Süddeutsche Zeitung

Italiens Nationalelf:Vorsicht, macht Spaß

  • Italiens neuer Nationaltrainer Roberto Mancini testet gerade alle Spieler aus, die ihm irgendwo irgendwie positiv aufgefallen sind.
  • Vincenzo Grifo von der TSG Hoffenheim zeigte sich bei seinem Debüt für die Azzurri beim 1:0 gegen die USA derart gewitzt und engagiert, dass Mancini ihn ausdrücklich lobte.
  • "Vor uns müssen alle zittern", meint Mancini - und sieht sein Team "gleich hinter Frankreich".

Von Birgit Schönau, Rom

Die Squadra Azzurra scheint in den Jungbrunnen gestiegen zu sein, allen voran ihr neuer Trainer Roberto Mancini. Quasi über Nacht ist sein edelgrauer Schopf plötzlich wieder brünett geworden - vielleicht, weil Mancini sich endgültig von seinem Vorgänger Giampiero Ventura absetzen wollte, der dem italienischen Fußball ein annus horribilis bescherte. Ziemlich genau vor Jahresfrist besiegelte Venturas Truppe gegen Schweden den absoluten Tiefpunkt in sechs Jahrzehnten: Der vierfache Weltmeister Italien verpasste die Teilnahme am Turnier in Russland. Ventura, 70, musste gehen, fand vor ein paar Wochen beim Erstligisten Chievo Verona noch einmal Unterschlupf, und wurde auch da nach vier Spielen mit einem Punkt gefeuert. Das war am 11. November, und seither sieht man Mancini, 53, mit einer jugendlichen Frisur. Kann das Zufall sein?

Keine Angst, zum Fußball kommen wir auch noch, zunächst zu den Resultaten: In der Nations League hat Mancinis Squadra ein einziges Spiel verloren, gegen die Portugiesen ohne CR7. Vergangenen Samstag gelang dann gegen die Europameister, immer noch ohne Cristiano Ronaldo, ein 0:0. Es war das zweite Unentschieden, einen Sieg gegen Polen gab es auch noch. Die gute Nachricht ist, dass Italien nicht "absteigt" wie Deutschland oder Kroatien (was die Angst davor schürt, bei der EM-Qualifikation auf diese Gegner zu treffen). Aber zwei Tore in vier Begegnungen sind verdammt wenig. Vielleicht ist es wichtiger, dass die Italiener endlich wieder Teamgeist und Spielidee zeigen. Mancini, als Aktiver ein glänzender Zehner, setzt auf Ballbesitz, er will das schöne Spiel.

Beides gilt als vollkommen unitalienisch, aber diese Klischees von gestern interessieren den international erfahrenen Commissario Tecnico nicht. Sicher, die Abwehr muss sicher stehen. Auch deshalb agieren hier, im Gegensatz zum Rest der Mannschaft, die Veteranen. Giorgio Chiellini, 34, hat gerade seinen 100. Einsatz absolviert, er ist der neue Kapitän. Ihm zur Seite steht Leonardo Bonucci, 31 Jahre alt, mit 85 Einsätzen. Weiter vorn aber wird es jung und bunt. Wenn Ventura gegen Schweden mit einer Mannschaft über 30 unterging (Chiellini und Bonucci waren dabei), so ist Mancinis Team im Schnitt vier Jahre jünger.

Vincenzo Grifo aus Hoffenheim trägt die Nummer 10

Der Trainer weiß, dass seine Twens beim nächsten Turnier im besten Stammspieleralter wären, und so probiert er alle aus, die ihm irgendwo irgendwie positiv aufgefallen sind. Am Dienstag, beim Test gegen die USA im belgischen Genk, blieben Chiellini, der junge Milan-Torwart Gianluigi Donnarumma und Napolis hoch talentierter Torjäger Lorenzo Insigne zu Hause. Stattdessen gab Mancini dem 23-Jährigen Stefano Sensi eine Chance, einem Mittelfeldspieler von US Sassuolo. Neben ihm spielte, bereits zum elften Mal, Federico Chiesa, 21, von CFC Genua. Marco Verratti von Paris Saint-Germain ist mit seinen 26 Jahren und 29 Einsätzen schon der alte Mann im Mittelfeld. "Das ist die beste Nationalmannschaft seit Jahren", schwärmte Verratti nach dem in der Nachspielzeit besiegelten 1:0 durch Politano. "Wir haben einfach Spaß miteinander." Spaß! Das wäre dann wohl der größte Unterschied zur unglückseligen Ära Ventura. Kompliment an Mancini,, "der es schafft, das Beste aus uns herauszuholen".

Wohl auch aus Vincenzo Grifo. Der nach der Pause eingewechselte 25-Jährige Deutschitaliener von der TSG Hoffenheim zeigte sich bei seinem Debüt für die Azzurri derart gewitzt und engagiert, dass Mancini ihn ausdrücklich lobte. Grifo trug die Trikotnummer 10, wie einst Gianni Rivera, Roberto Baggio, Alessandro Del Piero und Francesco Totti. Grifo ist in Italien ein großer Unbekannter und auch in der Bundesliga alles andere als prominent, aber für Mancini ist die Nummer 10 kein Heiligtum, jeder kann sie sich verdienen, auch ein Nobody aus der deutschen Provinz. Wenn man bei null anfängt, haben alle die gleichen Chancen.

Wie man die nutzt, zeigte auch Matteo Politano. Der 25-Jährige aus Sassuolo wurde drei Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit eingewechselt, sechs Minuten später gelang ihm das Siegtor. In der Offensive debütierte auch der 18-Jährige Juventus-Angreifer Moise Kean. Jung, frisch, hungrig, so soll Mancinis Italien sein. Die Amerikaner hatten dem nicht viel entgegenzusetzen. Hertha-Ersatztorwart Jonathan Klinsmann, Sohn von Jürgen Klinsmann, und Timothy Weah von Paris Saint-Germain, Sohn des liberianischen Staatspräsidenten und Ex-Milan-Spielers George Weah, blieben auf der Bank - dabei hätten die beiden dem Publikum wenigstens den Glamour großer Namen gegönnt. Der eisgraue US-Interimstrainer Dave Sarachan hatte nach dem 0:3 gegen England vergangenen Donnerstag die Mannschaft komplett umgestellt. Sein erst 20-Jähriger Kapitän, der Dortmunder Borusse Christian Pulisic, ist bei Europas Großklubs heiß begehrt. Gegen die Italiener hatte er keinen großen Auftritt.

"Vor uns müssen alle zittern", prahlte ein sichtlich erleichterter Roberto Mancini. "In Europa kommen wir jetzt gleich hinter Frankreich, und 2019 will ich alle Spiele gewinnen." Angesichts der vielen Torchancen, die seine jungen Wilden auch gegen die USA wieder konstruierten, ist Optimimus angebracht. Allein: Die Ausbeute stimmt nicht. Im Fußball kommt nur weiter, wer trifft. Und daran müssen die Azzurri im nächsten Jahr noch arbeiten.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2018
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