Süddeutsche Zeitung

Jan Gorr:"Ich glaube, dass wir nach Tokio fliegen"

Der Trainer von Zweitliga-Tabellenführer Coburg hat als Co-Kommentator für Eurosport die Handball-EM begleitet.

Interview von Ralf Tögel

SZ: Herr Gorr, sehen Sie sich nach einer berufliche Alternative um?

Jan Gorr: Ich habe nicht vor, den Beruf zu wechseln. Aber Uwe Semrau (Handball-Moderator bei Eurosport, d.Red.) hat mich gefragt, ob ich ihn bei einigen Spielen der Europameisterschaft als Co-Kommentator unterstützen will. Als klar war, dass es mit meiner Arbeit hier in Coburg zu vereinbaren ist, wurden die Details geklärt.

Wie kam er auf Sie?

Wir hatten vor vier Jahren bei Sport1 schon einmal zwei Spiele kommentiert.

Der Job war hoffentlich gut bezahlt?

Man bekommt eine gewisse Aufwandsentschädigung. Aber ich war so bei diesem Großereignis noch näher dran und konnte Kontakte im internationalen Handball pflegen. Das hat mir viel gebracht und großen Spaß gemacht.

Hatten Sie Kontakt zu den Spielern?

Ich habe mich bemüht, ein paar Hintergrundinfos zu bekommen. Mit dem Letten Girts Lilienfelds und dem Tschechen Stepan Zeman sind ja auch zwei meiner Coburger Spieler dabei. Ich habe auch mit alten Bekannten wie Martin Heuberger (Ex-Bundestrainer), Dragan Markovic (Ex-Nationaltrainer Bosniens) oder Markus Baur (Weltmeister 2007) telefoniert. Um mich vorzubereiten, damit ich den Zuschauern Hintergrundinfos liefern kann.

Haben Sie bei der Gelegenheit auch für den HSC gescoutet?

Da reden wir über Spieler oberhalb unserer Kragenweite, aber man konnte schon ein bisschen genauer hinschauen.

Bei der EM waren viele Handballer aus der zweiten Liga, Sie erwähnten schon den Coburger Kreisläufer Zeman.

Das ist ein hochtalentierter 22-Jähriger, den haben wir früh in seinem Heimatland entdeckt. Über solche Nischen versuchen wir in Coburg voran zu kommen.

Wann wird Frankreichs Nikola Karabatic auf seine alten Tage zum HSC gelotst?

Erwarten Sie eine Antwort?

Beim Bundesligisten HSG Wetzlar spielte doch einst auch Ivano Balic, der Weltklasse-Regisseur aus Kroatien. Da muss sich Ihr Klub doch nicht verstecken, zumal der Erstliga-Aufstieg möglich ist.

Wer weiß, vielleicht gelingt es uns ja mal, so einen Hochkaräter zu überzeugen, aber dafür müssen wir jetzt erst mal unseren Weg weitergehen und durch unsere Arbeit Werbung in eigener Sache betreiben.

Sie waren nicht der einzige Zweitligatrainer bei dieser EM, Daniel Kubes trainiert neben Ihrem Zweitliga-Konkurrenten Emsdetten auch die tschechische Nationalmannschaft.

In seinem Team stehen viele aus der zweiten Liga: Roman Becvar aus Lübbecke, Marek Vanco aus Dresden, Jan Mojzis aus Emsdetten, Petr Slachta aus Aue oder Österreichs Janko Bozovic, der in Gummersbach spielt.

Spricht für das Niveau der Liga.

Total. Das hat sich geändert, als sie sich Richtung Eingleisigkeit entwickelte und die Leistungsdichte kontinuierlich stieg.

Also hat gezieltes Scouting für Zweitligisten seinen Sinn. Es muss ja nicht gleich Norwegens Star Sander Sagosen gehen.

Auch wenn der ein wirklich interessanter Mann wäre. Aber klar, bei dem Turnier trifft sich die Handballwelt, nicht nur Spieler und Trainer, sondern auch Berater. Da ergibt sich das ein oder andere Gespräch. Zumal es nicht nur um kurzfristige Dinge geht, sondern auch darum, mittelfristig etwas in die Wege zu leiten.

Hatten Sie direkten Kontakt zum deutschen Team?

Das ging gar nicht, die Übertragungen von Eurosport werden von Unterföhring aus ausgestrahlt, ich war also nicht in Norwegen, sondern in München.

Am Sonntag ist das Finale - mit Ihnen?

Nein, ich werde das zusammen mit meiner Mannschaft oder zu Hause auf der Couch verfolgen. Die Vorbereitung hier in Coburg läuft, wir trainieren am Wochenende.

Sie gehen mit dem HSC Coburg als Tabellenführer mit zwei Punkten Vorsprung in die Rückrunde, da kann es doch nur ein Ziel geben, oder?

Wir haben uns eine unglaublich gute Ausgangsposition verschafft, jetzt geht es darum, möglichst schnell auf Betriebstemperatur zu kommen. Wir wollen nicht nur an die Leistungen anknüpfen, sondern uns weiterentwickeln, um gerüstet zu sein.

Aber Sie sind doch schon der Primus.

Es waren viele ganz enge Spiele dabei. Das sagt uns, dass das Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen kann. Wir müssen deshalb ehrgeizig bleiben.

Es gibt auch negative Nachrichten.

Richtig: Marcel Timm, einer unserer drei Innenverteidiger, hat sich im Training die Mittelhand gebrochen und fällt mindestens acht Wochen aus. Wir müssen jetzt beweisen, dass wir auch von der Breite her in der Lage sind, auf hohem Level zu agieren.

Der HSC zählte nach dem Erstliga-Abstieg 2017 stets zu den Favoriten. Im vergangenen Jahr war Coburg an 30 von 38 Spieltagen Tabellenführer und wurden noch abgefangen. Was passiert jetzt?

Wir haben heuer zwanzigjähriges Jubiläum, es wäre toll, wenn das mit dem Wiederaufstieg zusammenfallen würde. Wir hatten letzte Saison ein ziemlich neu formiertes, junges Team an den Start geschickt und gleich ein tolles Resultat erreicht. Aber wir hatten uns in der Rückrunde in manchen Situationen abkochen lassen und nicht die Kontinuität bewiesen, die es braucht, um vorne zu bleiben. Ich setze darauf, dass wir daraus lernen. Die Vorzeichen sind aber andere: Diese Saison sind es nicht nur drei Teams, die sich um die vorderen Plätze balgen, sondern fünf bis sechs. Das Niveau hat sich noch mal verbessert. Auch wir sind weitergekommen.

Nächstes Jahr findet die WM in Ägypten statt. Wieder mit Jan Gorr am Mikrofon?

Da habe ich noch nichts gehört und mir auch keine Gedanken gemacht. Es war Neuland, ich fand, es war eine anspruchsvolle Aktion, weil viele Dinge im Hintergrund parallel passieren.

Zum Beispiel?

Ansagen über den Kopfhörer während der Moderation. Davon bekommt der Zuschauer nichts mit. Es war spannend, sich da hineinzufinden und es hat Spaß gemacht. Von daher schließe ich nichts aus.

Gab es Rückmeldungen?

Aus dem Handballumfeld bekommt man schon während der Übertragung übers Handy Feedback, es war überraschend positiv. Scheinbar ist mir der Spagat ganz gut gelungen. Ich wollte nicht zu komplex sein, das war auch der Auftrag: taktische Dinge für den Laien verständlich in den Vordergrund zu rücken.

Frage an den Fachmann: Warum hat Deutschland das Halbfinale verpasst?

Ich finde, dass wir gegen Kroatien ein unglaublich gutes Spiel gemacht haben, was Leidenschaft und Emotion betrifft. Aber in der Crunchtime waren wir nicht mit der Effektivität der Kroaten gesegnet. Das zeigt, wie abgezockt die sind. Es war auch eine sehr schlaue Entscheidung von Kroatiens Trainer Lino Cervar, Duvnjak in der zweiten Halbzeit vorwiegend Abwehr spielen zu lassen. So konnte er Kräfte für diese Abwehr sammeln, die uns sehr beschäftigt hat. Der Teufel liegt da im Detail, und diese Details haben das Spiel entschieden.

Gelingt der Mannschaft von Bundestrainer Christian Prokop noch die Olympia-Qualifikation für Tokio? Sie hat ja nur noch eine Chance: Sie muss im April in Berlin in einem Viererturnier bestehen.

Wir mussten bei der EM verletzungsbedingt die Breite des Kaders noch mehr ins Spiel bringen. Gerade im Rückraum musste der Bundestrainer stark improvisieren. Für die Qualifikation kann man wieder anders aufstellen, das ist ein Vorteil. Also: Ich glaube, dass wir nach Tokio fliegen.

Ist Prokop noch der richtige Trainer?

Es ist eine gute Entwicklung zu sehen. Christian hat sich extrem viele, auch selbstkritische Gedanken über die bisherige Zusammenarbeit gemacht und Dinge verändert und angepasst. Das ist für einen Trainer eine starke Fähigkeit. Man hat auch nicht den Eindruck, dass zwischen Team und Trainer etwas nicht stimmt - er ist der Richtige.

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SZ vom 26.01.2020/and
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