Bengals-Quarterback Burrow:Eiswasser in den Adern 

Bengals-Quarterback Burrow: Bengals-Quarterback Joe Burrow steht mit seinem Team in Finale der NFL.

Bengals-Quarterback Joe Burrow steht mit seinem Team in Finale der NFL.

(Foto: Ed Zurga/AP)

Joe Burrow führt die Cincinnati Bengals zur ersten Finalteilnahme seit 33 Jahren - mit einer coolen Selbstsicherheit, die man nur noch selten sieht im Profisport. Im Super Bowl gegen die Rams kann er etwas ganz Besonderes schaffen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jetzt mal ehrlich: Wie cool ist dieser Joe Burrow eigentlich? Der Quarterback hatte die Cincinnati Bengals gerade zum ersten Mal seit 33 Jahren in den Super Bowl geführt - mit einem unfassbaren Comeback-Sieg bei den favorisierten Kansas City Chiefs, gerade mal eine Woche nach dem Comeback-Sieg gegen die favorisierten Tennessee Titans. Was es nicht gab: Freudentänze, Selbstlob, Kampfansagen. Burrow wirkte eher wie einer, der zufällig am Stadion vorbeigekommen und von den Bengals gefragt worden war, ob er heute den Spielmacher geben könne - das Spiel dann gewinnt und danach lieber die anderen anstatt sich selbst lobt.

"Unsere Defensive war in der zweiten Halbzeit einfach nur grandios", sagte er nach dem 27:24 nach Verlängerung - zwischenzeitlich hatte es 21:3 für die Chiefs gestanden: "Das ist jetzt kein prickelnder Zwischenstand, aber wir hatten das Gefühl, dass das nicht unbedingt vorbei ist. Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass ich mal mit den Bengals das Finale erreichen würde, hätte ich diese Person für verrückt erklärt - jetzt überrascht mich das nicht wirklich." Noch mal: Wie cool ist der Typ?

Burrow kommt ohnehin immer ein bisschen daher wie einer, dem man zutraut, morgens um fünf aus der Diskothek zu torkeln und Leute beim Freizeit-Football auf der Wiese zu fragen, ob er ein bisschen mitzocken könne. In der linken Hand Absacker und Zigarre, die er währenddessen nie weglegt - und natürlich würde er gewinnen und danach allen feixend zur Gaudi gratulieren. Das unterscheidet ihn von anderen Spielmachern: Tom Brady sieht auf dem Spielfeld immer aus, als würde ihm irgendwas Sorgen bereiten; Aaron Rodgers wie ein fünffacher Familienvater, kolossal genervt von anderen Vätern, weil die den neuen Grill nicht würdigen; Cam Newton tut so, als wäre er Superman.

Man sollte diesem Joe Burrow seine Art nicht als Schwäche auslegen

Man sollte keinesfalls den Fehler machen und Burrow diese Nonchalance als Schwäche auslegen - ganz im Gegenteil: Es ist ja ein Zeichen von Unsicherheit, wenn sich einer dauernd gegen die Brust trommelt oder permanent auf die eigene Großartigkeit hinweist. Burrow hält sich ans wunderbare Mantra "Jantelagen", das Abba-Legende Björn Ulvaeus so beschrieben hat: "Warum prahlen - vor allem, wenn man es gar nicht nötig hat?"

Burrow weiß schon, dass er gut ist, sagt sein Mentor Archie Manning. Der war selbst NFL-Quarterback, und er ist der Vater der jeweils zweimaligen Super-Bowl-Sieger Peyton und Eli. "Er weiß, wer er ist; und er benimmt sich wie einer, der weiß, wer er sein will", sagt Manning. Die beiden haben sich bei einem von Mannings Quarterback-Camps kennengelernt, und es ist wichtig, dass Burrow dorthin gekommen ist: Es erklärt, wer er heute ist und wie er heute spielt, und warum er daherkommt wie einer der ganz Coolen der Sportgeschichte. Wie Rennfahrer James Hunt oder Tennisspieler Vitas Gerulaitis zum Beispiel, von denen es heutzutage leider kaum noch welche gibt.

Burrow, 25, wuchs in der Kleinstadt Athens auf, zweieinhalb Autostunden von Cincinnati entfernt. Als Highschool-Antreiber wurde er von Talentspähern mit drei Sternen bewertet - als einer, der dann doch nicht mit den Hochbegabten mithalten kann. An der Football-Uni Ohio State schaffte er es nicht zum Stammspieler und bestätigte die Drei-Sterne-Bewertung im Fünf-Sterne-Kader. Er machte schnell einen Abschluss in Finanzwirtschaft (man weiß ja nie) und wechselte an die Louisiana State University. Dort lernte er Ja'Marr Chase kennen, dem er nun bei den Profis wieder die Bälle zuspielt; am Sonntag sechs Mal für 54 Yards Raumgewinn und einen Touchdown.

Dazwischen besuchte er das Manning-Camp, tankte Selbstbewusstsein und legte vor dem zweiten Uni-Abschluss (diesmal in Kunst, man weiß ja nie) die nach allgemeinem Dafürhalten grandioseste Saison der College-Football-Geschichte hin. Es gibt ein Foto, das seitdem zum Markenzeichen geworden ist: Burrow, wie er nach Titelgewinn und "Heisman Trophy" für den besten Einzelspieler mit einer Zigarre im Mund und übereinander geschlagenen Beinen in der Kabine hockt und einfach chillt.

Danach machte er Witze über seine vermeintlich viel zu kleinen Hände (in der NFL wird alles gemessen, was man messen kann) und mangelhafte Athletik: Er veröffentlichte ein Foto mit nacktem Oberkörper, auf dem er noch unsportlicher aussah als einst Tom Brady - mittlerweile der beste Spielmacher der Geschichte. Ach ja: Als er die Trophy bekam, redete er nicht über sich oder seine Förderer; er sprach lieber über die Armut in seiner Heimatstadt und sammelte 450 000 Dollar Spenden.

"Ich bin, wer ich bin, weil ich es nicht immer leicht hatte im Leben", sagt Burrow: "Schaut euch doch mal die Spielmacher in den Playoffs an - da sind viele dabei, die Probleme hatten, manchmal erst als Profi." Sein Quarterback-Gegner im Super Bowl wird Matthew Stafford sein, der zwölf erfolglose Jahre bei den Detroit Lions verbrachte, in dieser Saison mit den Los Angeles Rams sein erstes Playoff-Spiel gewann und nach dem 20:17 gegen die San Francisco 49ers zum ersten Mal das Endspiel erreicht hat.

Burrow wandelt durchs Leben wie einer, der im Casino bereits den Jackpot abgeräumt hat, jetzt mit dem Gewinn zockt und Rückschläge gelassen hinnimmt - wie zum Beispiel den Kreuzbandriss in seiner ersten Saison. Seinen Eltern schrieb er danach, wie toll seine Kollegen Bälle gefangen hätten, und auf Twitter schrieb er: "So leicht werdet ihr mich nicht los - bis nächstes Jahr."

Nun hat er die Bengals ins Endspiel geführt, die Football-Franchise hat in seiner 53-jährigen Geschichte noch nie den Titel gewonnen. Die Natur hat Eiswasser statt Blut in die Adern von Burrow gefüllt - den Spitznamen "Joe Cool" allerdings kriegen im Football nur die ganz Großen: Joe Namath oder Joe Montana zum Beispiel, beide Super-Bowl-Sieger. Burrow kann sich den in zwei Wochen erarbeiten; in L.A., gegen die dort beheimateten Rams. Wie cool wäre das denn?

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