Volleyball:Riese mit Checkliste

Volleyball: Ein Tag, an dem sich mentales wie sportliches Training gleichermaßen auszahlen: James Shaw jubelt über Herrschings überraschenden Sieg in Friedrichshafen.

Ein Tag, an dem sich mentales wie sportliches Training gleichermaßen auszahlen: James Shaw jubelt über Herrschings überraschenden Sieg in Friedrichshafen.

(Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Herrschings Volleyballer gewinnen überraschend in Friedrichshafen. Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist ihr US-amerikanischer Zuspieler James Shaw, der auf seinen Stationen in Europa lange auch mit mentalen Problemen zu kämpfen hatte.

Von Katrin Freiburghaus

Es gibt Tage, an denen alles zusammenpasst. Der vergangene Samstag in Friedrichshafen war so einer - allerdings nicht für die Bundesliga-Volleyballer des VfB, sondern für ihre Gäste, die WWK Volleys Herrsching. Die Oberbayern entführten beim 3:1 (25:22, 22:25, 25:19, 25:22)-Erfolg mit einer starken Teamleistung einigermaßen überraschend drei Punkte vom Bodensee und meldeten damit drei Spieltage vor dem Ende der Hauptrunde ernsthafte Ansprüche auf einen Platz unter den Top Vier vor der Zwischenrunde an. Einer ihrer Stärksten war Zuspieler James Shaw, der persönliche Glückwünsche aber sogleich weiterreichte. Es sei "einfach für mich gewesen", sagte er mit einem breiten Lächeln im Gesicht, "weil einfach alle so gut waren".

Perfekte Abende in einer Führungsrolle sind nichts, was dem 28-Jährigen aus Kalifornien in seiner mittlerweile sechsten Saison in Europa bisher in großer Menge zugefallen wäre. So frech er dem favorisierten VfB am Samstag zweite Bälle ins Feld legte, so selbstverständlich es aussah, wie er da weit oberhalb der Netzkante seine Angreifer in Szene setzte und in hitzigen Situationen beruhigend auf sie einwirkte, so arbeitsintensiv war der Weg zu diesen Momenten. Während seiner fünf Spielzeiten bei fünf verschiedenen Klubs in Italien, Frankreich und Polen hatte es Shaw oft viel Kraft gekostet, nach Verletzungen und sportlichen Rückschlägen nicht einfach alles hinzuschmeißen und nach Hause zu fliegen.

"Mich für den Großteil des Jahres an einem fremden Ort isoliert zu fühlen, hat mich auf allen bisherigen Stationen sehr belastet."

Seine letzte Hallenstation vor Herrsching beendete er vorzeitig und ging für ein Jahr in den Sand. Er habe nicht daran geglaubt, "überhaupt noch einmal Hallen-Volleyball zu spielen", sagt er. Der Grund dafür war nicht sportlicher, sondern mentaler Natur. Erwähnenswert ist das, weil Shaw daraus kein Geheimnis macht, was wiederum etwas ist, das für viele noch immer schlecht zu einem 2,04-Meter-Mann passt, der zum erweiterten Kader des US-Nationalteams gehört und hinter dessen breiten Schultern es kurz dunkel wird, wenn er den Raum betritt. "Mich für den Großteil des Jahres an einem fremden Ort isoliert zu fühlen, hat mich auf allen bisherigen Stationen sehr belastet", sagt er. Bei all den positiven Eindrücken, die es ihn immer aufs Neue versuchen ließen, habe er lange "keinen Weg gefunden, um damit gut klarzukommen".

Shaw gewann während seiner College-Zeit in Stanford so ziemlich alles, was es zu gewinnen gab. "Er war immer ein hoch gehandeltes Talent, das man so ein bisschen in Richtung Perfektion gedrückt hat", sagt Herrschings Trainer Thomas Ranner, "aus meiner Sicht muss er irgendwo ankommen, und wir tun aktuell alles, damit das hier klappt und er sich entfalten kann." Ranner und sein Vorgänger Max Hauser, der als Herrschings Geschäftsführer und Co-Trainer eng mit Ranner zusammenarbeitet, beschreiben Shaw als gewissenhaften, reflektierten und extrem professionellen Spieler. Dass so einer auch privat mal länger über etwas nachdenkt, kann eigentlich niemanden verwundern - genauso wenig wie der Umstand, dass genau das in schwierigen Lebensphasen manchmal zu noch schwierigeren Lebensphasen führt.

