Süddeutsche Zeitung

Jahn Regensburg:Glaube, Teamgeist, etwas Dusel

Auch gegen Dynamo Dresden fehlt den Regensburgern etwas Leichtigkeit. Dank zweier Jokertore beenden sie trotzdem ihre kleine Negativserie.

Von Mathias von Lieben

Die ehrlichsten Worte von Fußballprofis bekommen neugierige Reporter meist direkt im Anschluss an eine Niederlage entgegengeschmettert. Dann also, wenn sich Trauer oder Wut über das Geschehene noch nicht ganz gelegt haben oder sich sogar zu einer explosiven Mischung zusammenfinden - wie am Freitagabend bei Kevin Broll: "Das ist halt der Unterschied zwischen Männer- und Jugendfußball. Ist mir scheißegal, was meine Kollegen gerade denken. Aber ich bin sauer," polterte der Torwart von Dynamo Dresden nach der 1:3-Niederlage am Freitagabend bei Jahn Regensburg in die Mikrofone: "Man muss den Arsch halt bis zur 90. Minute in der Hose haben."

In seiner Wut beschrieb Broll den Spielverlauf durchaus treffend. Denn der Heimsieg von Jahn Regensburg über Dynamo Dresden war tatsächlich das Produkt einer turbulenten Schlussphase, die Brolls Teamkollegen komplett verschlafen hatten. Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic hatte 15 Minuten vor Schluss beim Spielstand von 1:1 noch einmal drei Stürmer eingewechselt, von denen zwei, Kaan Caliskaner (80.) und Charalambos Makridis (82.), die entscheidenden Treffer zum schmeichelhaften 3:1-Endstand erzielten. Und während Dynamo trotz 80 ausgeglichener Minuten ohne Zählbares heimfahren musste, konnte der Jahn seine kleine Negativserie von zwei Niederlagen zuletzt beenden - und mit dem ersten Zweitligasieg überhaupt gegen Dynamo Dresden wieder auf den Relegationsplatz klettern.

Erneut fehlte etwas Leichtigkeit, aber Dynamo war offensiv harmlos und damit ein dankbarer Gegner

Seinen Einfluss auf das Spielgeschehen wollte Jahn-Trainer Selimbegovic trotz seines glücklichen Händchens nicht überbewerten: "Wir wechseln in fast jedem Spiel fünfmal. Heute hatten wir Glück, dass es funktioniert hat." Glück habe sein Team nicht nur in der Schlussphase gehabt, sondern auch zuvor, als Dresden kurz nach der Halbzeit durch Christoph Daferner erst den 1:1-Ausgleich erzielte (47.) und während der anschließenden Schwächephase des Jahns drauf und dran war, sogar in Führung zu gehen. Auch Rechtsverteidiger Benedikt Saller, der den sehenswerten 1:0-Führungstreffer (34.) erzielt hatte, gestand ein, dass bei dem Sieg "ein bisschen Glück dabei war".

Einerseits erzwingen ja gerade Spitzenmannschaften ihr Glück etwas häufiger und gewinnen auch mal die "dreckigen Spiele" (Jahn-Verteidiger Leon Guwara). Und der wuchtige Kopfball zur 2:1-Führung von Caliskaner nach einer Ecke war das insgesamt 13. Jahn-Tor nach einer Standardsituation - Ligabestwert. Andererseits sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Regensburgern wie schon bei den Niederlagen gegen Rostock und Hamburg erneut die Leichtigkeit abhandengekommen war; und die Sachsen ein sehr dankbarer Gegner waren, weil sie offensiv zu harmlos waren und defensiv laut Dynamo-Trainer Alexander Schmidt, 2014 einst für vier Monate Jahn-Coach, zwei "relativ billige" Gegentore zuließen.

"Uns zeichnet aktuell aus, dass wir an uns glauben und einen guten Teamspirit haben," erklärte Kaan Caliskaner, einer der glücklichen Joker: "Jeder haut alles rein, auch wenn er von der Bank kommt." Anders gesagt: Die Regensburger haben den Allerwertesten offenbar bis zur 90. Minute in der Hose, was angesichts der derzeit notwendigen Improvisation essenziell ist. Zwar kehrten Torwart Alexander Meyer und Rechtsverteidiger Benedikt Saller nach ihren Erkältungen zurück in die Startelf, doch fehlten in Abwehrchef Steve Breitkreuz und Kapitän Benedikt Gimber weiterhin wichtige Stützen. Selimbegovic hatte seine Startelf nach dem 1:4 beim Hamburger SV auf fünf Positionen verändert. "Da fehlen einfach die Automatismen", resümierte er.

Jan-Niklas Beste hat erheblichen Anteil am Erfolg

Trotz der Defizite in der Regensburger Spielanlage sahen die 3413 2-G-plus-Zuschauer einige Lichtblicke. Torwart Meyer war wieder der gewohnt sichere Rückhalt. Auch Bayern-Leihgabe Sarpreet Singh deutete gerade in der ersten Spielhälfte mehrmals seine individuelle Klasse an. Und Jan-Niklas Beste, der mit seinem enormen Laufpensum auf der linken Außenbahn der Dynamo-Defensive schwer zu schaffen machte, hatte durch seinen Eckball vor dem 2:1 sowie seiner punktgenauen Flanke vor dem 3:1 erheblichen Anteil am Erfolg.

Heidenheim, Bremen und Darmstadt - der Jahn trifft bis zur Winterpause nun ausschließlich auf Teams aus der oberen Tabellenhälfte. Sollte er auch nur in zwei Spielen punkten, ist ein Überwintern auf einem Aufstiegs- oder Relegationsplatz nicht unrealistisch. Der neue Sportchef Roger Stilz, der am Mittwoch seinen Dienst in Regensburg antritt, dürfte dann gleich in seinen ersten Tagen mit der Frage konfrontiert sein, ob das bisherige Ziel, der Klassenverbleib, nicht langsam doch korrigiert werden müsste.

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