James Rodriguez:Das kolumbianische Taschenmesser

Bayern Muenchen v Real Madrid - UEFA Champions League Semi Final Leg One

Einer der besten Bayern-Spieler im Hinspiel gegen Real: James Rodriguez (l., im Duell mit Toni Kroos).

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Ob der FC Bayern gegen Real Madrid doch noch das Finale der Champions League erreicht, könnte von der Form von James Rodriguez abhängen.
  • Die Real-Leihgabe gehörte im Hinspiel zu Bayerns stärksten Akteuren.
  • James hatte in München einen schwierigen Start. Seine Entwicklung zum prägenden Mittelfeldspieler hängt mit Trainer Jupp Heynckes zusammen.

Von Martin Schneider, Madrid

Die Sonne über Kastillien warf die letzten Strahlen des Tages auf die blauen Sitzschalen der häuserwandsteilen Ränge des Santiago Bernabéu, als Thiago zu spät kam. Die Mannschaft des FC Bayern hatte sich kurz vorm Abschlusstraining auf dem Rasen versammelt, Franck Ribéry tippelte nervös von einem Bein aufs andere, wobei nicht zu erkennen war, ob das jetzt an der Anspannung lag oder doch an den für Madrid arktischen Temperaturen von acht Grad. Jupp Heynckes wollte gerade eine Ansprache halten, da sah er, wie Thiago als letzter Spieler aus der Kabine auf den Platz trabte. Heynckes drehte sich um, für eine Sekunde schien es, als würde er böse werden - dann lachte er, nahm den Spanier im Kreis auf und sprach zur Mannschaft. James Rodriguez, der pünktlich kam und gerade noch mit Rafinha geflachst hatte, hörte aufmerksam zu. Heynckes sprach kurz, dann drehten die Spieler ihre Runden. Thiago vorne - James als einer von vielen im Pulk.

Wenige Minuten zuvor im holzvertäfelten Presseraum des Bernabéu. Der FC Bayern hatte auf der obligatorischen Pressekonferenz vor dem Champions-League-Halbfinale Thomas Müller und James Rodriguez eingeladen, und Thomas Müller wusste vermutlich vorher, dass er, der normalerweise ganz gut im Reden ist, diesmal zuhören musste. Denn dieser James, der ist in Madrid wieder ein großes Thema geworden. Also gab es viele Fragen an ihn. James, kommst du wieder zurück nach Madrid? James, warum hat es nicht geklappt bei Real? James, wirst du jubeln, wenn du ein Tor gegen deinen Verein schießt? Müller drückte sich den Kopfhörer des Übersetzers ans Ohr und hörte zu.

"Ich bin bei Bayern glücklich. Ich möchte ein sehr gutes Spiel zeigen. Ich möchte, dass Bayern München ins Finale kommt", sagte James. Oder: "Ich habe gute Dinge gemacht in Madrid. In der ersten Saison habe ich viel gespielt, wenn man dann weniger spielt, hat man nicht mehr die Möglichkeit, sich zu zeigen." Und jubeln wird er nicht. Man habe ihn gut behandelt hier, aus Respekt würde er ein Tor nicht feiern.

Viele Fragen bei seinem Start in München

Es ist nicht so unwichtig, was James Rodriguez sagt und denkt und wie er sich fühlt. Denn ob es dem FC Bayern gelingt, das 1:2 aus dem Hinspiel wieder aufzuholen, das wird in erheblichem Maße von der Form des Kolumbianers abhängen. In München war er nach einhelliger Meinung der beste Mann auf dem Platz, kreierte die meisten gefährlichen Situationen, die die Bayern dann halt der Reihe nach vergaben. Dass die Presse in Madrid es mittlerweile für einen Wahnsinn hält, diesen Spieler an Bayern abgegeben zu haben, ist eine erstaunliche Entwicklung. Denn als der Kolumbianer im Juli kam, da brachte er eigentlich viele Voraussetzungen mit, um ein klassischer Fehleinkauf zu werden.

Im vergangenen Jahr, als Real Madrid gegen Turin die Champions-League gewann, da berief ihn Trainer Zinedine Zidane nicht mal mehr in den Kader. Dann verkündete der FC Bayern, man werde James für zwei Jahre ausleihen, die Leihgebühr soll 13 Millionen Euro betragen. Leihen bedeutet: So überzeugt, dass wir ihn verpflichten wollen, sind wir nicht; aber für 6,5 Millionen Euro im Jahr kann so viel nicht schief gehen.

