Jens Voigt bei der Tour de France:Ausreißer mit Berliner Schnauze

Le Tour de France 2014 - Stage Seventeen

Abschied in Paris: Jens Voigt fährt am Sonntag wohl zum letzten Mal als Tour-Teilnehmer in die französische Hauptstadt.

(Foto: Getty Images)

Der deutsche Radprofi Jens Voigt beendet seine 17. und letzte Tour de France. In Erinnerung bleiben neben Folklore und beachtlichen Erfolgen auch Fragen nach Betrug - Voigt machte im Hochdoping-Zeitalter des Radsports Karriere.

Von Johannes Aumüller, Bergerac

Prächtig gelaunt und mit dem üblichen ausgeprägten Redebedarf hat Jens Voigt die vergangenen Tage bei der Tour de France bestritten. Gleich bei der ersten Etappenankunft in Harrogate etwa war das zu bemerken, als es ihn diebisch freute, dass er sich mit so einer typischen Jens-Voigt-Ausreißaktion für einen Tag das Bergtrikot gesichert hatte.

Oder am zweiten Ruhetag, als er in der idyllischen Anlage Jardins de Saint Benoît nahe Carcassonne in einer kleinen Bar auf dem Sofa saß und niederländischen Journalisten ausführlich über sein nun schon 42 Jahre andauerndes Leben berichtete - und er sich nur etwas grämte, als ihm nicht einfiel, was Schlosser auf Englisch bedeutet. Und nicht viel anders war es während der Etappen im Peloton, wie John Degenkolb schmunzelnd berichtete: "Da konnte es sein, dass er dir noch einen Witz erzählt und eine Minute später schon wieder in die Ausreißergruppe geht."

An diesem Sonntag geht für Jens Voigt seine 17. Tour zu Ende, mehr Teilnahmen hat niemand geschafft in der 111-jährigen Geschichte dieser Rollerei. Und der Berliner hat sich noch einmal so gegeben, wie er sich in den all den Jahren davor gegeben hat. Jens Voigt, das ist die Geschichte von einem, der sich in den Rang einer ungewöhnlichen Institution geradelt hat. Mit seiner Art als polyglotter Peloton-Papa, seiner Fahrweise, seiner Berliner Schnauze. Aber Jens Voigt, das ist neben dieser Folklore auch und vor allem die Geschichte über eine Radsport-Karriere im Hochdoping-Zeitalter.

Bjarne Riis oder Johan Bruyneel als Leiter

Als Voigt 1998 sein Debüt bei der Frankreich-Rundfahrt feierte, geriet die Veranstaltung rund um den Festina-Skandal und den Abzug diverser Mannschaften zu einer "Tour du dopage". Als Voigt 2001 das erste Mal für einen Tag ins Gelbe Trikot fuhr und seinen ersten Etappensieg erreichte, war das Dopingbetrugssystem von Lance Armstrong auf dem Höhepunkt.

Als Voigt 2005 das zweite Mal Gelb trug und wegen eines Fieberanfalls kurz danach die Karenzzeit überschritt, tat er das so wie in den folgenden Auflagen auch als dienstbarer Geist der dubiosen CSC-Mannschaft von Bjarne Riis, in der es diverse Manipulationsfälle und Verbindungen zum spanischen Blutpansch-Doktor Eufemiano Fuentes gab - und in deren Zusammenhang manche Beobachter gar von organisiertem Doping sprachen. Als Voigt 2006 wieder einen Tour-Tagesabschnitt für sich entschied, war gerade die Operación Puerto rund um Fuentes in Gange.

Als Voigt 2009 bei der Abfahrt vom Kleinen Sankt Bernhard so schwer stürzte, dass er sich eine Gehirnerschütterung zuzog, siegte in Paris der Spanier Alberto Contador, der ein paar Jahre wegen Dopings gesperrt wurde. Als Voigt 2012 fürs Team RadioShack startete, war sein Sportlicher Leiter Johan Bruyneel, ein Protagonist der Dopingbetrügereien bei US Postal. Und wenn Voigt jetzt 2014 seine letzte Tour zu Ende bringt, ist die obskure Vergangenheit von der Astana-Mannschaft des designierten Gesamtsiegers Vincenzo Nibali offenkundig.

So viel Doping, so flächendeckend Doping. Die Standardsätze von Jens Voigt zu diesem Thema über all die Jahre lauteten: Ich habe nie gedopt. Ich habe von systematischem Doping in meinen Mannschaften nichts mitbekommen.

Doch die Zahl derer, die ihm das noch glauben, ist sehr gering geworden.

Ziemlich eindeutige Aussagen

Es ist der eine Aspekt, mit einem persönlichen Dopingverdacht umzugehen. Voigt ist nie positiv getestet oder wegen Dopings gesperrt worden, aber es gibt ziemlich eindeutige Aussagen von zwei früheren Radprofis, die zu den Kronzeugen zählen, die über die Praktiken im Feld umfänglich ausgepackt haben, teilweise sogar unter Eid und vor Gericht: der Amerikaner Tyler Hamilton und der Ansbacher Jörg Jaksche, beide früher wie Voigt für CSC tätig. Dort habe es systematisches Doping gegeben, sagte Hamilton, und er glaube absolut, dass Voigt selbst gedopt habe, habe aber keine spezielle Kenntnis davon.

Und Jaksche berichtete im Vorjahr in einem SZ-Interview von einer Anekdote von 1998: "Er kommt zu mir und fragt: Ey Jayjay, was macht denn ihr mit eurem Zeug?! Ich: Wir verstecken es im Staubsauger. Er: Na ja, wir werden es wahrscheinlich irgendwo verbuddeln und nach der Tour wieder abholen. Auf den Punkt gebracht: Wir hatten uns gegenseitig erzählt, dass auch wir dopten. Diese Episode habe ich auch dem BKA erzählt." Und außerdem: "Jens war während der beiden größten Dopingskandale Profi, er war bei großen Teams mit den zweifelhaftesten Leitern, aber wir glauben ihm, dass er nie gedopt hat?"

Nicht irgendeine anonyme Kraft

Voigt empörte sich, erzählte etwas von einer Parallelwelt der beiden Kronzeugen und von offenkundig inneren Zirkeln bei CSC. Das war alles.

Der andere Aspekt ist, wie jemand mit der chronischen Dopingseuche des Radsports insgesamt umgeht. Zumal bei jemandem wie Jens Voigt, der ja nicht irgendeine anonyme Kraft des Feldes ist, sondern eine einflussreiche Person, eine Zeitlang war er zum Beispiel Sprecher der Fahrervereinigung. Oft druckste er nur herum, im Zweifel waren das für ihn ohnehin alles alte Geschichten, aber wenn er sich mal etwas ausführlicher äußerte, dann redete er sich schnell in Rage - und überzog es dabei.

Als sich ein Reporter nach Voigts Wissen über das Doping der Teamkollegen erkundigte, hielt er dem Interviewer entgegen, dieser wisse doch auch nicht, ob die Arbeitskollegen abends koksen würden. Die Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen verglich er, als diese einen Ausstieg aus der Tour erwogen, schon mal mit den Handelnden der DDR.

Und als der Spanier Jesus Manzano in einem ZDF-Interview über seine Doping-Jahre und seine Einschätzungen über die Manipulations-Mentalität im Feld auspackte, reagierte Voigt mit abfälligen Worten und Gesten. Fahrer, welche die Doping-Realität beschrieben, konnte Voigt beherzt attackieren. Für dubiose Gestalten wie Riis hingegen fand er oftmals lobende Worte.

Das Peloton war seine Familie, die er beschützen wollte. Aber das ist eine seltsame Strategie für einen, der all diese dopingverseuchten Radsport-Jahre sauber durchgestanden haben will und sich als Ausnahme in einem erwiesenermaßen sumpfigen Gewerbe sieht.

Am Sonntag endet die 17. und letzte Tour de France von Jens Voigt. Über seine Zukunft hat er noch nicht entschieden, vielleicht kümmert er sich erst einmal verstärkt um seine sechs Kinder, vielleicht steigt er irgendwo als Sportlicher Leiter ein. Im Tross der Tour jedenfalls gibt es so manchen, der hofft, dass sich Jens Voigt eines Tages bei den Erzählungen über seine Radsport-Karriere nicht mehr nur auf Anekdoten, die englische Übersetzung des Wortes Schlosser und seine Tage in den Ehrentrikots der Tour de France beschränkt.

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