Italienische Nationalelf:In Italiens Fußball regiert der Irrsinn

Italien - Schweden

Die blauen Trikots der italienischen Nationalmannschaft werden bei der WM in Russland nicht zu sehen sein.

(Foto: dpa)
  • Zwei Monate nach dem Scheitern in den WM-Playoffs herrscht in Italiens Fußball Chaos.
  • Dem nationalen Verband fehlt die Führung.
  • Damiano Tommasi, Ex-Profi von AS Rom, wäre ein unabhängiger, reformeifriger und junger Kandidat auf den Posten des Verbandspräsidenten. Doch Favorit ist Silvio Berlusconis stärkster Mann im Sport.

Von Birgit Schönau, Rom

Die Stunde null dauert jetzt schon zwei Monate. Dass Italiens Fußball nach der verpatzten WM-Qualifikation der Nationalmannschaft am 13. November 2017 in Schockstarre verfiel, mag nachvollziehbar sein. Dass aber 65 Tage vergangen sind, ohne dass man auch nur erahnen könnte, wie es weitergeht, ist nicht nur nicht normal. Es ist irre. Italien, Land des viermaligen Weltmeisters, in dem der Fußball tief verwurzelt ist in der Alltags- wie der Hochkultur und als identitätsstiftende Instanz unabdingbar bleibt - Italien also hat seit zwei Monaten keine Verbandsführung, keinen Nationaltrainer und keine Nationalelf.

Dieser Wahnsinn hat Methode. Denn während Mitte November noch die Zeichen auf Sturm standen und der sträflich unfähige Verbandspräsident Carlo Tavecchio mitsamt seinem kongenialen Trainer Giampiero Ventura (Letzterer mit Millionenabfindung) aus dem Amt gefegt wurde, weht jetzt schon wieder das laue Lüftchen der Restauration. Die Empörung ist Resignation gewichen, die Stunde der Leoparden hat geschlagen. Und wieder einmal erfüllt sich das bis zum Erbrechen zitierte Bonmot des Sizilianers Tomasi di Lampedusa, wonach sich in Italien alles ändert, damit nur alles beim Alten bleibt.

Am 29. Januar soll ein neuer Präsident der Federazione Italia Giuoco Calcio (FIGC) gekürt werden. Drei Männer haben am vergangenen Sonntag ihre Kandidatur erklärt. Und die besten Chancen scheint ein langjähriger Parlamentarier der Berlusconi-Partei Forza Italia zu haben, ein Leopard wie aus dem Bilderbuch, ebenso konservativ und reaktionär wie glatt und geschmeidig: Cosimo Sibilia, 59, hatte sich im November innerhalb von Stunden vom glühenden Unterstützer des glücklosen Tavecchio zu einem entschlossenen Gegner gewandelt. Da war schon klar, dass der Senator und Koordinator von Forza Italia in der Provinz Avellino sich auf die Übernahme des höchsten Amtes im italienischen Fußball vorbereiten würde.

Sibilia hat beste Chancen

Im Senat stimmte Sibilia, Sohn des früheren Patrons von US Avellino, gegen gleichleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und Patientenverfügungen. Der studierte Politikwissenschaftler ist ein bekennender Mann von gestern, also genau das, was der italienische Fußball jetzt gerade am dringendsten nicht braucht.

Trotzdem hat Sibilia beste Chancen. Berlusconis derzeit mächtigster Mann im Sport führt die Amateurliga an, die 34 Prozent der Stimmen im Verband hält. Sibilias Vorgänger bei den Amateuren war Tavecchio - der geschasste Verbandschef leitet immer noch kommissarisch den Erstligaverband. Der Chefposten ist dort seit April vakant, weil sich die Klubchefs nicht auf einen Sprecher einigen können.

