Italien - Ukraine:Kommunist, Zeitungsverleger, Fußballprofi

Der in der Ukraine spielende überzeugte Kommunist und Stürmer Cristiano Lucarelli soll Italien in seiner neuen Heimat vor dem EM-Aus bewahren.

Birgit Schönau

Weltmeister ist er nicht geworden. Zu bunt, dieser Vogel, als dass er mit der Squadra Azzurra nach Deutschland hätte fliegen dürfen. Zu unberechenbar seine Auslassungen gegenüber Journalisten - und wie hätte es erst ausgesehen, wenn er vor globalem Publikum die Faust geballt hätte! Denn das hat Cristiano Lucarelli berühmter gemacht als seine 101 Tore für die AS Livorno und der Titel des italienischen Torschützenkönigs 2005: Die geballte, linke Faust, beim Torjubel gen Himmel gereckt. Die symbolhafte Geste brachte dem überzeugten Kommunisten Lucarelli eine Geldbuße über 30.000 Euro vom Verband ein. Paolo Di Canio, der früher bei Lazio Rom den Hitlergruß entbot, musste dafür aparterweise nur 10.000 Euro Strafe zahlen. Soweit zum merkwürdigen Rechtsempfinden italienischer Funktionäre.

Cristiano Lucarelli

Cristiano Lucarelli lässt sich seine Arbeit von Schachtjor Donezk gut bezahlen.

(Foto: Foto: AP)

Cristiano Lucarelli hat die Serie A und seine Heimatstadt Livorno im Sommer verlassen. Er spielt jetzt für Schachtjor Donezk in der Ukraine. Das liegt von Mailand und Turin aus gesehen gefährlich knapp vor den Steppen Asiens und war bislang allerhöchstens als Frischfleischlieferant für die Ersatzbänke von Inter, Milan und Juventus interessant. Ein einziger ukrainischer Fußballer hatte in Italien Karriere gemacht, dort aber zuletzt deutlich weniger Tore geschossen als Lucarelli - Andrej Schewtschenko.

Gegen die Abwehr von Donezk

Ob Lucarelli am Mittwoch in Kiew beim EM-Qualifikationsspiel gegen die Ukraine auf Schewtschenko treffen darf, ist noch nicht ganz klar. Nationaltrainer Roberto Donadoni war früher Lucarellis Coach bei Livorno. Er berief den Torjäger aus der Toskana wieder zu den Azzurri. Doch nach dem dürftigen 0:0 gegen Frankreich am vergangenen Samstag muss Donadoni jetzt unbedingt gewinnen. Und Lucarellis knappe halbe Stunde gegen die Franzosen war mäßig.

Andererseits spielt gegen Italien die gesamte Abwehr von Schachtjor. Die kennt nur Lucarelli, deshalb war er für die Nazionale wohl noch nie so wertvoll wie heute. "Wir müssen aufpassen", sagt der Mann aus Livorno. '"Die Ukrainer sind hochmotiviert und pfeilschnell. Ihr Remis gegen Georgien besagt gar nichts. Gegen uns werden die anders auftreten. Die wissen alles, die Serie A läuft hier schließlich im Fernsehen." Er hätte aber Spaß daran, das Publikum in Kiew zu ärgern, frotzelte Arbeitsemigrant Lucarelli, "denn die mögen Schachtjor fast genauso wenig wie die Italiener".

Über seinen neuen Klub sagt er nur Gutes. Donezk sei eine nette, gastfreundliche Stadt, "der Fußball hier ist auf dem aufsteigenden Ast, schließlich ist die Ukraine Gastgeberland der EM 2012". Wäre Italien ja auch gern gewesen. Livorno ist ohne Lucarelli zwar um acht Millionen Euro reicher, muss aber um den Ligaerhalt zittern - Schachtjor hingegen spielt in der Champions League demnächst gegen Milan. Und dann, so gibt Genosse Cristiano freimütig zu, sei da auch noch das Geld: "Die Summe, die sie mir geboten haben, hat eine gewisse Rolle gespielt." Angeblich vier Millionen im Jahr. Nicht schlecht für einen Stürmer, der am 4. Oktober 32 Jahre alt wird.

Doch in Livorno fühlen sie sich verraten. "Lucarelli Venduto" schrieben die linken Ultrà der Brigate Autonome Livornesi auf ihre Spruchbänder - Lucarelli hat seine Seele verkauft. Was bedeutet es schon, dass er auch bei Schachtjor auf der Trikotnummer 99 bestanden hat, nach dem Gründungsjahr der heimischen Stadion-Brigaden. Da rühmt sich einer, mit der Tochter von Che Guevara befreundet zu sein, da trägt er stets das Konterfei des Che unterm Trikot - und dann spielt er für Geld ausgerechnet auf den Trümmern des real existierenden Sozialismus! Vor ein paar Jahren hatte Lucarelli, vielleicht etwas voreilig, seine Memoiren veröffentlicht. Titel: "Behaltet eure Millionen." Es ging darum, dass er aus Liebe zu Partei und Vaterstadt ein mit 500.000 Euro jährlich vergoldetes Engagement beim Klassenfeind AC Turin ausgeschlagen hatte. "Behaltet eure Millionen" wurde in Livorno an den Schulen gelesen. Wegen des moralischen Vorbildcharakters für die konsumgeile Jugend.

Nur eine 4+ von der eigenen Zeitung

Von einer Übersetzung ins Ukrainische ist nichts bekannt. Dafür liest Livorno nun auch noch Lucarellis Zeitung. Am Sonntag erschien die erste Nummer des Corriere di Livorno, einer Lokalzeitung mit großem Sportteil. Unabhängig, betont Lucarelli. Tatsächlich verpasste ihm die Sportredaktion für seinen Auftritt gegen Frankreich nur eine Vier plus. "Ich werde mich beim Verleger beschweren", schimpfte Lucarelli. War nicht ernst gemeint. Der Verleger ist er nämlich selbst. Er ist nicht nur als Erster in den Wilden Osten geflogen, sondern hat auch als allererster Fußballer eine richtige Tageszeitung gegründet. Mit elf festangestellten Journalisten, ein kleines Team für eine kleine Auflage von 12.000 Stück. "Außer dem Chefredakteur alles junge Leute, die bisher ohne festen Arbeitsplatz waren."

Er habe ein Zeichen in Livorno setzen wollen, sagt Lucarelli. Arbeitsplätze schaffen in der Stadt der roten Hafenarbeiter, in der 1921 die Kommunistische Partei Italiens gegründet wurde. Zwei Millionen Euro hat Cristiano Lucarelli in seine Zeitung investiert. Ein halbes Jahresgehalt. So wird man bürgerlich. Wird man auch Kapitalist? Lucarelli findet: "Immer noch besser eine Zeitung kaufen als eine Yacht."

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