Jan Ullrich:Volkes Liebling stellt sein Programm infrage

Offiziell ist Jan Ullrichs Streit mit T-Mobile-Chef Godefroot beendet, aber der Tour-Vierte kommt ins Grübeln. Trotz seiner Äußerungen, diesmal alles richtig gemacht zu haben, will er sein bisheriges Programm überdenken.

Von Jörg Marwedel

Dem jungen Mann auf der Bühne des "T-Mobile-Truck" am Hamburger Jungfernstieg scheint sein Job richtig Spaß zu machen. Auf seinem T-Shirt steht "T-Mobile Actionteam", und in das Mikrofon, das er in der rechten Faust hält, ruft er: "Wir wollen Jan gleich so begrüßen, wie er es verdient." Lauter Jubel bestätigt den Animateur, als seien für Jan Ullrich Ovationen wie für einen Champion angemessen.

Als der Radprofi dann erscheint zum Smalltalk und Autogrammschreiben, schlank, lässig, die Sonnenbrille über die kurzen Stoppelhaare geschoben, rücken ein paar tausend Fans noch näher. Um einige ist es gar geschehen. "Ulle, wir lieben dich", kreischt eine Frau, und als die Rede auf die Kritik kommt, die sein vierter Platz bei der Tour de France ausgelöst hat, empfiehlt jemand: "Hör" nicht drauf." "Sowieso nicht", raunt dieser verschwörerisch zurück.

Hamburg ist ein Heimspiel für den gebürtigen Norddeutschen Ullrich. Er verbeugt sich vor dem Publikum. Die Verbrüderung mit den Massen ist mal wieder geglückt am Tag vor den HEW-Cyclassics, dem einzigen Weltcup-Rennen in Deutschland (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Das Volk hat Stellung bezogen in der Diskussion um das mutmaßlich schlampige Genie. Gegen Walter Godefroot, den unzufriedenen Manager des T-Mobile-Teams, für den gefallenen Helden, der zum fünften Mal am übermächtigen Lance Armstrong und wohl auch an sich selbst gescheitert ist.

"Natürlicher Typ mit kleinen Fehlern"

Norbert Fuchs, ein drahtiger Hobbyradfahrer aus dem Harzstädtchen Wernigerode, ist so einer, der die Stimme des Volkes artikuliert. "Unter aller Kanone" fand Fuchs Godefroots Vorwürfe kurz vor Ende der Tour. Ullrich arbeite nicht professionell genug und sei "kein Killer". "So darf Jan sich nicht demontieren lassen", sagt Fuchs, einer von 14 000 Startern beim "Jedermann-Rennen", bevor er ein magentafarbenes Trikot aus der Tasche zieht, auf das Ullrich gleich seinen Namenszug setzen soll. Dann fügt er an: "Was Andreas Klöden mit seinem zweiten Platz bei der Tour geleistet hat, ist toll", aber der Platz als die Figur des deutschen Radsports, der sei weiter "besetzt". Von Ullrich, dem "natürlichen Typ mit kleinen Fehlern, in dem man sich ein bisschen selbst erkennt".

Godefroot weiß, dass er es schwer hat gegen so viel Popularität, die dem Image des Arbeitgebers Telekom auch ohne Tour-Sieg zu nützen scheint und bis Vertragsende 2006 jährlich 2,5 Millionen Euro wert ist. Am Samstag haben die beiden im Mannschaftshotel auf Ullrichs Initiative hin 15 Minuten geredet. Es sei "ein gemütliches Gespräch" gewesen, hat Godefroot etwas gequält mitgeteilt. Das Gespräch habe "eine Annäherung der Standpunkte" gebracht, hat Ullrich versichert.

In Wirklichkeit war es mehr eine Verabredung für weitere Dialoge, in denen konträr über die "Konsequenzen" debattiert werden wird, die Ullrich nach dieser Tour und der Godefroot-Kritik sichtlich verärgert gefordert hatte. "Ziemlich kurzfristig" werde das nächste Treffen stattfinden, sagt Ullrichs Hamburger Manager Wolfgang Strohband und deutet an, worum es gehen wird: "Dass die Mannschaftsleitung mehr für den Zusammenhalt des Teams tut."

Kostbare Fracht

Was damit gemeint ist, hatte Ullrichs Betreuer Rudy Pevenage kurz vor dem Hamburger Weltcup-Rennen noch einmal in einem Interview umrissen, als er künftig acht Helfer für seinen Schützling forderte. Genauer: ein Team, das so konsequent für den Kapitän fährt wie Armstrongs US-Postal-Team, das seinen Chef über die 3391 Kilometer durch Frankreich eskortierte wie eine kostbare Fracht. Ob es zu einer so radikalen Kurskorrektur kommt, ist allerdings fraglich, denn nicht nur der Skeptiker Godefroot weiß, dass es auch mit einer anderen Konzeption für Ullrich diesmal nicht zum Tour-Sieg gereicht hätte. Eine entsprechende personelle Veränderung des Teams wäre überdies kostspielig.

Immerhin ließ der Radprofi, der unlängst in der ARD-Talkshow Beckmann darauf beharrt hatte, in Vorbereitung und Lebensführung alles richtig gemacht zu haben, die Bereitschaft erkennen, sein bisheriges Programm infrage zu stellen. "Er denkt darüber nach", sagt Strohband. Godefroot wiederum hat sich ein paar versöhnliche Formulierungen abgerungen: "Die Tür für Jan ist bei mir immer offen. Er hat so viel Qualität." Sponsoren und Fans genügt diese offenbar auch ohne den dritten großen Triumph nach dem Tour-Sieg 1997 und Olympia-Gold 2000. "Eher steigende Sympathiewerte" hat Strohband für seinen Klienten selbst in der Wirtschaft ausgemacht. Ein Olympiasieg in Athen würde die "Ullemanie" wohl einem neuen Höhepunkt zutreiben.

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