Süddeutsche Zeitung

Jörg Jaksche über Jan Ullrich:"Er wollte niemanden um sich haben, der ihm Unbequemes sagt"

Jörg Jaksche, ehemaliger Radprofi und Teamkollege von Jan Ullrich, spricht im SZ-Interview über seine Zeit mit dem einstigen Tour-de-France-Sieger und den schweren Wechsel vom Profisport ins echte Leben.

Von Johannes Knuth

Vor knapp drei Wochen hat der ehemalige Radprofi Jan Ullrich eine digitale Kurznachricht an ein paar Bekannte geschrieben: "Ich lebe zur Zeit meine Freiheit aus. Wäre ich Musiker oder Filmstar, würde mein Lebensstil niemand stören." Diese Freiheit, stellte sich in folgenden Wochen heraus, sah im Kern so aus: eine Konfrontation mit Ullrichs Nachbar Til Schweiger auf Mallorca, Alkoholexzesse, ein mutmaßlicher Übergriff gegen eine Prostituierte, Festnahme und Entzug.

"Tragisch", findet das der ehemalige Radprofi Jörg Jaksche. Aber es sei auch bezeichnend gewesen, wie Ullrich seine Exzesse zunächst moderierte. "Als habe er gar kein Drogenproblem, sondern spiele jetzt einfach ein bisschen Rockstar. Damit verdrängt er mal wieder ein ganz anders, größeres Problem", findet Jaksche. Zum Beispiel wie es ist, nach der schillernden Sportkarriere den kalten Entzug im echten Leben zu verarbeiten.

Jaksche zählte, bevor er 2007 zum Doping-Kronzeugen wurde, zu den besten Radprofis der Welt. 2004 gewann er das prestigeträchtige Etappenrennen Paris - Nizza, 1999 erlebte er Ullrich beim damaligen Team Telekom. Er skizziert im Interview mit der Süddeutschen Zeitung das Bild eines Profis, der nie zu Selbstverantwortung neigte und im Sport von einem Umfeld eingenommen wurde, das ihm das Denken abnahm und noch einiges mehr. "Er hat Leute relativ schnell ausgeschlossen, die ihn kritisierten. Er hat das dann immer damit begründet, dass er Harmonie brauche", erinnert sich Jaksche: "Tatsächlich wollte er niemanden um sich haben, der ihm Unbequemes sagt." Am Ende habe sich Ullrich damit nur in eine schwierige Situation manövriert: "Was machst du, wenn die Karriere vorbei ist und all die Leute weg sind, die dir alles abgenommen haben?"

Ullrich verhedderte sich in einem Gestrüpp aus Halbwahrheiten

Das Ende kam bei Ullrich abrupt: Er wurde 2006 von der Tour de France ausgeschlossen, die er 1997 als bis heute einziger Deutscher gewann - weil er in der Kundendatei des Arztes Eufemiano Fuentes auftauchte und damit als Blutdoper enttarnt wurde. Jaksche, der damals ebenfalls aufflog, gestand umfassend, kooperierte mit der Justiz, heute kann er unbeschwert über die dunklen Seiten des Sports reden. Ullrich arbeitete seinen Betrug nie auf, verhedderte sich in einem Gestrüpp aus Halbwahrheiten und eidesstattlichen Versicherungen. Jaksche erinnert sich an ein Telefonat mit Ullrichs damaligem Manager Wolfgang Strohband, der seinen Klienten in die Talkshow "Beckmann" schicken wollte, aber ohne die Absicht, etwas zuzugeben. "Ich habe ihm noch gesagt: Herr Strohband, sie führen das Schaf zum Schafott." Na ja, habe Strohband entgegnet, man kriege dafür aber auch rund 25 000 Euro. "Wenn Ullrich damals die richtigen Leute um sich herum gehabt hätte", glaubt Jaksche, "würde er heute besser dastehen."

In Ullrichs Abstieg spiegelt sich allerdings auch ein Systemproblem, findet Jaksche: Und zwar ein Sport, der körperlich und seelisch kaputte Athleten ausspucke und kaum auf die Zeit nach der Karriere vorbereite. Man verliere von einem Tag auf den nächsten seine Identität, dazu die Urgewalt des Wettkampfs. "Jan hat immer in Extremen gelebt, er konnte sich kaum bremsen. Diese Intensität, die du im Sport verspürst, kannst du natürlich nur schwer ersetzen", sagt Jaksche. Hinzu komme der Dopingkonsum, der damals in fast allen Rad-Teams fest installiert war, wie ein "kontrolliertes Fixertum". Ihm habe nie ein Arzt gesagt: "Pass mal auf, das machen wir jetzt nicht, weil das gefährlich ist. Das stand nie zur Debatte, nie!", erinnert sich Jaksche: "Irgendwann glaubt man, das ist das Normalste von der Welt."

Jaksche hält die Art und Weise, wie Ullrich bis zuletzt in der Öffentlichkeit und im Radsport für seinen Pharmabetrug geächtet wurde, freilich für unfair: "Weil er nicht für ein System verantwortlich sein kann, in dem der Betrug so fest verankert ist." Und heute? "Man kann nur hoffen und wünschen, dass er aus dem Umfeld an Menschen, mit denen er sich gerade umgibt, irgendwie herauskommt und nach einer langen Therapie wieder heil ins Leben zurückfindet."

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