Italien:Rom fühlt sich behandelt wie eine Kolonie

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Sein vielleicht größtes Spiel: Beim 3:2-Sieg gegen Brasilien in der Zwischenrunde der WM 1982 schießt Paolo Rossi alle drei Tore für Italien, auch im Finale gegen Deutschland (3:1) trifft er. (Foto: imago)

Soll das Olympiastadion in Rom nach dem großen WM-Torjäger Paolo Rossi benannt werden? Die Idee hat viele Unterstützer - und vereint zugleich eine ganze Stadt in Ablehnung.

Von Oliver Meiler, Rom

Auch gut gemeinte Ideen können schrecklich falsch sein, gerade solche, die im Sturm der Emotionen geboren sind. In Italien debattieren sie darüber, ob es angebracht wäre, das römische Olympiastadion, das mythische "Olimpico", nach Paolo Rossi zu benennen, dem Ende 2020 verstorbenen früheren Mittelstürmer der Nationalmannschaft und Helden eines spanischen Sommers vor genau vierzig Jahren. Als Hommage. Etwa so, hieß es dazu, wie sie neulich in Neapel das San Paolo in "Stadio Diego Armando Maradona" umgetauft haben - mit einigem Erfolg übrigens. Schon nach kurzer Zeit hat sich der neue Stadionname eingebürgert. "Maradona" kommt auch altgedienten Reportern, die ein halbes Leben lang aus dem "San Paolo" berichtet hatten, bereits erstaunlich routiniert über die Lippen.

Für Turin hat er gespielt, für Juve (oben) und den FC, für Verona und Vicenza, für Como und Perugia - aber nie für Rom: Warum also soll das Olympiastadion den Namen von Paolo Rossi tragen, fragen sich die Römer. (Foto: Studio Fotografico Buzzi/imago)

Aber eben, die Idee vom "Stadio Paolo Rossi" in Rom ist zwar gut gemeint, im Vergleich aber schon sehr kurz gedacht. Neapel und Maradona gingen ineinander auf, in jeder Hinsicht: Der Argentinier bescherte den Neapolitanern ungekannten sportlichen Ruhm und stürzte in der Stadt ab, er verkörperte alle ihre Widersprüche in seiner Person. Rossi spielte während seiner Karriere in vielen Vereinen und Städten Italiens, in Vicenza, Turin, Como, Perugia, Verona - in Rom aber spielte er nur als Gegner. Wenn er traf, traf das die Römer ins Herz. Mit der italienischen Nationalmannschaft? Vier Mal trat Rossi als Internationaler in Rom an, es waren alles Freundschaftsspiele. Deshalb sagen sie in Rom: "Ma che c'entra con noi?" Was hat der mit uns zu tun? Und für einmal sehen es Romanisti und Laziali gleich, die sonst aus Prinzip immer gegeneinander sind: "Ao!" - Das ist Römisch für: "Was soll das!"

Geboren hat die Idee Gabriele Gravina, Präsident des italienischen Fußballverbands, als er in Prato, der Geburtsstadt Rossis in der Toskana, der Einweihung einer Büste des Fußballers beiwohnte. Ein bewegender Moment mit viel Prominenz. Auch die Witwe war da, und sie fand, dass die Geschichte mit dem Namen eine schöne Geste wäre, die ihr Paolo verdient hätte. Dino Zoff und Marco Tardelli, zwei Teamkameraden aus der Weltmeister-Elf von 1982, waren ebenfalls sehr angetan. Paolo Rossi vereine die Italiener, sagten sie, was bei aller Anerkennung von dessen fußballerischem Talent eine etwas sehr steile These ist.

Bilder für die Ewigkeit aus dem Sommer 1982 - aber reicht das?

Ein Abgeordneter der Partei Forza Italia aus Vicenza schaffte es, die Umbenennung des "Olimpico" auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, samt Abstimmung. Nun, 387 Abgeordnete fanden, ja, die Frage nach einer Umbenennung des Olympiastadions verdiene es durchaus, bald vom Parlament geprüft zu werden. Die Arena, muss man dazu wissen, gehört weder der AS Roma noch der Società Sportiva Lazio, die darin ihre Heimspiele austragen, auch nicht der Gemeindeverwaltung Roms oder dem nationalen italienischen Olympiakomitee, dem Coni. Sondern seit 2019 dem italienischen Wirtschafts- und Finanzministerium. Wer im Olimpico Veranstaltungen ausrichten will, sportliche und kulturelle, der entrichtet dem Staat eine Miete. Ohne Politik geht es also nicht. Und dann gesellte sich auch noch Gianni Infantino zu den Debattenteilnehmern. Der Chef der Fifa verweigert sich in solchen Fällen ja selten, auch ungefragt: Das Projekt, sagte Infantino, habe seine totale Unterstützung. "Was Paolo Rossi für den Calcio und Italien getan hat, ist unvergesslich."