Nicht nur im Verband wird gewählt, am 4. März votieren die Italiener auch für ein neues Parlament. Und das ist ein weiterer Grund für das Machtvakuum im Fußball. Denn Berlusconi, der selbst als verurteilter Steuerbetrüger kein politisches Amt mehr bekleiden darf, mischt im Wahlkampf kräftig mit. Der 81-Jährige weiß, dass die derzeit noch regierende Mitte-links-Partei PD die Wahlen kaum gewinnen kann. PD und Berlusconi machen gemeinsam Wahlkampf gegen die Fünfsternbewegung und kaum einen Hehl daraus, dass ihnen eine Koalition vorschwebt. Brüssel und Berlin wäre das auch genehm, schließlich wäre Berlusconi selbst ja nicht in der Regierung präsent, und seine Partei ist inzwischen derart salonfähig, dass sie in Straßburg sogar den Parlamentspräsidenten stellt.

Tommasi hat ein großes Handicap

Die italienische Regierung hält sich aus dem Geschacher um den Fußballverband auffällig heraus. Offiziell wegen der Unabhängigkeit. In Wirklichkeit will man Berlusconi wohl keine Steine in den Weg legen. Und das, obwohl es einen unabhängigen, reformeifrigen und noch dazu jungen Gegenkandidaten gäbe: Damiano Tommasi, 43, Ex-Nationalspieler, Ex-Profi beim AS Rom (1996 - 2006) und streitbarer Vorsitzender der Spielervereinigung. "Ich habe das Handicap, nur ein Fußballer zu sein", klagt Tommasi, immerhin könnte er eventuell auf die Trainer zählen und damit auf 30 Prozent der Stimmen kommen. Der dritte Mann, Gabriele Gravina, ist als Kandidat der Profiligen nicht ganz so stark. Gravina, 64, war mal Präsident der Überraschungself Castel di Sangro, ist Universitätsdozent, naturgemäß kein Revolutionär, eher ein bedächtiger Sanierer. Tommasi versucht, ihn für sich zu gewinnen, Sibilia aber auch.

Mit Damiano Tommasi würde sich der italienische Fußball ein neues, endlich modernes Gesicht geben, einen Präsidenten ohne parteipolitische Verpflichtungen, der als Profi auch für Klubs in Spanien, England und China gespielt hat. Ein Mann mit internationaler Erfahrung, der schon als Aktiver die selbstgerechte Provinzialität, die Toleranz für neofaschistische Kurvenführer und den latenten Rassismus im heimatlichen Fußball bekämpft hatte. Das trug Tommasi damals den Ruf ein, ein Linker zu sein. Tatsächlich repräsentiert er keine Partei. Und genau das ist sein größtes Handicap. Eine transparente Verbandsführung, die unabhängige Entscheidungen trifft und keinen Stein auf dem anderen lässt? Das wäre ja noch schöner.

Die Leoparden wollen den Ball nicht aus der Hand geben, am allerwenigsten will das ihr greiser Alphamann Berlusconi. Ausgerechnet jetzt, mitten im Wahlkampf, ist ihm die Finanzpolizei auf die Spur gekommen. Laut La Repubblica könnte Staatsanwalt Fabio De Pasquale nun Ermittlungen unter dem Verdacht der Geldwäsche beim Verkauf des AC Mailand einleiten. Im Frühjahr 2017 kassierte Berlusconi für den Klub, der ihm 31 Jahre gehört hatte, 740 Millionen Euro. Auch die Uefa befasst sich seit Monaten mit den Milan-Finanzen.

Der neue Besitzer, Li Yonghong, ist nicht nur in seiner Heimat China als Geschäftsmann so gut wie unbekannt. Um den Mailänder Traditionsklub AC zu erwerben, hatte Li sich beim US-Hedgefonds Elliott 300 Millionen Euro gepumpt, die in diesem Herbst zurückzuzahlen sind. Nun sucht Li neue Geldgeber, die seine Schulden zu besseren Konditionen übernehmen. Der AC Mailand, derzeit Neunter in der Serie A, ist zum Spekulationsobjekt verkommen. Und alle schweigen dazu, am lautesten der Verband. Dort hat indes einer der mächtigsten Fußballpräsidenten gerade seinen Einstieg in die große Politik bekannt gegeben: Claudio Lotito, Patron des Erstligisten Lazio Rom und des Zweitligisten US Salerno, kandidiert für Forza Italia.

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