40 Jahre Trikotwerbung:200 cm² auf der Brust

Menschliche Werbeträger, die Spielerbrust als Litfaßsäule: Seit 40 Jahren gibt es in Deutschland Trikot-Sponsoring. Inzwischen ist es die Vermarktung ein lukratives Millionengeschäft. Jägermeister zahlte Anfang der siebziger Jahre 100.000 D-Mark für einen Platz auf dem Leibchen - heute sind zweistellige Millionenbeträge pro Jahr nicht selten.

Caspar Busse und Uwe Ritzer

Für die Puristen unter den Fußballfans war es endgültig das Opfer auf dem Altar der Kommerzialisierung. Als letzter ganz großer Profiklub verkaufte der FC Barcelona zum Start der laufenden Saison die Trikotbrust seiner Spieler an einen Sponsor - zum ersten Mal in der 112-jährigen Vereinsgeschichte. Lionel Messi und seine Kollegen laufen nun mit dem Schriftzug "Qatar Foundation" auf, eine private Stiftung im Emirat Katar, die Bildungs- und Wissenschaftsprojekte fördert.

Paul Breitner im Trikot der Eintracht Braunschweig, 1977

Der Anfang der menschlichen Litfaßsäule: Paul Breitner im Jägermeister-Trikot von Eintracht Braunschweig

(Foto: dpa/dpaweb)

30 Millionen Euro im Jahr zahlt der Sponsor bis 2015 - es ist derzeit das teuerste Trikot weltweit. Die Katalanen waren bis zum vergangenen Sommer immer stolz auf ihre werbefreien Trikots gewesen. Seit 2006 prangte dort zwar der Schriftzug "Unicef", doch das war ein rein soziales Engagement, für das der Verein jährlich sogar 1,5 Millionen Euro an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen überwies.

Fußballer als menschliche Werbeträger, die Spielerbrust als Litfaßsäule - das Konzept ist jetzt 40 Jahre alt. Günter Mast vom Schnapshersteller Jägermeister hatte im Sommer 1972 die Idee. Am 24. März 1973 liefen die Spieler des damaligen Bundesligisten Eintracht Braunschweig gegen Schalke 04 erstmals mit dem Logo des Spirituosenproduzenten, dem Hubertus-Hirschen, auf. Mast zahlte damals 100.000 D-Mark.

Die Idee setzte sich durch, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) genehmigte als erster nationaler Verband in Europa im Oktober 1973 die "Werbung am Mann". Seit 1978 haben alle Bundesligavereine Trikotwerbung. Heute sind genau 200 Quadratzentimeter Werbung vorne auf dem Trikot erlaubt. In der Saison 2011/12 kommen die 18 Erstligisten zusammen auf Einnahmen von rund 120 Millionen Euro.

Die Aussichten sind gut, das zu steigern. "Der Fußball hat heute einen Stellenwert, den er noch nie gehabt hat", glaubt Günter Netzer. Der Ex-Fußballer ist heute Verwaltungsrat bei der Schweizer Sportmarketingfirma Infront und hat in seiner aktiven Zeit nie mit Trikotwerbung gespielt.

Er war 1973 zu Real Madrid gewechselt, und der damalige Real-Präsident Santiago Bernabéu wollte das Shirt nicht "mit Werbung besudeln", erzählte Netzer beim Club Wirtschaftspresse München. Heute wirbt Real für den Sportwettenanbieter Bwin und erhält dafür 25 Millionen Euro im Jahr. Demnächst wollen die Königlichen offenbar zur Fluglinie Emirates wechseln.

Trikotsponsoring ist eine unverzichtbare Erlösquelle im Fußball geworden, es gibt jedoch in der Bundesliga gewaltige Unterschiede. Die Deutsche Telekom lässt sich ihr T mit den vier dazugehörigen, eckigen Punkten auf den Leibchen von Bastian Schweinsteiger, Franck Ribéry und den anderen angeblich bis zu 23 Millionen Euro im Jahr kosten. Der Sieg im Champions-League-Halbfinale dürfte die Sache Experten zufolge noch um bis zu fünf Millionen Euro teurer machen, das brachte der Telekom aber auch maximale Präsenz.

Wie viel genau ein Sponsor überweist, ist oft auch abhängig von den Erfolgen (und der damit verbundenen Medienpräsenz) einer Mannschaft. Das Basis-Salär der Telekom beim FC Bayern dürfte jedoch bei mindestens 20 Millionen Euro liegen. Demgegenüber kassiert der nur 80 Kilometer von München entfernte FC Augsburg dem Vernehmen nach eine Million Euro pro Jahr dafür, dass seine Spieler für Al-Ko werben, einen schwäbischen Hersteller von Fahrzeugtechnik, Anhängerkomponenten, Absaug- und Klimaanlagen.

