Italien:Warum die 'Ndrangheta ein Frauenfußballteam bedroht

Italy, Locri (Reggio Calabria) Top womenâÄÖs soccer team Sporting Locri to disband after receiving several 'Ndrangheta mafia threats. The managers of the team under police escort

Sie wollen weiter spielen: Das Futsal-Team der Frauen von Sporting Locri - und seine Unterstützter. Die nächste Partie ist am 10. Januar geplant.

(Foto: Albano Angilletta/ROPI)
  • Die Frauen von Sporting Locri aus Kalabrien hat es im Futsal in die höchste Liga geschafft.
  • Und sind in den Fokus der Mafia geraten. Der Vorstand des Klubs ist nun zurückgetreten.
  • Der Angst vor der organisierten Kriminalität in Italiens Sport ist groß.

Von Birgit Schönau, Rom

Dreizehn Frauen, die Kleinfeld- Fußball spielen, für Sporting Locri am Ionischen Meer. Bis in die erste Futsal-Liga haben sie es geschafft, Platz 5 erobert, das letzte Auswärtsspiel in Apulien 7:0 gewonnen. Am 20. Dezember war das, am 10. Januar steht eigentlich das nächste Match an, zu Hause gegen Lazio Rom. Aber seit Weihnachten vermeldet ihre Facebook- Seite: "Game over", das Spiel ist vorbei. Und auf der Homepage steht: "Zur Verteidigung der Würde geschlossen."

Die Frauen von Sporting Locri sollen nicht mehr spielen, weil ihre Klubführung bedroht worden ist: der Vorsitzende, sein Stellvertreter und der Ehrenvorsitzende, drei Männer, die jetzt am liebsten auf- hören würden mit dem Frauenfußball. "Wenn jemand den Verein übernehmen will, kann er ihn haben", sagt der Vorsitzende Ferdinando Armeni.

Gratis, nur weg damit.

Armeni beteuert, wer wisse nicht, wer hinter den Drohungen stehe, mit denen die immer gleiche Forderung verbunden war, es solle Schluss sein mit Sporting. Zuletzt steckte da ein Zettel hinter dem Scheibenwischer seines Autos. "Wer hier sitzt, wird bald genauso am Boden liegen wie der Reifen darunter", stand darauf. Der Reifen war platt: aufgeschlitzt. Direkt darüber befand sich der Kindersitz von Armenis dreijähriger Tochter. Eine Morddrohung gegen das kleine Kind eines Amateursport-Vorsitzenden. "Wir haben die große Bühne erobert und damit offenbar jemanden gestört", glaubt Armeni.

Locri ist berüchtigt als Hochburg der 'Ndrangheta

Dabei hat Sporting Locri die große Bühne erst jetzt betreten. In Italien wie im Ausland ist der winzige Verein aus dem kleinen Locri bekannt, seitdem die Auflösung beschlossen und die Drohungen öffentlich gemacht wurden. Denn Locri ist nicht irgendeine süditalienische Kleinstadt, sondern berüchtigt als Hochburg der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta. 12 000 Einwohner, viele von ihnen verwandt oder verschwägert mit den Familien Cataldo oder Cordì, die nach einem langen, blutigen Clan-Krieg Frieden geschlossen zu haben scheinen, um gemeinsam weiter am Geschäft mit illegalem Drogen- und Waffenhandel zu verdienen.

Die 'Ndrangheta gilt als reichste und mächtigste Mafiaorganisation Italiens, jahrzehntelang konnte sie sich in ihrem angestammten Territorium nahezu ungehindert ausbreiten. Kalabrien gehört noch immer zu den abgelegensten und ärmsten Gegenden des Landes. Griechenland liegt näher als Rom, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Löhne sind niedrig. Ein gottverlassener Landstrich, aus dem außer Emigranten fast nur schlechte Nachrichten kommen. Viele Kalabrier sind es zutiefst leid, sich von der 'Ndrangheta unter- drücken zu lassen, sie engagieren sich in der Antimafia-Bewegung oder gehen in die Lokalpolitik, trotzen den Drohungen, den Anschlägen, der Sabotage.

Ferdinando Armeni, der Vorsitzende von Sporting Locri ist kein Antimafia- Aktivist. Er will auch jetzt nicht mutmaßen, dass die Drohungen von der 'Ndrangheta kommen. "Das sind sicher nur schwachsinnige Schakale" sagt er. Verrückte und Neider, aber keine Mafiosi.

Hauptberuflich betreibt Armeni in Locri ein Geschäft für einen Mobilfunkanbieter, verkauft Smartphones. 4000 Euro stecke er jährlich in den Verein, mehr sei bei ihm gar nicht zu holen. Hat er sich geweigert, Schutzgeld an die Mafia zu zahlen? Ist er einem Mafioso in die Quere gekommen? Er schweigt, die Polizei ermittelt. Sporting wird vielleicht antreten gegen Lazio, aber der Vorsitzende wird nicht dabei sein. "Fußball ist meine Leidenschaft, dafür kann ich nicht mein Leben riskieren."

"Der Sport wird im Süden von den Clans und korrupten Unternehmern kontrolliert"

Andere sprechen öffentlich und unverblümt von Mafia, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees zum Beispiel oder der Präsident des Fußballverbandes. Die Funktionäre im fernen Rom haben Armeni aufgefordert, sich den Bossen nicht zu beugen. Das ist leicht gesagt aus sicherer Entfernung, weit weg von Locri, wo jeder jeden kennt und die 'Ndrangheta leichtes Spiel hat mit der Kontrolle. Aber es ist natürlich politisch richtig, wie überhaupt die gruselige Geschichte um die Frauenfußballerinnen am Ionischen Meer wieder einmal zeigt, welch mafiöses Klima und welche Atmosphäre der Angst im italienischen Sport herrschen.

