50 Jahre Olympia in Mexiko:Prager Frühling bei den Spielen

1964 Tokyo Olympic
(Foto: The Asahi Shimbun/Getty Images)

Die Turnerin und Reform-Aktivistin Vera Caslavska wurde 1968 vom Training ausgeschlossen und musste im Wald trainieren. In Mexiko-Stadt gewann sie dennoch viermal Gold.

Sie war Weltsportlerin, Politaktivistin, schon zu Lebzeiten eine Turnlegende - und die gefeierte Athletin bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko. Mit blonder Beehive-Frisur und charismatischem Lächeln turnte die damals 26 Jahre alte Tschechin Vera Caslavska zu vier Goldmedaillen. Unter welchen Umständen sie allerdings an die Geräte ging, ist heute - 50 Jahre nach den in vielerlei Hinsicht denkwürdigen Spielen - kaum vorstellbar.

Eine gute Vorbereitung für Mexiko war im Grunde nicht möglich. Caslavska war in ihrer Heimat längst eine Persona non grata. Als bekennende Sympathisantin des Prager Frühlings musste sie untertauchen, nachdem Truppen des Warschauer Paktes den Reformer Alexander Dubcek im August abgesetzt hatten. Caslavska stand daraufhin über Wochen buchstäblich im Wald und trainierte auf Moos und gefällten Bäumen im Verborgenen für Olympia. "Ich wusste, dass viele Menschen auf gute Leistungen von mir hofften, ich wollte sie nicht enttäuschen", sagte sie in einem ihrer letzten Interviews. Caslavska starb im August 2016 an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Die Hoffnungen der Fans hatten sie damals angespornt: Sie wurde nicht nur viermal Olympiasiegerin, sie hatte auch den Mut, nach der Unterzeichnung des brisanten Manifestes der 2000 Worte jede ihrer Goldmedaillen einem Helden des Prager Frühlings zu widmen. Sie nutzte überdies noch die Gelegenheit, ihren Landsmann Josef Odlozil, Olympiazweiter von 1964 in Tokio über 1500 Meter, in der Kathedrale von Mexiko-Stadt zu heiraten. Einladungen aus aller Welt wurden an Caslavska herangetragen, aber nach ihrer Rückkehr in die damalige Tschechoslowakei verschwand die Ausnahmeturnerin über Jahre hinter dem Eisernen Vorhang, mit Ausreiseverbot belegt und beruflich gedemütigt: Die diplomierte Sportlehrerin musste sieben Jahre lang als Putzfrau arbeiten.

Trainiert hatte sie im Wald, unter Havel wurde sie später Beraterin

Mit der ihr eigenen Chuzpe, so sickerte es später durch, holte sich Caslavska ihren Arbeitsplatz in der Sporthalle zurück. Grell geschminkt und tief dekolletiert erschien sie uneingeladen auf einem Empfang des CSSR-Sportverbandes und erklärte dazu auf Nachfragen: "Das ist mittlerweile meine Dienstkleidung." Die Funktionäre fürchteten einen Skandal und verschafften ihr eine Trainerstelle bei Sparta Prag.

Politisch blieb Caslavska unbeugsam. Sie schloss sich dem Bürgerrechtler Vaclav Havel an, der später Staatspräsident wurde. Der Dichter dankte ihr für die Unterstützung, indem er sie zur Sportberaterin machte. Doch ein Schicksalsschlag beendete die Zusammenarbeit. Im Streit zwischen ihrem ehemaligen Ehemann und dem gemeinsamen Sohn Martin kam Josef Odlozil zu Tode, Martin wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Was psychische Störungen bei Caslavska auslöste, von denen sie sich bis zu ihrem Tod mit 74 Jahren nicht mehr vollständig erholen sollte.

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