Nationaltrikots als "letzte Bastion"

Die "Sichtbarkeit" des Trikotsponsors sei nicht nur im Fernsehen, sondern auch in Print- und Onlinemedien hoch, sagt Ralf Koslowski, Deutschlandchef von Infront. "Man gewinnt die Herzen der Fans", fügt Klaus Allofs, Geschäftsführer bei Werder Bremen, an. Trikotsponsoring werde gar nicht mehr als klassische Werbung wahrgenommen, der Schriftzug gehöre quasi "zur Familie". Bremen spielte zuletzt mit Targobank (ehemals Citibank) und verhandelt derzeit mit neuen Sponsoren. "Wir wollen uns gut verkaufen", sagt Allofs.

Trikotsponsoring dient in erster Linie dazu, die eigene Marke großen Zielgruppen in einem authentischen und emotionalen Umfeld zu präsentieren", sagt Peter Ehm, Sportmarketingexperte aus München. Nichts begeistere die Massen über alle sozialen Schranken hinweg mehr als Fußball. Inzwischen werde die Eliteklasse in immer mehr Ländern vermarktet. Ein Export, der auch Sponsoren lockt, um sich quasi Huckepack im Ausland zu präsentieren.

Wenn Trikotsponsoring wirklich funktionieren soll, genügt es nicht, "Fußballer mit dem Firmenlogo auf einem T-Shirt herumlaufen zu lassen", warnt Experte Ehm, und stellt eine Faustregel auf: Zu jedem Euro, den ein Unternehmen für Trikotsponsoring ausgebe, müsse mindestens ein zweiter, wenn nicht sogar ein dritter Euro kommen, "um eine Story zu erzählen", wie Ehm es nennt. "Fußball liefert die passenden Geschichten und die Gesichter dazu, aber man muss das auch nutzen."

Dementsprechend schnüren Bundesligaklubs und Sponsoren in der Regel Marketingpakete, die weit über den Schriftzug oder das Firmenlogo auf den Spielertrikots hinausgehen. "Dazu gehört vor allem immer das Vorkaufsrecht auf Tickets für gute Plätze bei den Spielen", berichtet Ehm. Das verschafft die Möglichkeit, Kunden oder Mitarbeiter zu Spielen einzuladen, sie als VIPs zu behandeln und zu bewirten, "und ihnen so etwas zu schenken, was sie sich nicht kaufen können".

Erst recht, wenn dann auch noch ab und zu der eine oder andere prominente Spieler oder Vereinsfunktionär zum Plausch vorbeischaut. Vereinbarungen über gemeinsame Werbung, nicht nur an den Werbebanden, sowie exklusive Präsenz runden die Pakete ab. Vodafone-Präsenz beim von der Telekom gesponserten FC Bayern? Undenkbar.

Sponsoring, ob auf Trikots oder anderweitig, hat mit dem Mäzenatentum im alten Stil nichts mehr zu tun. Es funktioniert auch nicht nach dem Motto, dass einer gibt und der andere nimmt. Idealerweise geben und nehmen beide, Verein und Sponsor. Letzterer präsentiert sich in einem lebendigen, emotionalen Umfeld und profitiert von den Erfolgen eines Teams, weil dessen Siege auf ihn abstrahlen. Das funktioniert mancherorts mehr, mancherorts weniger.

Von allen 18 Bundesligavereinen ist der FC Bayern der einzige, der zu einer attraktiven überregionalen Marke geworden ist. "Bayern-Trikots verkaufen sich auch in Hamburg oder Berlin", sagt ein Adidas-Sprecher, der Konzern ist Ausrüster des Vereins. Mit Trikots von Freiburg oder Hannover täte man sich schwerer. Die meisten Vereine wirken und mobilisieren überwiegend in ihren Regionen. Außerhalb davon haben neben den Bayern Meister Borussia Dortmund oder Schalke 04 nennenswerte Fangemeinden.

Ausgerechnet die Sportartikelhersteller haben mit Trikotsponsoring nichts am Hut. In den siebziger Jahren tauchte der Schriftzug Adidas für drei Spielzeiten auf den Trikots des FC Bayern auf. Dann nie wieder. "Wir müssen uns nicht bekannt machen, weil ohnehin jedem klar ist, dass Adidas für Sport steht", sagt der Adidas-Sprecher.

Statt mit dem Markennamen auf der Trikotbrust wirbt die Marke mit den für sie charakteristischen drei Streifen an Ärmeln und Hosen, aber auch das kostet: Um Exklusiv-Ausrüster des FC Bayern zu sein, dürfte Adidas kaum weniger auf den Tisch des Vereins legen als die Telekom.

Ein Tabu aber gibt es noch: Auf den Leibchen der Nationalmannschaft gibt es noch keinen Schriftzug. Daran wird sich wohl so schnell auch nichts ändern. Günter Netzer glaubt: "Das ist die letzte Bastion, die nicht reißen wird."

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