Beim Erstligaverein Lazio Rom, dessen Management an jeder Trikotsocke spart, bekam bis Sommer 2015 ein Spieler das volle Gehalt von 1,1 Millionen Euro, der eine ganze Saison lang nicht ein einziges Training oder gar ein Match bestritten hatte. Der Spieler war Giuseppe Sculli aus Locri, Lieblingsenkel des 'Ndrangheta-Paten Giuseppe Morabito. Als der Großvater, Spitzname "u tiradrittu" (Scharfschütze), 2004 nach zwölf Jahren im Untergrund gefasst wurde, sagte der Enkel, der damals in Brescia spielte: "Mein Opa hat überall nur Gutes getan. Deshalb standen ihm in Kalabrien alle Türen offen, und er musste seine Heimat in den vergangenen zwölf Jahren nie verlassen."

Kalabrien

"Wir spielen doch nur Fußball, auf kleinem Feld"

Als Italien bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen Bronze holte und die Nationalmannschaft vom Staatspräsidenten empfangen wurde, war Sculli als einziger Spieler nicht eingeladen. Das war das einzige Mal, dass man sich von ihm distanzierte. Derzeit wird wegen Verbindungen zur rechtsextremen Mafia-Szene Roms gegen ihn ermittelt.

"Die ganze Situation ist surreal", sagt Rossana Rovito. Die 21-Jährige ist die jüngste Spielerin bei Sporting Locri, sie stammt selbst aus der Region. "Wir spielen doch nur Fußball, auf kleinem Feld, in einem kleinen Verein mit lächerlichen Bilanzen. Wer kann dagegen etwas haben?"

Roberto Saviano, der Schriftsteller, der nach Morddrohungen der neapolitanischen Mafia Camorra im Untergrund leben muss, hat eine Erklärung. "Der Sport wird im Süden von den Clans und korrupten Unternehmern kontrolliert, die ihn benutzen, um sich Wählerstimmen und Zustimmung zu sichern", schreibt Saviano. Was in Locri geschehe, sei in Süditalien dramatischer Alltag. Die Mafia interessiere es nicht unbedingt, das große Geld mit dem Sport zu machen, sie wollten ihn nur kontrollieren, wie sie das Alltagsleben überhaupt unter Kontrolle haben wollten.

Großvereine setzen nie ein Zeichen gegen die Mafia

Nicht von ungefähr hat der neue Bürgermeister von Savianos Heimatstadt Casal di Principe als erste Amtshandlung den Fußballplatz instand setzen lassen. Als Zeichen der Rückeroberung für die Bürger, nachdem die Camorra Jahrzehnte lang den Fußball dirigiert hatte. In Kalabrien hielt 2011 sogar Italiens Nationalmannschaft ein Training auf einem Platz ab, der der 'Ndrangheta entrissen worden war. Eine symbolische, leider einmalige Aktion. Denn während die großen Profivereine des Südens, allen voran der SSC Neapel, nie ein Zeichen gegen die Mafia gesetzt haben, gehen die kleinen Klubs der Antimafia- Aktivisten reihenweise pleite.

Zuletzt traf es "Nuovo Quarto Calcio per la Legalità", einen Amateurverein aus Quarto im Umland von Neapel. Sein ungewöhnlich langer Name bedeutet: Neue Quarto für die Legalität. Der Vorgängerverein war per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden, weil er einem Camorra-Boss gehörte. In Italien kann der Staat Mafia-Besitz beschlagnahmen und an Antimafia-Aktivisten weitergeben. Dies geschieht etwa mit Geschäften und Ländereien. Im Fußball geschah es nur in Quarto. Vier Jahre lang trugen die Spieler ein Trikot, auf dem sie Werbung für Legalität machten. Ein Unikum.

Natürlich versuchten die üblichen Verdächtigen, ihnen das Leben schwer zu machen. Aber Quarto hielt durch. Bis zum Sommer. Da war der Verein zahlungsunfähig. Die Sponsoren hatten sich zurückgezogen, die Gemeindeverwaltung wollte den Sportplatz nicht gratis zur Verfügung stellen. Deshalb kann Quarto nicht länger spielen für die Legalität.

Reggina ist pleite

Auch die Reggina spielt nicht mehr, der Traditionsverein aus Reggio di Calabria, in dem einst ein gewisser Andrea Pirlo seine Karriere startete. Die Pleite kam im Sommer, nach hundert Jahren Aktivität. Das scheint Roberto Savianos Theorie entgegenzulaufen, denn Kalabriens Regionalhauptstadt Reggio ist auch eine Hauptstadt der 'Ndrangheta. Warum übernehmen die Bosse dann nicht das schönste Fußball-Juwel in ihrer Gegend?

Nun, weil sie nicht können, denn die Kontrollen funktionieren. Vielleicht aber auch, weil sie nicht wollen, denn Reggio wird von einem jungen, entschlossenen Antimafia-Aktivisten regiert, gegen den sich jede Menge Sabotageakte richten. Mal funktioniert die Wasserleitung nicht, mal streiken die Busse oder die Müllabfuhr. Strafaktionen der Mafia gegen eine Stadtverwaltung, die sich ihr nicht unterwirft. Und welche Strafe könnte größer sein, als jenen Wählern, die demonstrativ einen Antimafia-Mann ins wichtigste Amt gehievt haben, den Fußball wegzunehmen?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: