Bundestrainer Löw:Der ewige Jogi

Bundestrainer Jogi Löw mit Kevin Kuranyi bei der Fußball-EM 2008

Joachim Löw (l.) und Kevin Kuranyi vor dessen Einwechslung im EM-Spiel gegen Kroatien 2008.

(Foto: dpa)

Seit zwölf Jahren ist Joachim Löw schon Bundestrainer. Er gewann nicht nur den WM-Titel, sondern erlebte auch Debatten ums "Vercoachen", die "Schwaben-Connection" und Kevin Kuranyi.

Chronologie von Sebastian Fischer

Gab es eigentlich schon mal einen anderen Bundestrainer als Joachim Löw? Seit zwölf Jahren jedenfalls nicht, und kein neuer ist in Sicht. Zeit für die noch unvollständige Chronologie einer meistens erfolgreichen und harmonischen Beziehung.

30. Juli 2004: Ein freundlicher Assistent

Es ist längst in Vergessenheit geraten, dass am Anfang alles ganz anders geplant war. Joachim Löw war nicht der Erste, den der DFB damals als Assistenztrainer verpflichten wollte. Der Verband soll zum Beispiel bei Holger Osieck angefragt haben, inzwischen 69 Jahre alt und seit 2013 ein Trainer ohne Job. Oder bei Ralf Rangnick, der demnächst wahrscheinlich mal wieder RB Leipzig trainieren wird. Doch dann fiel die Wahl auf jenen Mann, der Klinsmanns Wunschkandidat gewesen sein soll und in Deutschland aus seiner Zeit als Trainer des VfB Stuttgart als der "nette Herr Löw" bekannt war. Löw fuhr auf dem Mountainbike durch den Schwarzwald, als Klinsmann anrief und fragte. Und Gerhard Mayer-Vorfelder, damals DFB-Präsident, musste den Vorwurf einer sogenannten Schwaben-Connection im Verband mit dem Verweis auf Löws badische Herkunft kontern.

12. Juli 2006: Die Beförderung

Im Kino konnte man sich als Zuschauer schon wundern über diesen Nebendarsteller im Film "Deutschland. Ein Sommermärchen", der Doku von Sönke Wortmann über die WM 2006. Dieser Nebendarsteller namens Jogi Löw fiel immer wieder aus der Rolle und trat ins Rampenlicht. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Polen zum Beispiel referierte er vor der Mannschaft. "Wir stehen eng. Zwingen den Gegner in die Breite zu spielen und verschieben kompakt", sagte er. Und dann, legendär auch wegen einer Geste mit Daumen und Zeigefinger, die einen Espresso zu halten schienen: "Die Organisation mit högschder Disziplin morgen! Mit högschder Disziplin!" Über den heimlichen Taktik-Chef Löw ist nach der WM viel gesprochen worden. Auch weil er dann, nach Klinsmanns Rücktritt, högschd offiziell zum Chef befördert wurde.

29. Juni 2008: EM-Finale gegen Spanien

Über das entscheidende 1:0, das der Spanier Fernando Torres im Finale von Wien gegen den jungen Philipp Lahm und übrigens auch - das wird in der Geschichtsschreibung oft zu Unrecht schattiert - gegen den älteren Christoph Metzelder und den wirklich schon ziemlich alten Torwart Jens Lehmann erzielte, schrieb die englische Zeitung The Independent: "Es war der Moment, in dem der strahlendste der jungen Matadore einen sehr sturen, mürrischen alten Stier erledigte." Deutschland als alter Stier, so war das damals noch, die Nationalelf brauchte einen Generationenwechsel, der über die schon etablierten Poldis und Schweinis hinausging. Löw sagte, man könnte sich diesen Satz vielleicht mal ausschneiden, "dass wir jeden Spieler einer Analyse unterziehen werden". Der Umbruch sollte ihm gelingen.

4. Februar 2010: Handschlagvertrag

Im Winter vor seiner ersten WM als Cheftrainer erfuhr die Welt etwas Überraschendes über den netten Herrn Löw: Der nette Herr Löw kann sich auch streiten und wird sehr gerne sehr gut bezahlt. Theo Zwanziger, damals DFB-Präsident, hatte im Dezember 2009 einen per Handschlag vereinbarten Vertrag bis zur EM 2012 verkündet, was Löw eher überraschte. Er reagierte mit einer öffentlichen Klarstellung: "Einen Handschlagvertrag hat es nicht gegeben. Von unserer Seite wurde ein verhandelbarer Vorschlag vorgelegt, uns dagegen wurde ein nicht-verhandelbares Angebot zugestellt, über das ich innerhalb von 48 Stunden entscheiden sollte." Manager Oliver Bierhoff hatte im Auftrag von Löw, seinem Assistenten Hansi Flick und Torwarttrainer Andreas Köpke durchaus üppige Vertragsentwürfe verfasst. Zwanziger meldete sich daraufhin gar bei Kanzleramtschef Ronald Pofalla, um Angela Merkel zu beruhigen ("Die Kanzlerin soll sich keine Sorgen machen"). Ein paar Tage später gestanden alle Parteien Fehler ein und schlossen einen Burgfrieden vor der WM.

