Nationalmannschaft:Löw vermittelt erfolgreich Kampfgeist

Joachim Löw bleibt Bundestrainer

Leitet die Nationalelf auch bei den nächsten Länderspielen: Joachim Löw.

(Foto: Robert Michael/dpa)

Joachim Löw kann der DFB-Spitze offenbar glaubhaft darlegen, dass er nicht nur aus Gewohnheit Bundestrainer bleiben will. Bei der Entscheidung, an ihm festzuhalten, ist auch viel Politik im Spiel.

Von Philipp Selldorf

Beinahe zwei Wochen sind seit jenem Abend in Sevilla bereits vergangen, aber es darf als sicher gelten, dass sich die Herren, die am Montag in der DFB-Zentrale zusammenkamen, noch sehr genau an die Grausamkeiten erinnern, die damals unter dem Himmel Andalusiens passierten. Sämtliche Teilnehmer des am Wochenende organisierten Symposiums waren damals als Ehrengäste Augenzeugen im Olympiastadion, als die Nationalelf 0:6 gegen Spanien verlor. In Frankfurt traf man sich jetzt, um das Geschehen aufzuarbeiten.

Jogi Löw stand dabei für seine Sache als Bundestrainer ein, während Präsident Fritz Keller, die Stellvertreter Rainer Koch und Peter Peters sowie Schatzmeister Stefan Osnabrügge den tonangebenden Präsidialausschuss des DFB repräsentierten. Oliver Bierhoff, der sechste Mann in der Runde, vertrat gewissermaßen beide Seiten: den DFB, dem er als Direktor angehört, und den Bundestrainer, dessen langjähriger Weggefährte er ist. Ferner sprach er für eine dritte Partei: seine eigene nämlich. Außer dem Coach hatte auch der Manager dieses 0:6 zu verantworten.

Kenner weissagten bereits am Morgen, das Spitzen-Treffen werde ein friedliches Ende nehmen, und die Kenner behielten recht. Am frühen Nachmittag meldete der DFB das Ergebnis der Konsultation: "DFB-Spitze unterstützt Joachim Löw auf weiterem Weg mit der Nationalmannschaft", hieß der nicht eben leserfreundliche Titel der durchaus aufsehenerregenden Mitteilung. "Jogi bleibt!" hätte er auch lauten können.

Nach Euphorie und Aufbruch und Kosenamen ist den Fraktionen beim DFB jedoch nicht zumute. Der Sport steht zwar im Mittelpunkt, aber es ist auch sehr viel Politik im Spiel. Die präsidiale Gruppe erklärte sich nun immerhin darin einig, dass der regierende Amtsinhaber der richtige Amtsinhaber ist. Sie attestierten Löw laut Kommuniqué "hochqualitative Trainer-Arbeit", ein intaktes Verhältnis zur Mannschaft sowie "ein klares Konzept für das bisherige und weitere Vorgehen".

Über diese Ansichten wurde anschließend per Videoschalte auch das übrige Präsidium informiert, so dass der vermeintliche High-Noon-Termin bei der ordentlichen Präsidiumssitzung am kommenden Freitag - bei der Bierhoff im Namen des Bundestrainers referieren sollte - keine besondere Bedeutung mehr hat. Die Nachricht an das Fußball-Volk gilt somit mindestens bis zur nächsten Länderspielrunde im März: Joachim Löws Mission ist noch lange nicht vorbei. Obwohl man beim DFB selbstredend mitbekommen hat, dass das Fußball-Volk darüber keine Freudenfeiern veranstalten wird.

Löw will nicht nur aus Gewohnheit im Amt bleiben. Aber die Skepsis des Publikums erschwert den Job

Auch die Ausgangslage des Meetings war nicht frei von Konfliktpotenzial. Als Löw am Tag nach dem 0:6 daheim in Freiburg eintraf, glaubte er sich zumindest des Rückhalts des Präsidenten sicher. Von Fritz Keller hatte er nicht nur beim Zwischenhalt am Münchner Flughafen, sondern auch während der gemeinsamen Rückreise nach Freiburg im Mini-Bus die Zusicherung empfangen, die Arbeit als Bundestrainer fortsetzen zu dürfen. In den folgenden Tagen waren die Signale von Kellers Weinberg am Kaiserstuhl dann aber weniger klar. Nicht zum ersten Mal in seiner Zeit als Verbandsvorsitzender hatte sich der 63-Jährige unter dem Eindruck der internen und externen Debatten offenbar eine neue Meinung gebildet. Keller zog es nun vor, die Entwicklung der Stimmungslage abzuwarten. Löw hat dieses Verhalten als unfreundlichen Akt wahrgenommen. Er vermisste Verlässlichkeit.

Ohnehin ist es ein weitverbreiteter Irrglaube, dass Fritz Keller und Joachim Löw durch ihre Herkunft und die beiderseitige Verbundenheit mit dem SC Freiburg natürliche Verbündete wären. Breisgau-Connection, das klingt druckreif, zumal da auch Löws Assistent Marcus Sorg mal beim SC Freiburg gearbeitet hat. Aber die Connection existiert nicht (Sorg wurde übrigens seinerzeit von Fritz Keller als Cheftrainer des Sportclubs entlassen).

Unterstützung erhielt Löw aus der Profi-Branche. Kein prominenter Vereinsvertreter stellte ihn in Frage oder forderte gar seine Ablösung. Die Bundesliga sieht Löw und dessen DFB-Coaching nicht als Belastung für ihr Renommee. Aus den Hauptquartieren der Spitzenvereine, aus München, Leipzig, Dortmund, Leverkusen, kamen stattdessen Lob und Achtung für Löws Personal-Management während der schwierigen Länderspielrunden im Oktober und November. Der Coach hatte eine Arbeitsteilung für Test- und Pflichtspiele entworfen und dabei in Absprache mit den Klub-Kollegen Rücksicht auf die dauerbeschäftigten Top-Spieler genommen.

Erfahrene Manager wie Rudi Völler plädierten bei der Nachbetrachtung des 0:6 zudem auf mildernde Umstände aus vielen Gründen: Corona-Krise, die Sorge der Spieler vor Verletzungen, geringe Akzeptanz des Wettbewerbs Nations League, Eigendynamik eines Betriebsunfalls. Das Argument der Praktiker aus dem Profi-Lager griffen nun auch die Funktionäre auf: Ein einzelnes Spiel "kann und darf nicht der Gradmesser für die grundsätzliche Leistung des Nationalteams und des Bundestrainers sein", hieß es im Kommuniqué. Den Verantwortlichen stellte sich allerdings die Frage, ob Löw noch die Motivation mitbringt, seine Elf zu Spitzenleistungen bei der EM zu treiben. Oder ob er nur aus Gewohnheit Bundestrainer bleiben möchte. Doch wie nach der WM 2018 vermochte es Löw auch jetzt wieder zu vermitteln, dass er den Kampfgeist besitzt, die Herausforderung meistern zu wollen. Dass seine Arbeit durch eine misstrauische Öffentlichkeit noch komplizierter wird als bisher, das nimmt der DFB in Kauf.

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