Jakob Johnson in der NFL:Abruptes Ende der perfekten Underdog-Erzählung

July 29, 2019: New England Patriots fullback Jakob Johnson (47) warms up at the New England Patriots training camp held; Jakob Johnson

Bittere Enttäuschung nach einem selten gesehenen Aufstieg: Die Saison für Jakob Johnson ist wohl beendet.

(Foto: imago images/ZUMA Press)

Der Stuttgarter Jakob Johnson hatte mit Football eigentlich schon abgeschlossen. Doch er kämpfte sich wider alle Wahrscheinlichkeiten an die Seite von Tom Brady - nun muss er den nächsten Rückschlag verkraften.

Von Tim Brack

Womöglich schmücken die Pizzabäcker in Boston ihre Fenster bereits mit Schildern: "Help wanted". Auf dem Arbeitsmarkt ist ja ein potenzieller Mitarbeiter: Profi-Footballer Jakob Johnson von den New England Patriots.

In der National Football League (NFL) hat sich Johnson, 24, im Spiel gegen die New York Giants (35:14) so schwer an der Schulter verletzt, dass ihn die Patriots am Montag auf die sogenannte Injured Reserve List setzten - ein niederschmetternder Schlag für den gebürtigen Stuttgarter. Denn wer auf dieser Verletztenliste auftaucht, muss mindestens acht Wochen aussetzen. Zwar dürfen zwei Spieler im Laufe der Saison in den Kader zurückkehren, doch bei den Patriots ist die Ausfallliste illuster besetzt - und Johnson weder die erste noch die zweite Wahl. Die Saison ist damit für ihn so gut wie sicher gelaufen.

Für Johnson müssen sich die vergangenen Tage wie ein Déjà-vu angefühlt haben. Schon einmal hatte eine Schulterverletzung seinen Karriereweg ruppig unterbrochen. 2017 spielte er noch College-Football an der University of Tennessee. Die Verletzung damals war für ihn ein Signal: Der Football-Weg endet hier. Statt vor rund 100 000 Zuschauern die gegnerischen Spieler zu jagen, arbeitete er in einer Pizzeria. Der Rückschlag ermöglichte freilich erst eine Geschichte von der Art, wie sie in den USA besonders gern erzählt wird: die Geschichte vom Underdog.

Johnson war der perfekte Protagonist für eine solche Erzählung, denn er setzte sich gegen alle Wahrscheinlichkeiten durch. Wer in die NFL will, empfiehlt sich normalerweise über Leistungen am College, kommt auf eine Draft-Liste und wird von einem NFL-Team ausgewählt. Nur 1,6 Prozent der College-Footballer überhaupt bestreiten diesen Weg erfolgreich - und Johnson war nach seiner Verletzung auf einen Umweg abgebogen. Er ging zurück in seine Heimat nach Stuttgart. Dort fingen ihn Weggefährten seines Jugendvereins Stuttgart Scorpions auf.

Johnson bestritt zwölf Spiele in der höchsten deutschen Spielklasse für die Scorpions und entdeckte in dieser Zeit seine Liebe zum Football wieder. Dass er aber nur wenige Monate nach seiner Rückkehr nach Deutschland in der NFL spielen würde, klang nach einer Utopie. "Wenn mir das jemand erzählt hätte, als ich ihn kennengelernt habe, hätte ich gesagt, er ist verrückt", sagt Rick Webster, Offensive Coordinator bei den Stuttgart Scorpions. Zunächst habe Johnsons Verletzung ihn auch mental eingeschränkt, sagt Webster. Doch nach und nach fand der Sohn eines Amerikaners und einer Deutschen das Vertrauen in seinen Körper wieder.

Für Johnson ein Traum, für Patriots-Coach Belichick zunächst nicht

In der NFL hatten sie Johnson keineswegs vergessen. Im Frühjahr 2018 erhielt er die Einladung, in London an einem Probetraining für das International Pathway Program (IPP) teilzunehmen. Über dieses fördert die Liga talentierte ausländische Spieler. Johnson schuftete zu Jahresbeginn in einem dreimonatigen Trainingscamp, ergatterte am Ende seinen Platz. In der NFL war er deswegen aber noch lange nicht angekommen.

Der Stuttgarter wurde den Patriots zugeteilt. Für Johnson ein Traum, für Patriots-Coach Bill Belichick zunächst eher nicht. "Ohne das Pathway Program hätten wir ihn nie unter Vertrag genommen", sagte Belichick: "Ich kann nicht sagen, dass wir am Anfang vollauf begeistert waren, ihn verpflichtet zu haben." Zwar trainieren die Spieler des IPP mit den Teams, aber dabei bleibt es meistens. In den Wettkampf-Kader schaffte es seit Einführung des Programms 2017 noch kein Teilnehmer - bis Johnson kam. Als sich der gesetzte Patriots-Fullback James Develin verletzte, hatte Johnson Belichick überzeugt - Ende September debütierte er gegen die New York Jets. In den folgenden drei Partien stand Johnson von Beginn an auf dem Feld, an der Seite von Quarterback Tom Brady.

Mit der Zeit hatte sich herausgestellt, dass Johnson ein Spieler nach Belichicks Gusto ist. Der Patriots-Trainer ist für seinen ausgeprägten Arbeitsethos bekannt. "Do your job", mach deinen Job, ist seine Maxime. Johnson schlug täglich als einer der Ersten auf dem Trainingsgelände auf, studierte seine Notizen und Spielzüge. Diesen Fleiß hebt auch Stuttgarts Offensive Coordinator Rick Webster hervor, "da unterscheidet sich Jakob sehr von anderen". Zudem sei Johnson intelligent. Als er zwischenzeitlich mit dem Football aufhören wollte, strebte er ein Medizinstudium an. Seine Lernfähigkeit ist ein Vorteil, wenn es darum geht, dicke Ordner mit Spielzügen zu lernen.

Johnsons Fleiß nötigte auch dem Chef-Knurrer Belichick lobende Worte ab: "Er steckt all seine Energie in diesen Job und in unser Team. Er hat sich den Respekt aller verdient." Die Hymne dürfte dabei helfen, wenn Johnson einen neuen Job sucht - im Football, nicht in einer Pizzeria.

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