Italien trauert um Marco Simoncelli:Heldensaga und Tragödie

Das EU-Ultimatum an Berlusconi ist für die Italiener nur zweitrangig - das Land trauert um den Motorrad-Weltmeister Marco Simoncelli wie eine große Familie. Ob der Unfall des jungen Mannes oder dessen tödliche Folgen vermeidbar waren, ist dabei kein Thema. Leitspruch: Über die Toten nichts Schlechtes.

Birgit Schönau, Rom

Europa mag sich um die Schuldenkrise kümmern, Italien betrauert Marco Simoncelli. Die wichtigsten überregionalen Zeitungen erwähnten am Montag zwar das EU-Ultimatum für die Berlusconi-Regierung, die Fotos auf den Titelseiten aber zeigten den Unfall in Sepang, bei dem der 24 Jahre alte Motorrad-Rennfahrer am Sonntag ums Leben gekommen war. Die Gazzetta dello Sport erschien mit Trauerrand, elf Seiten zum Thema und einer Schlagzeile aus drei Buchstaben: Sic. Denn SuperSic war Simoncellis Spitzname, gleichzeitig bedeutet das lateinische Wort "sic": Es ist wirklich so. Marco Simoncelli ist tot.

Tifosi in Traenen: Ganz Italien weint um Simoncelli

Schweigeminute: Auch beim Fußball, hier vor der Partie zwischen dem AS Rom (rechts) und Palermo, trauerten die Italiener um Marco Simoncelli.

(Foto: dapd)

Dieser Wuschelkopf voller Leben, der von seiner Homepage der Trauergemeinde entgegen lacht: "Mein Gott Kinder, wie viele ihr doch seid", und damit die Namen in der Kondolenzliste meint. Diese kindliche Leichtigkeit des Seins, zerstört von tonnenschweren Maschinen, ausgelöscht am Sonntag auf dem harten Asphalt in Malaysia, fernab der lichten und freundlichen Hügellandschaft der heimatlichen Emilia Romagna.

Eine Heldensaga endet in einer Tragödie, und die Italiener, dieses Volk von Heiligen, Dichtern und Motorradfahrern, leiden mit. Die Eurokrise ist eine Operette verglichen mit dem Drama von Sepang - vor einem Unglück, das nur Geld kostet, würde man ja immer noch den Hut ziehen. Hier aber ging einer auf's Ganze, ein Junge wie aus dem Bilderbuch, fix und lässig zugleich, cool und doch naiv. Und nun ist nichts mehr zu machen.

Ein Foto, das die Zeitungen bringen, zeigt Simoncellis Mutter Rossella in dem Moment, als ihr ein Polizist die Nachricht überbringt, die sie längst erhalten hatte. Rossella Simoncelli steht sehr aufrecht und schaut dem Polizisten ins Gesicht, der Polizist berührt tröstend ihren Arm, sein Blick sucht den Boden.

Die Geschichte der Familie Simoncelli ist eine sehr italienische Geschichte. Die Motor-Leidenschaft des einzigen Sohnes, der Vater, der ihn unterstützt und später bei jedem Rennen dabei sein wird, auch beim letzten in Sepang. Für Marcos Rennkarriere haben die Eltern ihre kleine Eisfabrik verkauft. Alles konzentrierte sich auf ihn, den Sohn. Die kleine Schwester entwarf seinen Schutzhelm. Den Helm, den er in Sepang beim Zusammenstoß mit dem Amerikaner Colin Edwards und mit Valentino Rossi verlor.

"Es ist unser aller Schmerz"

"Es ist unser aller Schmerz", beginnt der Leitartikel in der Gazzetta, und tatsächlich vereint sich Italien wie eine große Familie - wie immer, wenn einer seiner jungen, schönen und begabten Helden stirbt. De mortuis nihil nisi bonum, auch dieses Sprichwort wurde hier erfunden: Über die Toten nichts Schlechtes. Angesichts der Überdimension des Unglücks verzichtet man auf überflüssige technische Debatten über Verantwortung oder Vermeidbarkeit.

Reifenabdruck am Hals

Ein zweiter nationaler Motorrad-Heros war in den Unfall verwickelt, ausgerechnet Valentino Rossi, Simoncellis Freund und Vorbild. Aus den Aufnahmen kann man nicht genau erkennen, wo Rossi den gestürzten Simoncelli traf. "Valentino glaubt, er habe ihn ziemlich weit oben getroffen, denn er hätte es fast geschafft, Marco auszuweichen", erklärte Rossis Assistent Maurizio Vitali. Der Notarzt in Sepang hatte vom Abdruck eines Reifens auf Simoncellis Hals gesprochen. Edwards oder Rossi? Man will es gar nicht wissen. "Für mich war er wie ein kleiner Bruder", teilte Rossi mit, bevor er sich in sein Schweigen verschloss.

Rossi und Simoncelli, die Motorrad-Brüder von der Adria, wohnten nur 30 Kilometer voneinander entfernt; manchmal trainierten sie zusammen in einem alten Steinbruch. Von Simoncelli stammt die Anekdote, wie er einmal eine Cross-Piste in der Heimat aufsuchte. "'Sind Sie Simoncelli, der berühmte Rennfahrer?' fragte mich der Wächter. Und als ich bejahte und mir schon vor Stolz der Kamm schwoll, da sagte der ganz trocken: ,Dann macht das hier für Sie 30 Euro'." Es waren solche Geschichten, die SuperSic populär machten wie zuvor nur Valentino Rossi, denn die Italiener lieben die Selbstironie. Das laute, nackensteife Machotum überlassen sie lieber ihren Politikern.

Marco Simoncelli wird am Dienstag in Rom erwartet, sein Vater wird ihn auf diesem letzten Flug begleiten, wie immer. Er wird wohl am Mittwoch in seinem Heimatstädtchen Coriano begraben werden, am Abend spielt sein Lieblingsverein AC Mailand gegen Parma. SuperSic hatte für das Spiel schon eine Karte.

In zwei Wochen wird in Valencia/Spanien die Moto-GP-Saison zu Ende gehen. Wird es die letzte sein für den großen Valentino Rossi? "Valentino denkt absolut nicht daran, seine Karriere zu beenden", versicherte am Montag ein Sprecher; das Dementi kam zu eilig, um nicht verdächtig zu wirken. Rossi ist 32, er jagt schon eine ganze Weile jenen Erfolgen hinterher, die er früher so leichtherzig einfuhr, derzeit ist er auf Platz sieben der Fahrerwertung. Die Frage, ob er bleibt oder geht, wird nach dem Tod von Marco Simoncelli den Motorsport weitaus mehr beschäftigen als das statistische Detail von Casey Stoners vorzeitigem Gewinn des Weltmeistertitels.

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