WM-Qualifikation:Europameister im Septemberloch

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Matchball vergeben: Der Schweizer Torwart Yann Sommer schnappt sich beim 0:0 den allzu lässigen Elfmeter des Italieners Jorginho (weißes Trikot). (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Nach dem 0:0 in der Schweiz bangt Italien um die direkte WM-Qualifikation. Der späte Start der Serie A wird für die Squadra Azzurra zum Problem - und die Lässigkeit von Europas Fußballer des Jahres.

Von Oliver Meiler, Rom

"Keine Panik", schreibt die Gazzetta dello Sport. Aber sie schwirrt natürlich, die Panik des Europameisters vor einem Verpassen der WM in Katar. Seit Italien schon einmal, zum ersten Mal überhaupt, nicht dabei war bei einer Endrunde, vor drei Jahren in Russland, hängt diese Aussicht nun für immer wie eine tatsächliche Gefahr über dem Land. Nicht zur WM? Früher hatte das gar nicht erst das Vorstellungsvermögen der Italiener gestreift.

Am Sonntagabend gab es ein 0:0 gegen den ersatzgeschwächten Hauptkonkurrenten Schweiz in Basel, nach dem dünnen 1:1 gegen Außenseiter Bulgarien drei Tage zuvor in Florenz. Italien muss nun also alles gewinnen, um sicher als Gruppenerster dabei zu sein beim Winterturnier in der Wüste. Vor allem gilt nur ein Sieg beim Rückspiel-Showdown gegen die Schweiz im November in Rom. "Das ist keine Fata Morgana", schrieb die Gazzetta auch, und allein diese Ermunterung spricht Bände.

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Denn da ist es wieder, prompt und unausweichlich wie die Abfolge der Jahreszeiten: das obligatorische Septemberloch der Italiener. Auf jeden internationalen Titel der vergangenen fast 90 Jahre folgte ein mittlerer Absturz, ein Abfall der inneren Spannung - immer im September.

Das liegt auch daran, dass Italiens Serie A stets etwas später in die neue Saison startet als andere Ligen in Europa. Und so präsentieren sich die italienischen Spieler zu den ersten internationalen Partien nur halb fit, noch mit sardischer Strandbräune. Manche Azzurri hatten noch gar keine Meisterschaftsminuten in den Beinen, als sie nun zur WM-Qualifikation anreisten: Torwart Gigio Donnarumma etwa ist beim neuen Verein in Paris nur die Nummer zwei, Abwehrchef Giorgio Chiellini stand bisher nicht in der Startelf von Juventus, und bei Domenico Berardi von Sassuolo dachte man wohl bis zum letzten Tag des Transfermarkts, er könnte jetzt doch noch zu einem größeren Klub wechseln. Berardi vergab dann auch in Basel die größte Torchance aus dem Spiel heraus, allein vor dem erneut sehr starken Schweizer Torwart Yann Sommer, magistral lanciert von Manuel Locatelli - doch ohne Puste beim Abschluss nach dem Sturmlauf.

Beim Strafstoß verkommt Jorginhos Lässigkeit zur Lästigkeit.

Bei Jorginho, von dem es in Italien heißt, er habe dieses Jahr den Ballon d´Or für den Weltfußballer verdient, lag das Problem weniger an der körperlichen Verfassung als eher ein bisschen an der mentalen. Der Mittelfeldlenker des Europameisters, der mit dem FC Chelsea auch die Champions League gewonnen hat, führte in Basel denselben Elfmeter auf, mit dem er Italien bei der EM gegen Spanien ins Finale gehievt hatte: mit einem neckischen Hüpfer bei nur halbem Anlauf. Doch Yann Sommer roch den Braten und parierte den Strafstoß (53.) mühelos. "Jorginho", kommentierte La Repubblica, "dachte nicht daran, dass Sommer, der solche Dinge studiert, die Ausführung einfach stehend abwarten würde." In dieser Analyse schwang der Vorwurf mit: "Wie konnte er nur?" Denn mit Lässigkeit ist es so eine Sache, sie verkommt schnell zur Lästigkeit.

Selten hat man Italiens Trainer Roberto Mancini so nervös am Feldrand gesehen wie am Sonntagabend, so ungeduldig auch. Ob er denn verärgert sei, fragten sie ihn beim Sender Rai Uno nach dem Spiel. "Kommt schon mal vor", sagte Mancini. Der Ball sei einfach nicht reingegangen, ein paar Zentimeter fehlten immer - Grundsätze dieses Sports, kalt rezitiert vom Trainer. Dabei hätte es durchaus auch Grund gegeben für etwas Freude: Mancinis Italien ist jetzt seit 36 Spielen in Serie ungeschlagen, das ist noch keiner Nationalmannschaft weltweit jemals gelungen. Brasilien und Spanien brachten es je auf 35 Partien, wahrscheinlich aber hätten die Italiener den Rekord gerne für einen Sieg gegen die Schweiz eingetauscht.

Mancini hielt trotz aller, mittlerweile chronischer Kritik an Ciro Immobile fest, dem Mittelstürmer mit unselig seltenem Torglück im Nationaltrikot. Der Corriere della Sera urteilte schon recht abschließend: "Immobile rennt viel, aber er hat in diesem Team nichts zu suchen." Den einzigen Hoffnungsträger in der Rubrik Torjäger, den Mancini in dieser torlosen Zeit gerade zur Verfügung hat, beließ er in Basel zunächst auf der Bank: Federico Chiesa, Schütze zweier von nur drei Toren, die den Italienern in den vergangenen vier Spielen gelungen sind. Er soll gerade müde sein. Aber kann das sein? Chiesa ist 23.

Sehr angetan vom Spiel war dagegen Kapitän Chiellini. Ein "großes Spiel" will er erlebt haben, was vielleicht für ihn persönlich nicht ganz falsch war. Sogar noch größer als das große Gruppenspiel gegen die Schweiz bei der EM sei es gewesen, fand er, und das war dann doch eine steile These. Denn im Juni gewann Italien 3:0. "Das letzte Schrittchen machen wir dann später", sagte Chiellini noch. Wenn der September mal vorbei ist - und es Tore regnen wird.

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