Shaw erzählt und schreibt auf seiner Homepage von depressiven Episoden und Phasen, in denen sein Leben komplett auf den Sport und seine Leistung zusammenschrumpfte. Oft hätten ihn frustrierende Trainingseinheiten bis in den Schlaf verfolgt. Er musste Strategien entwickeln, die simpel klingen, die er mittlerweile aber so konzentriert abarbeitet wie sein tägliches sportliches Programm: Kontakt zur Familie halten, sozial aktiv bleiben, sich verbindlich Dingen abseits des Sports widmen.

Es klingt einleuchtend, was er erzählt - und in dieser Offenheit trotzdem ungewohnt. Denn während Sportler, die sich nach Verletzungen zurück kämpfen, hierzulande als zähe Vorbilder gefeiert werden, dürfen Kollegen, die sich einer aus dem Lot geratenen Psyche mit derselben Ernsthaftigkeit widmen, in der Öffentlichkeit unverändert oft bestenfalls mit Mitgefühl rechnen. Diese Diskrepanz ist rational nicht begründbar, aber das Klischee vom perfekten, grenzenlos belastbaren Modell-Athleten bleibt ein zäher Gegner.

Seine Verlobte, selbst Profi-Beach-Volleyballerin, gebe ihm die Sicherheit eines langfristigen Plans abseits des Sports

Ob man ihn mit seinen Erfahrungen zitieren dürfe? "Sicher", sagt Shaw. Ihm selbst habe die Diskursverschiebung, die er in den USA bezüglich mentaler Gesundheit beobachte, "sehr geholfen, um mich damit weniger allein zu fühlen". Gespräche über Einsamkeit und mentale Abwärtsspiralen seien auch in seiner Heimat nach wie vor kein Gute-Laune-Thema, "aber unter Volleyballern, die im Ausland spielen, mittlerweile relativ normal". Auch im deutschen Spitzensport gewinnen psychische Faktoren seit Jahren an Bedeutung. Das öffentliche Thematisieren von Depressionen - in welcher Ausprägung auch immer - bleibt für aktive Profis aber offenbar heikel: Seit dem tragischen Tod des Fußball-Torhüters Robert Enke gibt es Sportler, die darüber sprechen. In der überwältigenden Mehrheit tun sie das allerdings nach ihrem Karriereende.

Letzteres ist für Shaw erst einmal vom Tisch. Er habe festgestellt, dass er noch nicht fertig sei mit dem Hallen-Volleyball, und man ist nach seinen bisherigen Leistungen in Herrsching geneigt, ihm zuzustimmen. Er fühle sich gut. Seine Verlobte, selbst Profi-Beach-Volleyballerin, gebe ihm die Sicherheit eines langfristigen Plans abseits des Sports. Herrsching sei zudem ein Ort, "an dem ich wirklich das Gefühl habe, dass er ein zweites Zuhause geworden ist und an den ich unabhängig vom Volleyball zurückkommen möchte", sagt er. Soziale Interaktion, Ankommen, Interessen außerhalb des Volleyballs - seine Checkliste funktioniert.

Es gebe die Tage noch, an denen Einsamkeit oder zu viele Gedanken an ihm nagten. Aber in einem verkraftbaren Rahmen, seit es ihm gelinge, den Sport bei Bedarf vom übrigen Teil seines Lebens zu entkoppeln. Und dann gibt es Tage wie in Friedrichshafen, an denen er das nicht muss; an denen alle Teile an ihren Platz fallen und sich mentales wie sportliches Training gleichermaßen auszahlen.

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