Es hieß, James sei der Wunschspieler von Carlo Ancelotti, aber man fragte sich dann schon, wo der Trainer seinen Wunschspieler eigentlich spielen lassen wollte? James galt zu diesem Zeitpunkt als klassischer Zehner. Aber um die Position konkurrierten bei seiner Ankunft schon die Arrivierten Thiago und Thomas Müller. Wie sollte er da vorbeikommen, grübelte man, zumal Bayern auch noch mehr als 40 Millionen in den zentralen Mittelfeldspieler Corentin Tolisso investiert hatte. Und weil das alles nicht zusammenpasste und James' Spieleragent auch noch der mächtige Ronaldo-Berater Jorge Mendes ist, raunten manche, hinter diesem Geschäft steckten doch bestimmt andere Motive.

Der FC Bayern lieh einen Spieler aus, den Madrid aussortiert hatte, dessen Position in München schon besetzt war und dessen Mentor, Carlo Ancelotti, sehr bald entlassen war. Und dann verletzte sich James auch noch früh am Oberschenkel.

Heynckes vertraute dem verunsicherten James

Unter diesen Voraussetzungen ein paar Monate später zum prägenden Spieler des Champions-League-Halbfinales zu werden - das ist schon eine Entwicklung, und sie hat viel mit Trainer Jupp Heynckes zu tun. Der nahm sich des Kolumbianers an, erkannte die verschüttet gegangenen Fähigkeiten, die ihn zum prägenden Spieler der Weltmeisterschaft 2014 gemacht hatten, sprach Spanisch mit ihm, und vor allem vertraute er dem verunsicherten Kolumbianer. "Er merkt, dass er Fehler machen darf", sagte Heynckes in einem Interview mit dem Magazin Kicker und meinte: "Er ist jetzt voll integriert", was natürlich impliziert, dass er vorher nicht voll integriert war.

In den vergangenen Partien spielte James nicht mal auf seiner Lieblingsposition hinter den Spitzen. Heynckes stellte ihn neben Javi Martinez als Sechser auf. "Ich spiele nicht mehr so nah vorm gegnerischen Tor, ich muss mehr nach hinten arbeiten, man muss viel laufen", erklärte er vor dem Spiel in Madrid. Und man muss mehr Zweikämpfe führen, aber auch das kriegt er hin. Die Statistik sagt, dass sich kein Spieler beim 1:2 im Hinspiel öfter in die Duelle warf als er. Und das bei einem Spieler, den man eher in die Kategorie "Künstler" stecken würde. Aber es ist ja nicht so, als wäre James jetzt zum Steineklopfer geworden.

Vor einem Jahr spielte auf seiner Position noch der Veteran Xabi Alonso (den Bayern übrigens wie auch Arjen Robben ebenfalls vom Madrider Abstellgleis verpflichtete und damit richtig lag). Dessen Spielsortierer-Rolle war folglich vakant. Arturo Vidal, das war klar, würde das in der Form nicht können, Tolisso setzte sich nicht durch, ebenso wenig Sebastian Rudy und Thiago - der ist nach seiner langen Verletzung in der entscheidenden Phase der Saison ein bisschen neben der Spur. Im Hinspiel spielte er nach seiner Einwechslung direkt fünf Fehlpässe.

Und so übernimmt James einfach alles. Neben Martínez aufräumen, Pässe spielen, Freistöße schießen - im Hinspiel feuerte er auch mal mit beiden Händen rudernd das Bayern-Publikum an. Tolisso hatte in Frankreich den Spitznamen "Taschenmesser", weil er so viele Fähigkeiten besitzt, im Moment ist James das wahre Allzweckwerkzeug des FC Bayern, das kolumbianische Taschenmesser, wenn man so will.

Der FC Bayern besitzt eine Kaufoption für James, für 42 Millionen Euro, so heißt es, könnten sie den Kolumbianer nach zwei Jahren Leihe fest verpflichten. Es gilt als sicher, dass die Münchner diese Option ziehen werden. Für einen 26-Jährigen, der ein Champions-League-Halbfinale prägen kann, ist das natürlich in der heutigen Zeit quasi nichts.

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