstagabend entkorkte Vetter schon wieder einen Wurf mit Knalleffekt: 91,49 Meter in Turku, Weltjahresbestwert. Es war eine der bislang verdienstvollsten Leistungen der Saison, weltweit, auch wenn viele Bestenlisten wegen der Corona-Pandemie noch immer ziemlich dünn sind. Mit der Weite in Turku, gab Vetter im finnischen TV zu, habe er jedenfalls (noch) nicht gerechnet: Er sei "etwas müde" gewesen und habe gar nicht alles riskiert. Ach ja?

"Ich bin eher der Haudrauf-Typ", hat Johannes Vetter, 1,88 Meter groß, 103 Kilo schwer, einmal über sich gesagt, und das macht sich gerade wieder in einer breiteren Öffentlichkeit bemerkbar. Viele Athleten legen derzeit den Mantel der Entschleunigung über ihre Karrieren, Vetter ist, nach rund eineinhalb von Verletzungen geprägten Jahren, wieder präsent, sportlich wie verbal. In Braunschweig kritisierte er Kollegen, die lieber Meetings vor und nach den nationalen Titelkämpfen vorzogen; er lobte dafür Andreas Hofmann, der gerade aus einer Verletzung zurückgekommen war. "Ich glaube, das ist das Engagement, das wir unserer Gesellschaft zeigen müssen", sagte Vetter, "gerade in dieser Phase jetzt." Er sei zwar kein Athletensprecher, aber er sage nun mal seine Meinung. Die werde von vielen Athleten "auch sehr geteilt".

Manchmal fühlt man sich bei ihm ein wenig an Robert Harting erinnert, den Diskus-Olympiasieger, der ebenfalls nie vor großen Weiten und Worten zurückschreckte. Auch bei Vetter verblassen, bei allem verdienstvollen Engagement, manchmal die Zwischentöne. Er verortet in Interviews schon mal ein grundsätzliches Dopingproblem im Sport; zuletzt sagte er der Sächsischen Zeitung aber auch, dass er chemische Nachhilfe im Speerwurf für weitgehend nutzlos halte: "Das ist technisch so anspruchsvoll, dass auch das beste Dopingmittel nichts nutzt." Dafür würde er im Kollegenkreis wohl eher keinen überwältigenden Zuspruch erhalten.

Vetter, 27, ist in Dresden geboren und startete zunächst für den Dresdner SC. Der habe sein Talent aber nicht richtig gefördert, berichtete er nach seinem WM-Sieg 2017 gewohnt zupackend. Drei Jahre zuvor hatte er den einstigen Speerwerfer Boris Obergföll (ehemals Henry) kennengelernt, der damals schon Bundestrainer war. Binnen zwei Wochen war Vetter so angetan, dass er nach Baden umzog, zu Henry und der LG Offenburg. Drei Jahre später hatte er sich um 15 Meter verbessert, nur Weltrekordhalter Jan Zelezny war bis heute mit dem neuen Speer je besser. Ein Umstand, den Vetter mit seinem neuen Biotop erklärte: den Obergfölls, mit der ehemaligen Weltmeisterin Christina als mentale Stütze, dazu der Wissensaustausch mit den Rivalen, den Boris Obergföll jahrelang vorangetrieben hatte. Nach dem WM-Erfolg war die Genugtuung so groß, dass Vetter den Dresdenern wünschte, sie mögen sich ruhig "in den Arsch beißen". Schnee von gestern, sagt er heute, eine Überreaktion.

Und jetzt? Vetter will seine Form noch bei ein paar Meetings veredeln, am kommenden Sonntag in Leverkusen etwa. "Ich hätte mich ja auch auf die faule Haut legen können", sagte er zuletzt, vor Kurzem hatte er noch einen "leichten Muskelfaserriss im Ellenbogen" auskuriert. Aber er wolle sich weiter zeigen, diese Saison als Startrampe für 2021 nutzen - eine Olympiamedaille fehlt ihm noch. Ansonsten wolle er in diesen Tagen auch vorleben, dass man mit der Corona-Lage "ganz anders klarkommt, als wenn man nur den Kopf in den Sand steckt". Vollgas eben.

© SZ vom 13.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Leichtathletik
:Zu schnell, um Fußball zu spielen

Deniz Almas belebt mit einer Zeit von 10,09 Sekunden den deutschen Sprint und prophezeit seiner Generation "eine goldene Zukunft". Beflügelt hat ihn ausgerechnet der Teamgedanke.

Von Johannes Knuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: