Süddeutsche Zeitung

Italien:Wie China die Stadt Mailand kapert

Geschäftemacher kaufen sich im großen Stil in Italiens Metropole ein. Und seit Silvio Berlusconi den AC Milan veräußert hat, gehört ihnen auch der Fußball.

Von Oliver Meiler, Rom

Man kann es eine Eroberung nennen. Aber eigentlich ist es eine Unterwerfung. Mailand ist nun ganz chinesisch, zumindest das fußballerische Mailand, und das ist schon sehr viel. Als vor einigen Tagen Silvio Berlusconi seinen AC Mailand nach Peking verkaufte, nachdem unlängst schon die Industriellenfamilie Moratti ihren FC Internazionale für einige Hundert Millionen Euro nach Nanjing weggegeben hatte, schickten alle italienischen Sender Kamerateams an die Via Paolo Sarpi im Herzen von Mailands alter Chinatown. Sie sollten sich bei chinesischen Passanten, Laden- und Restaurantbesitzern umhören.

Viele leben schon lange in Mailand, sind integriert. Sie gehören zur zweiten und dritten Generation jener Einwanderer aus den Provinzen Zhejiang und Shanghai, die sich in den 1920ern und 1930ern als Seidenfabrikanten in Mailand niederließen und Krawatten verkauften, später mit Leder handelten, Unternehmer wurden. Die Italiener erwarteten wohl, dass die Mailänder Chinesen stolz feiern würden. Als wäre die Eroberung von Milan und Inter, im selben Sommer, auch ein bisschen ihr Triumph.

Doch als die Fernsehteams in Chinatown ankamen, wehten keine Fahnen an den Fenstern. Weder rotschwarze für Milan (das zum Saisonauftakt 3:2 gegen den FC Turin siegte), noch schwarzblaue für Inter, auch keine rote mit gelben Sternen. Kaum jemand mochte sich vor der Kamera freuen. Manche täuschten vor, die Frage der Reporter nicht zu verstehen. Ja, warum sollten sie sich auch freuen, die Familien Hu und Wang aus Mailand?

Der Masterplan kommt aus Peking - er zielt aufs Image

Da wird ein Masterplan umgesetzt - kühl, mit viel Geld. Erdacht wurde er in Peking. China und sein fußballbegeisterter Staatschef Xi Jinping sehen im Fußball eine Möglichkeit, das Defizit an Soft Power zu kompensieren, das die Volksrepublik drückt. Es ist kein Zufall, dass dafür Mailand gewählt wurde, diese global strahlende Metropole für Mode und Design, dynamischste und wandelbarste Stadt Italiens mit einer der ältesten chinesischen Diasporas der Welt. Man hat schon Pirelli gekauft, den Reifenhersteller, dazu Stadtpaläste und einen Teil des Politecnico, der renommierten Technischen Universität. Fußball aber ist Soft Power im Quadrat.

Der Unterhaltungsapparat rund um den Ball erreicht ein Milliardenpublikum, weltweit. Und dieses Geschäft spielt gerade verrückt. Für Transfers und Salärs, für Sponsorenverträge und Fernsehrechte werden groteske Summen bezahlt. England ist der Hauptmarkt, dann kommen Spanien und Deutschland. Italiens Fußball, sieht man von Juventus Turin ab, dem Verein der Agnellis von Fiat, hat eine ruhmreiche Vergangenheit, dämmert aber seit einigen Jahren in der sportlichen Bedeutungslosigkeit, finanziell abgehängt von der europäischen Konkurrenz. Die Stadien sind alt und oft halb leer. Mäzene wie Moratti und Berlusconi, die sich für persönlichen Ruhm und etwas Spaß Klubs leisteten, sind müde und knausrig geworden.

Mailands Fußball war also relativ leicht zu haben. Er soll China nun als Drehscheibe und Schaufenster dienen, als Image- und Prestigemaschine, als Spielball, wenn man so will. Nebenbei sollen Milan und Inter mit Filialen ihrer Akademien in China dabei helfen, aus Chinesen bessere Fußballer zu machen, damit sie bald selbst Tore schießen, vielleicht sogar Turniere gewinnen, die Volksseele daheim patriotisch erwärmen. Das ist das Fernziel.

Bei Milan tritt der chinesische Staat mit einem Investmentfonds und einigen regierungsnahen Firmen direkt als Käufer auf; die Mehrheit von Inter hingegen kaufte ein Großkonzern für Haushaltsgeräte. Viel Widerstand erwuchs den Investoren nicht: Wer in diesen schwierigen Zeiten in Italien investiert, ist willkommen. Und sollten die neuen "Padroni" des Fußballs auch noch viel Geld für Stars ausgeben, damit die Mailänder Vereine wieder glänzen, würde man auch dulden, dass beim Stadtduell, dem "Derby della Madonnina", die Präsidententribüne im Stadion Giuseppe Meazza im Stadtteil San Siro ganz chinesisch ist.

