Italiens Nationalelf vor der WM-Quali:Positive Wirkung durch leere Kassen

In Italiens Eliteliga spielen wieder mehr Italiener - für Nationalcoach Cesare Prandelli ist dies eine ziemlich gute Nachricht. Doch er hat auch Sorgen: Wegen einer Augenoperation fällt Stürmer Mario Balotelli im Quali-Spiel gegen Bulgarien aus. Außerdem drohen in Sofia erneut heftige Krawalle.

Birgit Schönau, Rom

Cesare Prandelli ist ein Mann für Experimente. Nie ein siegreiches Team austauschen, solche Phrasen liegen Italiens Nationaltrainer nicht. Auf seinen bei der EM so erfolgreichen Stürmer Mario Balotelli muss Prandelli, 55, bei den ersten beiden WM-Qualifikationsspielen am Freitag (gegen Bulgarien in Sofia) und am Dienstag (gegen Malta in Modena) verzichten. Balotelli hat sich soeben einer Laser-Operation gegen seine Kurzsichtigkeit unterzogen.

Italiens Nationalelf vor der WM-Quali: Warnt vor Gegner Bulgarien: Italiens Nationalcoach Cesare Prandelli.

Warnt vor Gegner Bulgarien: Italiens Nationalcoach Cesare Prandelli.

(Foto: AP)

Kontaktlinsen verträgt der 22-Jährige von Manchester City schlecht, wenn es auch im EM-Halbfinale trotz eingeschränkten Sehvermögens zu zwei Treffern gegen Deutschland gereicht hatte. Balotellis EM-Partner Antonio Cassano, der gerade in Mailand von Milan zu Inter wechselte, wurde hingehen von Prandelli ausgemustert: "Antonio läuft derzeit nur mit halber Kraft, ich brauche aber gegen Bulgarien hundertprozentigen Einsatz."

Den verspricht sich der Commissario Tecnico von Giampaolo Pazzini, der Cassano zuerst bei Milan und nun auch im Nationalteam ablöste. Am Samstag hatte Pazzini mit drei Treffern gegen Bologna Milans 3:1-Sieg entschieden und danach erst mal ein paar Tage Urlaub eingereicht. Mit einer Berufung in die Squadra Azzurra rechnete er nämlich nach monatelanger Funkstille nicht mehr. Prompt beorderte Prandelli ihn ins Trainingszentrum bei Florenz - neben Sebastiano Giovinco (Juventus Turin) und Pablo Osvaldo (AS Rom). Giovinco stand bereits im EM-Aufgebot, hatte einen großen Auftritt aber verpasst. Den Italo-Argentinier Osvaldo hatte Prandelli lieber nicht zur EM mitgenommen, "weil er mir ein bisschen zu nervös erschien".

Wer allzu fleißig Verwarnungen und Platzverweise sammelt, muss sich bei Prandelli hinten anstellen, für junge Talente aber ist die Tür immer offen. "Der Trainer fördert uns Nachwuchskräfte wirklich mit viel Überzeugung", lobt Mittelfeldspieler Andrea Poli, 22, von Sampdoria Genua: "Ich bin ihm dankbar für die Chance, die er uns gibt." Wenn Marcello Lippi auf Erfahrung setzte, sucht Prandelli immer neue Inspiration. Im Mittelfeld ließ er neben Routinier Andrea Pirlo bereits bei der EM Alessandro Diamanti vom FC Bologna zum Einsatz kommen. Diamanti bewährte sich und ist auch in der WM-Qualifikation mit von der Partie. Ebenso wie der Italo-Nigerianer Angelo Ogbonna (FC Turin), den Prandelli schon einsetzte, als der inzwischen 24-Jährige noch in der zweiten Liga spielte.

Sorgen in Sofia

Der Nationaltrainer freut sich darüber, "dass jetzt in der Serie A viel mehr Italiener spielen als früher". So haben die leeren Kassen durchaus eine positive Wirkung, zumindest für die Squadra Azzurra. Beim AC Mailand stand am zweiten Spieltag nur ein Ausländer in der Startreihe. "Für Italiens Fußball ist längst die Nationalmannschaft das Aushängeschild und nicht mehr der Klubfußball", erklärte Kapitän Gianluigi Buffon. Das liegt einerseits an den Ergebnissen (WM-Titel 2006, EM-Zweiter 2012), andererseits aber auch an Prandelli, der seinen Italienern mit einer neuen, offensiver ausgerichteten Spielweise auch ein besseres Image verpasst hat.

Anders als seine Vorgänger betont Prandelli immer wieder den Vorbildcharakter der Nationalmannschaft und verlangt von seinen Spielern gesellschaftliches Engagement. So ließ er die Azzurri auf einem der Mafia entrissenen Fußballplatz in Kalabrien trainieren. Jetzt regte der Trainer an, den Gegner aus Malta in Modena zu empfangen, inmitten einer Region, die Ende Mai von einem verheerenden Erdbeben getroffen wurde. Damit Modena wieder etwas zu feiern hat.

Sorgen bereitet Prandelli die Partie in Sofia: "Die Bulgaren sind sehr motiviert und spielen in einem Stadion, das sie voll unterstützt." Unter anderem mit Ultras, die mit Italiens Anhängern bereits im Oktober 2008 aneinandergerieten - damals gab es ein 0:0 und jede Menge Krawalle. Diesmal haben die Bulgaren vorzeitig Kontakt zum italienischen Innenministerium aufgenommen, man fürchtet neue Randale. Prandelli allerdings hat oft genug erklärt, was er von Randale und politischen Extremisten im Stadion hält. Kein italienischer Nationaltrainer vor ihm hat sich so eindeutig von den Hooligans im Gefolge der Squadra abgegrenzt wie er.

Vor dem Start in die WM-Qualifikation hat der Coach seinem Team strikte Demutshaltung verordnet: "Der zweite Platz bei der EM bedeutet noch lange nicht, dass wir jetzt leichtes Spiel haben." Gleichzeitig zerstreute Prandelli Gerüchte um einen vorzeitigen Rücktritt: "Soviel ich weiß, bleibe ich bis 2014 hier Trainer." Wie es heißt, hat der Commissario Tecnico mehrere Angebote ausgeschlagen, die mehr Lohn verhießen als jene 1,5 Millionen Euro, die der Verband Federcalcio ihm bezahlt. Namentlich russische Klubs waren interessiert. Prandelli aber habe dankend abgelehnt mit dem Hinweis: "In Italien habe ich mehr Lebensqualität."

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