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Das stimmt natürlich, und die Erinnerung an den hageren Mann mit dem wunderbar intuitiven Torsinn ist noch immer bunt und lebendig. Gebrannt in Bilder aus dem Jahr 1982, Weltmeisterschaft in Spanien. "Pablito", wie sie ihn riefen, hatte die Azzurri fast allein zum Titel geschossen. Vor allem der Sieg gegen Brasilien fügte sich in die Kategorie nimmerdämmernder Souvenirs ein - ein erschlichener, aber verdienter Sieg. 3:2, in der Bruthitze des "Sarriá" in Barcelona. Rossi erzielte alle drei Tore. Zynisch, aber lächelnd. Und alles war vergessen, auch die Schande des "Totonero", die ihn beinahe die Teilnahme am Turnier gekostet hätte. Zwei Jahre lang war Rossi gesperrt gewesen, weil ihn jemand im Wettskandal angeschwärzt hatte. Offenbar zu Unrecht, wie später herauskam. Ohne das Vertrauen von Enzo Bearzot, Commissario Tecnico jener Zeit, dem Nationaltrainer mit der Pfeife, der seinen Mittelstürmer nie fallen ließ, wäre er gar nicht mitgereist. Paolo Rossi fuhr geduckt nach Spanien, gestaucht von der Last des Verdammten. Als "Pablito" schrieb er eine dieser Geschichten, die dem Sport besonders gut gelingen.

Sein Krebstod am 9. Dezember 2020, mit 64 Jahren erst, mitten in der zweiten Welle der Pandemie, bewegte die Italiener. Die Fernsehsender zeigten seine trauernde Frau und die Kinder aus zweiter Ehe. Rossi hatte sich im zweiten Teil seines Lebens einen Namen gemacht gehabt als lockerer, gescheiter, auch mal selbstironischer Kommentator des Fußballs, er war allseits beliebt. Der Makel des "Totonero" war fast ganz weg. Fast. Jetzt, in der Debatte um den Stadionnamen, blitzt er wieder durch, als Argument der Gegner.

Behandelt wie eine Kolonie: So empfindet man das in Rom

Überhaupt findet man in Rom, das fußballerisch schon immer eine kleine Nummer war, fünf Meistertitel nur in mehr als hundert Jahren, drei für Roma und zwei für Lazio, dass der mächtige Norden sich da wieder einiges herausnehme mit diesem Ansinnen, die übliche Arroganz eben. Warum benennen sie nicht das Stadion von Vicenza nach Paolo Rossi? Da hat er schließlich recht lange gespielt. Oder eines in Turin? Oder vielleicht bald das neue, noch zu bauende in Mailand?

Alessandro Onorato, zuständig für den Sport in der römischen Stadtregierung, ließ ausrichten, dieser Versuch offenbare einmal mehr den "kolonialistischen Ansatz" des Nordens gegen die Stadt Rom. Der Satz hörte sich wie das Eingeständnis der eigenen Kapitulation an. "Stadio Paolo Rossi" würde wie das Siegel einer ewigen Schmach wirken, mindestens. Lange ist's her, dass Rom mal Metropole war und alles weit herum Kolonien. Caput Mundi, Hauptstadt der Welt.

Fußballerisch war man es noch nicht einmal im eigenen Land, nie, nicht einmal in Zeiten, als zumindest die AS Roma einen kleinen König hervorgebracht hatte, einen modernen "Re di Roma". Francesco Totti, 45 Jahre alt, ist jetzt schon eine Weile pensioniert und macht in diesen Tagen vor allem mit dem Gerücht Schlagzeilen, er habe sich frisch verliebt, wo man doch dachte - und hoffte! -, dass die Langzeitliebe mit dem Fernsehstern Ilary Blasi für immer währen würde. Sie waren Roms Royals im neuen Jahrtausend. Nach Totti könnten sie das Olimpico aber ohnehin nie benennen, auch in hundert Jahren nicht. Die Laziali würden den Laden abreißen.

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