Wahrscheinlich kommen dann auch viele Touristen aus China und füllen den Rest des Stadions. Das Mailänder Derby, so erfahren die Italiener nun, war das erste Fußballspiel, das Chinas Staatsfernsehen einst live aus Europa übertrug. Da bleibt etwas haften. Nur Manchester United soll in China mehr Anhänger haben als Milan.

Doch eigenartig ist das alles schon, eine verkehrte Welt, das Ende einer Epoche. Und das hat viel mit Silvio Berlusconi zu tun. Der hatte den Fußball lange vor den Chinesen als Instrument der Macht entdeckt. Der "Calcio" gereichte ihm zur Bühne und politischen Rampe. Dass der Rechtspolitiker seinen Verein nun ausgerechnet an "Kinderfresser" verkaufte, wie er die Kommunisten immer nannte, ist nur eine ironische Fußnote. Er hätte sein Milan auch einem Scheich oder russischen Oligarchen verkauft, wenn einer noch mehr Geld geboten hätte als die Chinesen.

Er sei "sehr bewegt und betrübt", sagte er nach dem Verkauf, doch er habe keine andere Wahl gehabt als diesen "letzten Akt der Liebe". Pathos bis zuletzt. Selbst linke Zeitungen werfen ihm Hommagen nach für seine Verdienste um den Calcio. In Italien interpretiert man den Rückzug des bald 80-Jährigen aus dem Fußball wie den Beginn seines Rückzugs aus allem.

Die Geschichte begann im Sommer 1986. Berlusconi kaufte seinen Leibverein, als der gerade pleite war, zugrunde gewirtschaftet und sportlich unbeständig. Der Kauf war dennoch ein Coup. Der Medienunternehmer flog sein Team im Hubschrauber ins Stadion zur Präsentation, mitten aufs Feld, und versprach, aus der Associazione Calcio Milan den besten Verein der Welt zu machen. Viele lachten über den Größenwahn.

Wenige Jahre später hatte Milan mit modernem Fußball vier nationale Meisterschaften und drei europäische Pokale gewonnen. Es sollten 28 Titel in 30 Jahren werden. Milan wurde glamourös, eine Weltmarke. Und Berlusconi mischte sich überall ein. Halb Fan, halb Präsident umschmeichelte er die Stars und schrieb Trainern Formationen und Taktik vor, weil er auch von Fußball mehr zu verstehen glaubte als die Leute, die er dafür anstellte.

Padrone wie ein römischer Kaiser

Ehe er in die Politik wechselte, sagte er: "Ich will aus Italien das machen, was ich aus Milan machte." Niemand hörte genau hin, er redete ja oft so. Auch das war ein Masterplan. Wichtig war das "Ich". Als er dann tatsächlich eine Partei gründete, nannte er sie nach einem Schlachtruf im Fußball, Forza Italia, vorwärts Italien, und gewann 1994 auf Anhieb die Wahl. Fortan bemühte er Metaphern aus dem Fußball, um sich und seine Politik zu erklären. Keine Sprache, fand er, verstünden die Italiener besser als die des Calcio. Sie bürgerte sich auch bei politischen Gegnern ein.

Berlusconis Machertum, von ihm ständig mystifiziert, bezog die größte Legitimation aus den Fußball-Erfolgen. Sie halfen ihm, Wahlen zu gewinnen. Umgekehrt kam es vor, dass er Stimmen verlor, weil er Anhänger enttäuschte. Nachdem er den brasilianischen Stürmer Ricardo Kaká an Real Madrid verkauft hatte, schrieben offenbar Tausende Wähler statt Berlusconi "Kaká" auf die Stimmzettel, aus Protest. Er lud Staatsgäste ins Stadion ein als wäre es sein Wohnzimmer. Oben auf der Ehrentribüne musste er sich vorkommen wie ein Kaiser im alten Rom. Berlusconi verlangte von seiner Elf aber schon mal Milde, wenn der Gegner aus einem Land kam, mit dessen Staatschef er es sich nicht verscherzen wollte. Da floss alles ineinander, Spiel und Macht, Interessen und Geopolitik.

Sein langjähriger Freund und Geschäftspartner Fedele Confalonieri sagte unlängst in einem Interview, die Politik sei für Berlusconi immer nur ein Nebenschauplatz gewesen: "Der echte Silvio ist der aus dem Fußball." Nun, der eine ist ohne den anderen nicht zu denken. Die Zeitung La Stampa schrieb einmal, Milan sei Berlusconi entschieden besser gelungen als Forza Italia, der Fußball insgesamt besser als die Politik.

In den vergangenen drei, vier Jahren welkte das Spektakel, die Erfolge blieben aus. Der sportliche Abstieg und der politische Abstieg: Sie verliefen zeitgleich. Die ganze Agonie - parallel. Die Chinesen und ihr Geld kamen da gerade recht. Sie übernahmen auch die Schulden, eine Viertelmilliarde. Berlusconi soll Ehrenpräsident bleiben, Sitznachbar der "Kinderfresser".

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Quelle:
SZ vom 19.08.2016/fued
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