Italien verliert mit Grandezza:Herr Napolitano schwärmt

Italien schafft das Kunststück, stilvoll mit der niederschmetternden Finalniederlage umzugehen und überzeugt so seine größten Kritiker. Staatspräsident Napolitano sieht in der Mannschaft gar ein Vorbild für die von der Finanzkrise gebeutelte Nation. Wäre da nicht die Razzia im Trainingslager.

Birgit Schönau

So sehen Verlierer aus: Sie kassieren vier Gegentore, sie übergeben Spanien Finale und Titel, sie weinen nach dem Schlusspfiff. Und dann stehen sie auf, sogar der humpelnde Giorgio Chiellini, und applaudieren Spanien. "Was sonst sollten wir tun?", fragt Italiens Kapitän Gianluigi Buffon, der umsonst gehofft hatte, mit Dino Zoff gleichzuziehen, als Weltmeister noch Europameister zu werden.

Spain v Italy - UEFA EURO 2012 Final

Von Italien lernen, heißt verlieren lernen: Die Squadra Azzurra trug das 4:0-Debakel gegen Spanien mit Fassung; doch selbst Mario Balotelli brauchte ein wenig Trost von Trainer Cesare Prandelli.

(Foto: Getty Images)

"Die Spanier waren stärker und sie waren besser. Man trifft eben auch Menschen, die besser sind als man selbst. Da können wir nur noch gratulieren." Es gibt eine Zeit, zu gewinnen: "Wir haben trotzdem ein großes Turnier gemacht." Und es gibt eine Zeit, zu verlieren: "Wenn du auf einen derart übermächtigen Gegner triffst, ist es einfacher." Das Leben geht ja weiter, übrigens.

Von Italien lernen, heißt verlieren lernen. Sich geschlagen zu geben, ist auch eine Kunst. Ohne ominöse Ersatztitel zu erfinden wie: "Meister der Herzen." Ohne gegen die Sieger zu treten - jedenfalls wurde das in Italien so empfunden, was die deutschen TV-Männer Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl beim Halbfinale von sich gaben, als sie den zweimaligen Torschützen Mario Balotelli und Antonio Cassano als "Pflegefälle" und "Straßenköter" bezeichneten.

Grandezza sieht anders aus. Nicht so, dass man heulend auf dem Rasen liegen bleibt und nachher von Trauer schwafelt, wenn es doch nur um Fußball geht. Sondern so, dass man sich strafft, um, wie Cesare Prandelli es formulierte, "dem Sieger Komplimente zu machen".

So gesehen bot die Squadra Azzurra einen Abtritt im Sinne ihres Lehrers. Bei einem 0:4 keine vollkommen schlechte Figur zu machen, ist tatsächlich ein Kunststück. Italien hat sogar das vollbracht. Vor der Pause gestalteten die Azzurri trotz ihrer offensichtlichen Müdigkeit eine hochklassige Partie, in der Spanien zwar dominieren, den Gegner aber nicht an die Wand spielen konnte. So weit kam es erst, als Prandelli seine drei Wechsel vollzogen hatte und Thiago Motta verletzt den Platz verlassen musste.

Fortan spielten die Italiener in Unterzahl, doch Prandelli verzichtete darauf, das als Entschuldigungsgrund zu verwenden: "Wir spielten nun einmal gegen die beste Mannschaft der Welt. Die Spanier waren frisch, wir waren todmüde." Verteidiger Leonardo Bonucci zeigte sich noch ein wenig selbstkritischer: "Wir haben Prügel bezogen. Vielleicht hat es uns an Charakter gefehlt. Wir hatten nicht genug Biss."

Razzia im Trainingslager der Squadra Azzurra

Beides, Charakter und Biss, wird Bonucci nach seiner Heimreise noch benötigen - die Staatsanwälte in Cremona ermitteln gegen ihn unter dem Verdacht des Wettbetrugs. Auch Kapitän Buffon wird sich möglicherweise detailliert dafür rechtfertigen müssen, warum er 1,6 Millionen Euro auf das Konto eines Wettbüros in Parma überwiesen hatte. Kurz vor dem Turnier war auch die Squadra Azzurra in den Strudel jenes Wettskandals geraten, der seit Monaten die italienischen Profiligen betrifft. Die Carabinieri hatten eine Razzia im Trainingslager durchgeführt, der Verdächtige Domenico Criscito war von Prandelli aus dem Kader gestrichen worden. Kaum aber rollte bei der EM der Ball, hielten die Staatsanwälte still. Keiner weiß, wann sie wieder auf den Plan treten werden. Und mit welchen Konsequenzen.

Vor drei Wochen hätten wir blindlings unterschrieben, wenn man uns den zweiten Platz angeboten hätte", sagte Italiens Premier Mario Monti, der zum Finale nach Kiew gereist war. "Die Mannschaft hat uns allen ein schönes Abenteuer beschert, und dafür ist Italien dankbar." Dies aus dem Mund eines Premiers, der kürzlich erst angeregt hatte, den Spielbetrieb für zwei, drei Jahre anzuhalten. Doch während des Turniers mutierte der dröge Fußball-Saulus Monti ganz offensichtlich zum leidenschaftlichen Apostel seiner Nationalmannschaft. Inzwischen verklärt er die Topverdiener im blauen Trikot zum Vorbild bei der Krisenbewältigung.

Auch Staatspräsident Giorgio Napolitano verglich die Anstrengungen der Squadra Azzurra mit den Bemühungen des ganzen Landes für einen Neuanfang. "Was ich an Ihrer Arbeit so schön finde", schrieb Napolitano vor dem Finale an Prandelli, "ist das Miteinander von altbewährten und neuen Kräften, der Mannschaftsgeist und eine gewisse Großzügigkeit. Ich schätze außerdem die Zurückhaltung in Ihren Kommentaren. Sie verzichten auf Rhetorik und Triumphgeschrei, weil Sie wissen, dass der Weg noch lang ist. Genau darum geht es für die Nationalmannschaft und für Italien."

Am Montagnachmittag wollte Napolitano Prandelli und die Mannschaft im Quirinalspalast empfangen. Und es war wohl dieser Termin, der den Commissario Tecnico dazu bewegte, endlich die Gerüchte um einen bald bevorstehenden Abschied zu zerstreuen. "Ich mache weiter", versicherte Prandelli. "Ich will dieses Projekt vollenden." Zuvor hatte der Coach über einen "Mangel an Lebensqualität" geklagt. Jetzt sagte er: "Wir müssen noch besser werden, aber dafür brauchen wir Unterstützung."

Von jenen Klubs, die die Squadra Azzurra bislang als überflüssiges Freizeitvergnügen missachtet hatten. Damit dürfte es nach der beeindruckenden EM der Italiener jetzt vorbei sein.

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