Länderspiel: Deutschland - Italien:Die ewige Baustelle

Italiens Nationalelf wird fast komplett renoviert. Außer Torwart Gianluigi Buffon ist die Mannschaft für Trainer Cesare Prandelli vor dem Testspiel in Deutschland ein Dauerexperiment.

Birgit Schönau

An Dortmund hat die Squadra Azzurra verständlicherweise die angenehmsten Erinnerungen, verknüpft mit dem 2:0 im Halbfinale gegen Deutschland bei der WM 2006. Doch niemand wiegt sich in der Illusion, dass es am Mittwoch eine Neuauflage geben könnte - und zwar nicht etwa deshalb, weil die Torschützen von einst, Fabio Grosso und Alessandro Del Piero, nicht mehr dabei sind. Aus dem Aufgebot der Weltmeister sind überhaupt nur Torwart Gianluigi Buffon, 33, und Mittelfeldspieler Daniele De Rossi, 27, geblieben.

Länderspiel: Deutschland - Italien: Wieder die Nummer 1: Gianluigi Buffon von Juventus Turin kehrt ins italienische Tor zurück.

Wieder die Nummer 1: Gianluigi Buffon von Juventus Turin kehrt ins italienische Tor zurück.

(Foto: AFP)

Buffon kehrt als Kapitän nach einer langen Verletzungspause zurück, er hatte auch 2010 in Südafrika nur eine Partie gespielt und das Fiasko seiner Mannschaft vom Krankenlager aus miterlebt. De Rossi war am schlechtesten WM-Auftritt der Azzurri seit ihrem Bestehen aktiv beteiligt, damals in Dortmund hingegen gesperrt. Jetzt ist er der Mann, der das Mittelfeld dirigieren soll. Keine leichte Aufgabe für den Römer, der am Sonntagabend beim 3:5 des AS Rom gegen Inter Mailand nur halb so schnell war wie sein holländischer Kontrahent Wesley Sneijder.

Man wird sehen. Es ist sowieso alles eine ewige Baustelle, ein Dauerexperiment für Cesare Prandelli, der seine Mannschaft mit Ausdauer und Anpassungsfähigkeit immerhin in der EM-Qualifikation an die Gruppenspitze gebracht hat - inklusive eines von der Uefa verfügten Sieges über Serbien nach dem Länderspiel-Abbruch in Genua wegen serbischen Fankrawallen im vergangenen Oktober.

Und so will Prandelli beim Luxus-Freundschaftsspiel gegen die Deutschen auch nicht beweisen, dass die Italiener wieder obenauf sind. Er wird die Gelegenheit nutzen, um wieder neue Spieler auszuprobieren. 48 hat der ehemalige Fiorentina-Coach bereits berufen, seit er im Sommer das schwere Erbe von Marcello Lippi antrat, darunter 22 Debütanten. So rasant erfolgt der Wechsel, dass die Italiener ihre eigene Nationalmannschaft gar nicht mehr kennen. Die alten Identifikationsfiguren wie Cannavaro und Totti sind weg, für die Jungen gibt es noch keine Stammplätze.

Es ist eine Stunde Null und Prandelli ist der Mann, der vorsichtig die Trümmer wieder aufeinanderschichtet. Die einzige feste Säule dabei ist Gigi Buffon, der auch fünf Jahre nach dem WM-Sieg so unersetzbar erscheint wie weiland Dino Zoff.

Der Klub der großen Torhüter, Juventus Turin, entsendet nach wie vor die meisten Nationalspieler (fünf), doch anders als Lippi, der sich als ehemaliger Juve-Coach allzu blind auf den zuletzt so wackligen Turiner Abwehrblock verließ, probiert es Prandelli mit einer bunt gemischten Hintermannschaft unter Beteiligung von Cagliari (Astori), Palermo (Cassani), CFC Genua (Criscito) Neapel (Maggio) und Inter (Ranocchia).

Sensation für die Azzurri

Überhaupt ist die Berufung von gleich drei Inter-Mailand-Spielern die eigentliche Sensation für die Azzurri. Jahrelang musste die Nationalmannschaft auf die Beteiligung der Internazionale verzichten, weil dort kaum ein Italiener im Team spielte.

Jetzt kommen aus dem fulminant aufspielenden Kader des neuen brasilianischen Inter-Trainers Leonardo neben Zugang Andrea Ranocchia der Stürmer Giampaolo Pazzini, ebenfalls neu bei Inter, und der Mittelfeldstratege Thiago Motta. Der 28-Jährige besitzt einen brasilianischen Pass und kann auf einen Einsatz in der Jugendmannschaft der Seleçao zurückblicken. Doch Thiago Mottas Familie stammt aus dem Po-Delta, was ihn zu einem oriundo macht, wie die Nachfahren italienischer Südamerika-Emigranten genannt werden.

Auch Lippi hatte in Mauro Camoranesi einen Italo-Argentinier berufen, um den Brasilianer Amauri gab es hingegen Streit innerhalb der Nationalmannschaft, ausgerechnet Pazzini tönte damals: "Ich würde es ja verstehen, wenn einer Halbitaliener ist. Aber ein Brasilianer bei den Azzurri, das stört mich."

Solch gestrige Ideen teilt bei der Squadra Azzurra vielleicht noch der nach rechtsaußen orientierte Juve-Mann Alberto Aquilani. Aber laut werden sie nicht mehr. Dafür sorgt Prandelli, der die Debatte im Keim erstickte mit der Erklärung, es gebe gar keine oriundi, nur noch neue Italiener. Und wenn Lippi das Gegröle des rechten Anhangs der Nazionale ostentativ überhörte, so verurteilt es Prandelli auf das Schärfste. "Gegen eine multikulturelle Nationalmannschaft" stand in der italienischen Kurve bei einem Freundschaftsspiel gegen Rumänien zu lesen. Der Trainer zeigte sich schockiert. Wie gesagt, Stunde Null.

Die Medien reagieren mit einer gehörigen Portion Geduld auf Prandellis Experimente. Niemand mag in dieser Situation auf Resultate pochen, die noch vor wenigen Monaten als so selbstverständlich erschienen waren, dass sich die Azzurri selbst für die Größten hielten.

Doch diese ebenso provinzielle wie gefährliche Selbstüberschätzung bildete schon lange das Grundübel des italienischen Fußballs. Für die Nationalmannschaft ist das Vergangenheit, immerhin. Mit einem jungen und unbelasteten Kader wird Prandelli in Dortmund seine Suche nach dem Spiel fortsetzen. Überraschend wird es auf jeden Fall.

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