Ein helles Lachen, dann erschien Ons Jabeur im Pressezelt, gefolgt von zwei Herren in dezentem Schwarz. Die Begleiter nahmen im Hintergrund Platz, verfolgten das Gespräch mit den Journalisten interessiert aus der Distanz. Manager? PR-Berater? Erst als einer der Beobachter in Anzug und Krawatte höflich um ein Erinnerungsfoto bat, wurde deutlich, dass es sich nicht um die gewohnte Tennis-Entourage einer Spitzenspielerin handelte: Eine Delegation der Botschaft von Tunesien stattete Ons Jabeur einen Besuch ab.
Es war ein Tag zu Beginn des Berliner Rasentennisturniers, und Chiheb Chaouch, Geschäftsträger der tunesischen Botschaft und derzeit der höchste diplomatische Vertreter seines Staats in Deutschland, nutzte schon die erste Gelegenheit, sich vom Konsulat in der Lindenallee auf den Weg in den Grunewald zu begeben. Ganz Tunesien, so erklärte er auf Nachfrage bereitwillig, verfolge Ons Jabeurs wunderbare Tenniskarriere. Ihre Rolle als Vorbild für den Sport, für Kinder und Jugendliche, sagte der Diplomat, könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: "Sie ist eine Repräsentantin für Tunesien, für die arabische Welt, für ganz Afrika."
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Ons Jabeur aus Ksar Hellal bei Monastir, 28 Jahre alt und Nummer vier der Welt, führt bei dem hochklassig besetzen Wettbewerb die Setzliste an und steht nach einem Sieg über die junge US-Amerikanerin Cori Gauff im Finale. Mit Schwung, Elan und einem verblüffend vielseitigen Schlagrepertoire jagt sie derzeit von Erfolg zu Erfolg, getreu dem Motto, das sie in Berlin auf ihren T-Shirts trägt: "Yalla Habibi", "Auf geht's, Schatz!"; nur die Weltranglistenerste Iga Swiatek hat seit Jahresbeginn mehr Matches gewonnen. Für ihren Höhenflug hat sie allerdings einen langen Anlauf nehmen müssen. Vor einem Jahr gewann sie ihren ersten Titel auf der WTA-Tour beim Rasenturnier von Birmingham: eine Premiere für eine arabische Spielerin in der Tennisgeschichte. Im Mai hat sie beim Sandplatzklassiker in Madrid triumphiert: als erste Siegerin aus Afrika eines Wettbewerbs der 1000er Kategorie. Yalla Habibi! Spätestens damit hat sie sich einen Namen in Europas Tennisszene gemacht.
Nun steht sie kurz davor, auch auf der anderen Seite des Atlantiks zur Berühmtheit aufzusteigen. Denn Serena Williams, 40, US-Tennisdiva, Sportikone und 23-malige Grand-Slam-Turniersiegerin, hat ihre Rückkehr auf die Courts angekündigt und sich dafür niemand anderen als Ons Jabeur an ihre Seite gewünscht. Kommende Woche werden die beiden als Doppel beim Rasenturnier im englischen Seebad Eastbourne aufschlagen. Die Nachricht, die während des Berliner Turniers über die Nachrichtenticker ging, überraschte die Tennisinteressierten weltweit offenbar nicht weniger als Jabeur selbst. "Ich bin immer noch aus dem Häuschen", sagte sie, als sie darauf angesprochen wurde, es sei "ein Privileg, mit ihr den Platz zu teilen."
Die Hochachtung der Szene vor der Ausnahmespielerin, die zwei Jahrzehnte die Konkurrenz über die Center Courts scheuchte, ist enorm; und womöglich stieg die Ehrfurcht noch in den zwölf Monaten, in denen Williams das Racket aus der Hand legte und nur noch in ihrer Rolle als Celebrity etwa bei den Oscars auftrat. Vor Jahresfrist stand sie letztmals im Tennisdress in Wimbledon auf dem Platz, auf dem sie siebenmal die schwere Silberschale in Empfang genommen hatte. Damals, im Juni 2021, verletzte sie sich im ersten Match am Fuß und humpelte unter Tränen vom Platz. Nun ist sie entschlossen, übernächste Woche nach Wimbledon zurückzukehren, wo sie 1998 - in einem anderen Jahrhundert - debütierte. Der All England Club öffnet Williams, die in der Weltrangliste mittlerweile auf dem absurd anmutenden Rang 1208 geführt wird, selbstverständlich mit einer Wild Card die schmiedeeisernen Pforten sperrangelweit. Das Doppel zuvor mit Jabeur dient der Wettkampfvorbereitung.
"Ich werde aufschlagen wie Andy Roddick und Volleys spielen wie die Bryan-Brüder"
Einschüchternd sei die Aussicht, sagt Jabeur. Sie werde versuchen, null Fehler zu machen - und ansonsten den Männer-Legenden im Einzel und Doppel des Sports nacheifern: "Ich werde aufschlagen wie Andy Roddick und Volleys spielen wie die Bryan-Brüder." Jabeur hat nie ein Match gegen Serena Williams gespielt, nur bisweilen mit ihr und ihrer kleinen Tochter gesprochen. Ein Austausch ist ihr im Gedächtnis geblieben: "Als sie schwanger war, habe ich ihr gratuliert. Sie sagte: Danke, Ons. Und habe gesagt: Du weißt, wie heiße? Wirklich? Du weißt, dass ich existiere?" Sie lacht, als sie die Episode in Berlin erzählt.
Das Doppel haben die beiden Trainer verabredet, Issam Jellali und Eric Hechtman, der Serena Williams beim Comeback betreut und früher mit deren älterer Schwester Venus Williams arbeitete. Mit Venus, die zeitweise ihre Sparringspartnerin war, versteht sich Jabeur gut. Die Wertschätzung ist offenbar gegenseitig, wie ein von der ägyptischen Tennisjournalistin Reem Abulleil verbreitetes Zitat vermuten lässt. "Ons Jabeur ist eine meiner Lieblingsspielerinnen", hat die ältere Williams-Schwester demnach beim ersten Turniersieg der tunesischen Kollegin gesagt: "Sie hat Mauern eingerissen. Man wird sehen, dass sie eine ganze Generation von Frauen in Nordafrika zum Tennisspielen inspiriert."
Und was Tunesien, die arabische Welt und Afrika motiviert, hat womöglich auch Serena Williams inspiriert.