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Italienischer Spielführer bei der WM:Papa Pirlo ist immer da

Gegen eine aufmüpfige englische Elf beeindruckt Italiens alternder Regisseur Andrea Pirlo. Er spielt mit Abstand die meisten Pässe und wird durch kluge Laufwege zum wichtigen Bezugspunkt. Im entscheidenden Moment lässt er seine Künstlerfüße aber auch einmal weg. Die WM-Analyse des Tages.

Von Martin Anetzberger

Als Andrea Pirlos Freistoß-Lattentreffer kurz vor Ende des Spiels gegen England in der Zeitlupe gezeigt wurde, kamen viele zunächst nicht umhin, die gefährliche Flugkurve dem WM-Ball "Brazuca" zuzuschreiben. Das Spielgerät aus 100 Prozent Polyurethan nahm zunächst den Normalweg - über die Mauer hinweg Richtung kurze Ecke. Das sah auch Englands Torhüter Joe Hart und bewegte sich nach links. Doch dann brach der Ball nach rechts aus und prallte an den Querbalken, Hart war ohne Abwehrchance.

Doch was ist schon normal bei Pirlo? Dem italienischen Spielführer - der 36-jährige Gianluigi Buffon fehlt derzeit verletzt - mit der außergewöhnlichen Technik ist durchaus zuzutrauen, dass er so einen Freistoß mit voller Absicht schlägt, obwohl der 35-Jährige das Fußballspielen sicherlich mit einem schwarz-weiß gefleckten Ball aus Vollnarbenleder erlernt hat.

Ob Absicht oder Unglück im Glück, Pirlos Lattenschuss war nur der spektakuläre Höhepunkt in der Leistung des Weltmeisters von 2006. Schon davor hatte er das Spiel in unaufgeregter Weise geprägt. Beim 2:1-Sieg gegen England spielte er 108 Pässe, das entspricht mehr als jedem sechsten Pass im gesamten italienischen Team. Das Turnier ist zwar noch jung, aber es wäre nicht verwunderlich, sollte diese Bestmarke nur von Pirlo selbst übertroffen werden können (Daten von unserem Kooperationspartner Opta).

95,4 Prozent seiner Pässe kamen bei einem seiner Mitspieler an, was umso bemerkenswerter ist, da fast die Hälfte seiner Zuspiele in der gegnerischen Hälfte stattfand. Sein Wert liegt damit höher als der italienische Teamdurchschnitt von 93,2 Prozent. Das ist die höchste Quote erfolgreicher Pässe bei einer WM seit dem Turnier in England 1966. Die Engländer lagen mit 90,8 Prozent etwas dahinter.

Pirlos Pendant im englischen Mittelfeld, Steven Gerrard, spielte nur 67 Pässe. Und obwohl beide Spieler nahezu die gleiche Distanz zurücklegten (Pirlo: 10543 Meter, Gerrard: 10587 Meter) zeigt die Heatmap, dass der Italiener einen größeren Aktionsradius abdeckte als der Engländer. Pirlo machte sich verfügbar, wie ein fürsorglicher Papa, der immer für seine Familie da ist. Er war für seine Mitspieler nahezu jederzeit anspielbar und spielte dann schnell wieder weiter.

Der alternde Profi setzte seine Energie sehr sparsam ein. Nur fünf Mal sprintete er, seine Höchstgeschwindigkeit untertraf mit 20,20 km/h sogar die seines Keepers Salvatore Sirigu. Bei der Ballstafette vor dem 2:1 hatte er zwei Mal sein Füße im Spiel. Und auch ohne den Ball zu berühren, war er entscheidend beteiligt. Vor dem 1:0 forderte er auf der rechten Seite den Ball, ging dem Pass entgegen und ließ ihn dann durch seine Beine rollen. Hinter ihm besorgte Marchisio die Führung für Italien.

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