7. Juli 2010: Das nächste 0:1 gegen Spanien

Dass Löw der Umbruch, ja ein Kulturwandel gelungen war, hatte sich schon in mutigen Personalentscheidungen vor dem Turnier angekündigt. Ein Beispiel? Kenner erinnern sich noch daran, dass Kevin Kuranyi nicht immer schon in gepunkteten Hemden neben ARD-Moderatoren gut aussah, sondern auch mal Nationalspieler war. Als Kuranyi 2008 zur Halbzeit jedoch vor lauter Frust über seine Nichtberücksichtigung fürs DFB-Aufgebot das Westfalenstadion verließ, da sagte Löw, dass er ihn nicht mehr nominieren werde. Er vertraute fortan den Neuers, Müllers, Khediras und Özils, den U 21-Europameistern von 2009. Und Deutschland spielte vier Jahre vor dem Titelgewinn so überraschend ästhetisch und offensiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch wenn gegen Spanien im Halbfinale die Effektivität fehlte, blieben Spiele wie das 4:0 im Viertelfinale gegen Argentinien in Erinnerung, als sogar Arne Friedrich traf. Löw verlängerte nach dem Turnier seinen Vertrag bis 2012.

Die Idee mit Toni Kroos

28. Juni 2012: Balotellis Muskeln

Es ist nicht vollständig bewiesen, wann dieses Wort, das laut Duden eigentlich gar keines ist, in den Fußballsprachgebrauch einging. Aber es kann gut sein, dass man seit jenem Abend von Warschau vom "vercoachen" spricht, wenn ein Coach sich ganz offensichtlich vertut. Löw nahm vor dem Halbfinale gegen Italien Miroslav Klose, Thomas Müller und Marco Reus aus der Mannschaft und bedachte den bis dahin kaum eingesetzten Toni Kroos mit einer Rolle, die auch sechs Jahre später nicht sinnvoll zu definieren ist. Er sollte irgendwie das italienische Mittelfeld stören. Doch der Italiener Andrea Pirlo kam damit irgendwie ganz hervorragend zurecht. Und der Stürmer Mario Balotelli erzielte zwei Tore, die zunächst Torwart Neuer, aber später vor allem Löw um die Ohren flogen. Balotellis Jubel mit blanker Brust wurde bislang stets aus den Archiven geholt, wenn jemand begründen wollte, der Löw könne das ja gar nicht: das Coachen.

13. Juli 2014: Der Welt gezeigt, der Beste zu sein

Die Diskussionen um ihn und das Team würden ihn "ermüden", hatte er nach der EM gesagt. Er hatte ungewöhnlich lange gebraucht, um sich zu erklären, seinen Vertrag dann aber trotzdem früh, gleich nach der WM-Qualifikation, bis 2016 verlängert. Und in Brasilien vollendete er mit dem Titelgewinn, was ihm gar nicht mehr so viele zugetraut hatten. Es war aus Trainersicht ein Turnier der richtigen Entscheidungen: des richtigen Trainings, in dem er seinem Assistenten Flick das Üben der von ihm so gering geschätzten Standardsituationen gewährte; der richtigen offensiven Taktik, die Brasilien im legendären 7:1 legendär überforderte; der richtigen Einstellung dank funktionsfähiger Hierarchie; der richtigen Aufstellung, in der Kapitän Philipp Lahm im Turnierverlauf vom defensiven Mittelfeldspieler wieder zum Rechtsverteidiger wurde. Und nicht zuletzt: der richtigen Einwechslungen. Löw brachte den Finaltorschützen Mario Götze. Und er sagte: "Weltmeister, das ist ein gutes Gefühl." Im März 2015 verlängerte er seinen Vertrag bis 2018.

7. Juli 2016: Lieblingspoldi, Lieblingsschweini

Mal war es Lob, mal war es Kritik, aber die Argumentation ging immer wieder so: Der Jogi vertraut seinen verdienten Kräften. Zur EM nach Frankreich nominierte er in Bastian Schweinsteiger den Helden aus dem Finale von Rio und in Lukas Podolski den Poldi. Doch im Halbfinale gegen den Gastgeber schied die Mannschaft verdient aus, auch weil ihr ein erfolgreicher Stürmer fehlte. Löw stellte sich den Diskussionen um Ausbildungsfehler im Nachwuchs, der nur noch falsche und keine echten Neuner mehr produzierte. Löw diskutierte eher ungern darüber, was er in Frankreich gedankenverloren an der Seitenlinie getan hatte, darüber diskutierte abschließend Podolski: "80 Prozent von euch und ich kraulen sich auch mal an den Eiern." Ach ja, und natürlich verlängerte Löw seinen Vertrag, diesmal bis 2020. Seine Freude sei "ungebrochen groß", hatte er nach der Europameisterschaft nach fünf Tagen Bedenkzeit gesagt.

2. Juli 2017: Die beste B-Elf der Welt

Tatsächlich war die Freude im Sommer 2017 zu sehen, als Deutschland mit einer jungen Mannschaft ohne Poldi und Schweini, ohne Neuers, Müllers, Khediras und Özils und sogar mit dem echten Stürmer Timo Werner den Confed Cup gewann. "Die Basis ist gut", sagte Löw. Deutschland, hieß es, könne wahrscheinlich auch mit zwei verschiedenen Mannschaften Weltmeister werden. Und selbstverständlich mit dem Trainer Löw, längst auch Deutschlands berühmteste Werbefigur für Creme, Synonym für Yogi-gleiche Entspannung - und von der Mehrheit als ähnlich unverzichtbar erachtet wie die Kanzlerin.

3. Juli 2018: Versuch der Korrektur

Nach der schwächsten Weltmeisterschaft der deutschen Fußballgeschichte, für die selbstverständlich auch dem Trainer Löw die Schuld gegeben wird, macht er weiter. Das bestätigte nun der DFB. Löws Vertrag, vor dem Turnier in Russland verlängert, läuft bis 2022.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: