Japan:Alles auf  den Schultern

Der angeschlagene Kohei Uchimura fehlt bei der WM als Bezugsgröße für die Konkurrenz sowie als Spektakel fürs Publikum. Der Japaner muss sich schonen: Für Olympia 2020 ist er als Gesicht der Spiele eingeplant.

Von Volker Kreisl, Stuttgart

Einer fehlt. Die Besten der Welt turnen gerade in Stuttgart um die Titel, wie immer wandern sie von Gerät zu Gerät und zeigen überragende Übungen, Doppelsalti, Dreifachsalti, vielleicht auch manche Neuerung. Das Ganze ist unterhaltsam und spannend und dennoch fehlt zwischen den vielen Topleuten einer: Kohei Uchimura.

Schon vor einem Jahr, bei den Weltmeisterschaften in Doha, war er an der Schulter verletzt. Bei einem Spitzenmann in diesem Sport ist dieses Gelenk, das fortwährend in Übungen überdehnt wird, eine der höchststrapazierten Körperzonen. Erst recht bei Uchimura, dem Turner mit dem grandiosen Talent, der zu den Besten in der Turngeschichte zählt.

Zwar hat sich der 30-Jährige immer wieder geschont, hat die Weltcuptourneen ausgelassen, aber Turnen verschleißt eben den Körper, und nun hat Uchimura Blessuren an beiden Schultern. Er erholt sich von einer Verletzung aus dem April und verfolgt die WM von zu Hause aus.

Im japanischen Nationalteam können sich nun einerseits andere inszenieren, zum Beispiel der 22 Jahre alte Kazuma Kaya oder Daiki Hashimoto, 18. Über Jahre hinweg war Uchimura der Vielseitigste und gewann den Mehrkampf mit zwei, drei Punkten Abstand. Insgesamt sechs WM-Titel holte er, dazu zwei Olympia-Sechskämpfe und etliche Einzelmedaillen. Die neuen Favoriten sind nun Artur Dalaloyan und Nikita Nagorny aus Russland, oder der Chinese Routeng Xiao, was die Spannung wieder erhöht im Teamfinale an diesem Mittwoch, in dem die Deutschen nicht dabei sind. Andererseits fehlt in Uchimura gerade auch der Bezugspunkt dieses Sports, der Maßstab für die Konkurrenten, das Spektakel für die Zuschauer. Und den Japanern fehlt womöglich auch der Frontmann fürs größte Fest im Sport, für Olympia, in knapp neun Monaten in Tokio.

Japan: Zeit für einen spektakulären Abgang: In Abwesenheit ihres Überturners Kohei Uchimura müssen nun andere im japanischen Team eine gute Figur machen. Yuya Kamoto empfiehlt sich zum Beispiel am Barren für Olympia.

Zeit für einen spektakulären Abgang: In Abwesenheit ihres Überturners Kohei Uchimura müssen nun andere im japanischen Team eine gute Figur machen. Yuya Kamoto empfiehlt sich zum Beispiel am Barren für Olympia.

(Foto: LIONEL BONAVENTURE/AFP)

Für diese Spiele ist Uchimura in einer tragenden Rolle vorgesehen. In den Disziplinen, mit denen sich Olympia besonders gut bewerben lässt, gibt es in Japan nicht allzu viele Weltklasse-Sportler, wegen deren Plakat-Gesicht die Leute den Kopf in den Nacken legen. Tennisspielerin Naomi Osaka vielleicht, einige Judoka oder Ringer - und natürlich die Turner. Die aber stehen auch in Japan nur alle vier Jahre im großen Fokus. Die meisten Zuschauer, behaupten Japans Sportreporter, sind zwar begeistert vom Turnen, kennen aber die Regeln nicht, und auch von den Namen ihrer Athleten kennen sie nur die wenigsten. Im Turnen sind das Kenzo Shirai, der überragende aber derzeit formschwache Schraubendreher, und natürlich: Uchimura.

Dabei war der nie ein lauter Frontmann, der das Publikum aufrüttelte wie einst der deutsche Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen. Wenn ihm nach einer Übung der Sieg sicher war, dann jubelte Uchimura nicht sonderlich heftig, sondern hob die Arme, zog den Mund ganz leicht in die Breite, und nickte zart und kurz, wie man nickt, wenn man mit etwas grundsätzlich einverstanden ist.

Kohei Uchimura verbringt den kompletten Tag in der Turnhalle und fällt anders als manch anderer Sportler kaum mit Internet-Späßen auf, höchstens ungewollt, etwa als bei Olympia in Rio rauskam, dass er versehentlich 4500 Euro auf Pokemon Go verkloppt hatte. Nur einmal hat man ihn beim Jubeln auch schreien und hopsen gesehen, das war vor vier Jahren bei der WM in Glasgow, als die ganze Last der Forderungen seines Teams und seiner Landsleute auf seinen Schultern lag. Uchimura hatte ja Einzeltitel an Einzeltitel gereiht, aber seine Mannschaft nie zu einem großen Erfolg geführt, in Glasgow klappte es nun, danach tanzten die Japaner auf dem Podium, waren in der Pressekonferenz aber wieder ganz gefasst. Auch Uchimura, der sich nicht vordrängt, weshalb ihn seine Landsleute vermutlich so mögen.

73rd All Japan Artistic Gymnastics Individual All-Around Championships - Day 1; Uchimura

Fehlt wegen einer Schulterverletzung: Kohei Uchimura.

(Foto: Toru Hanai/Getty Images)

Aber nun muss er sich erneut beweisen und sich gewissermaßen doch vordrängen. Bei der internen WM-Qualifikation im April konnte er wegen seiner Schultern nicht mithalten. Nur Platz 37 hatte er belegt, für Olympia steht ihm also etwas Neues bevor: Er muss sich zurückkämpfen, noch dazu in ein junges Team, das sich ein Jahr lang auf höchstem Niveau weiterentwickelt hat. Das frei aufturnen kann, weil es für Olympia als Gastgeber schon gesetzt ist. Dafür muss man als Zurückkämpfer seine Kräfte gut einteilen, vor allem dann, wenn man seine Schultern noch etwas schonen muss, diese wichtigen Gelenke, die an fast alle Geräten belastet werden.

Und man muss sich auch die wenige Zeit gut einteilen, die einem noch außerhalb der Trainingshalle bleibt, wenn man sich eigentlich zurückziehen und entspannen sollte, aber immer mehr Termine anstehen in Fernseh-Shows, beim Verband und bei Sponsoren, als Botschafter für Olympia.

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